Am Tag vor der Operation
Langsam realisiere ich, was da morgen passiert.
Für euch bin ich Pia, aber eigentlich heiße ich anders. Ich bin eine Transfrau, und warte auf meine geschlechtsangleichende Operation. Um mich darauf vorzubereiten, habe ich mir heute die einzelnen Schritte auf Bildern angeschaut – und zwar auf echten Fotos. Das hätte ich nicht machen sollen. Während der Operation sieht das da unten aus wie ein Haufen zerhacktes Fleisch.
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Mein Herz rast. Ich bekomme zum ersten Mal Zweifel. Will ich diese Operation überhaupt? Dieser Teil meines Körpers entscheidet ja nicht über mein Geschlecht. Ich bin schon eine Frau. Der Penis definiert mich nicht – und macht mich nicht weniger weiblich. Es gibt viele Transfrauen, die nie eine geschlechtsangleichende Operation machen.
Ist eine Operation die richtige Entscheidung?
Ich ziehe mich aus, stellte mich nackt vor einen Spiegel und mustere mich. Mein Blick wandert von meinem Gesicht, über meine Brust, zu meinem Intimbereich. Ich zucke. Ich will mich nicht anschauen. Schnell drehe ich mich vom Spiegel weg und ziehe mich wieder an. Mein Spiegelbild passt nicht zu dem Bild, das ich von mir im Kopf habe. Ich verstecke meinen Penis, und weiß:
Ja, diese OP ist die richtige Entscheidung.
Ich habe immer versucht, diesen Bereich meines Körpers zu ignorieren. Ich mochte Sex nie, und ich mochte meinen Penis nie, weil immer erwartet wurde, dass ich etwas mit ihm mache. Aber das wollte ich nicht. Ich hatte immer nur passiven Analsex, weil ich die Dynamik dabei mochte. Alles andere war für mich ein Tabu. Nur einmal war ich aktiv beim Sex – und habe dabei geweint.
Ich habe mir beim Sex immer eine Phantomvagina vorgestellt. Die Vorstellung, vaginal penetriert zu werden, war immer das schönste Gefühl für mich. So bekam ich die besten Orgasmen. Morgen wird meine Phantomvagina Realität. Dann kann ich den Sex haben, den ich immer wollte.
Mein Leben vor der Operation
Ich habe schon früh gemerkt, dass ich anders wahrgenommen werde, als ich mich fühle. Alle Menschen um mich herum bezeichneten mich als Jungen – aber das hat nicht zu mir gepasst.
Ich bin mit drei Frauen in einer kleinen Stadt auf dem Land aufgewachsen: meiner Mutter, meiner besten Freundin und ihrer Mutter. Meine beste Freundin und ich hatten immer die gleichen Spielzeuge und wurden gleich behandelt. Ich habe bis zu meiner Pubertät nie einen Unterschied zwischen ihr und mir gesehen.
Seit meinem neunten Lebensjahr bin ich immer, wenn ich alleine zu Hause war, in den großen, begehbaren Kleiderschrank meiner Mutter gegangen. Darin roch es wie in einem Vintagekleidergeschäft. Der Schrank war mein Rückzugsort, mein Refugium. Dort habe ich die BHs, Kleider und Schuhe meiner Mutter angezogen. Vor ihr hielt ich das lieber geheim.
Ich wurde 16, und mein Körper veränderte sich immer mehr: Meine Schultern wurden breiter, meine Stimme tiefer, in meinem Gesicht und auf meiner Brust wuchsen plötzlich Haare. Ich konnte nicht damit umgehen. Ich habe die Badezimmertür zugesperrt und habe mich heimlich rasiert. Ich hatte das Gefühl, mich verstecken zu müssen. Ich habe mich geschämt. Oft habe ich sogar geweint. Ich wollte nicht, dass mein Körper sich verändert. Ich habe es gehasst. Irgendetwas war mit mir los, das spürte ich. Aber was?
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Mit 17 Jahren entwickelte ich eine Essstörung. Dadurch hatte ich das Gefühl, die Kontrolle über meinen Körper zu gewinnen. Ich hungerte mich auf 47 Kilo runter, wurde immer dünner und schwächer und kollabierte regelmäßig. Meine Familie schickte mich zu einem Psychotherapeuten, aber da wollte ich nicht hin. Ich wusste, dass dort etwas herauskommen würde, das ich lieber geheim halten wollte. Dass ich dort über etwas reden müsste, wozu ich noch nicht bereit war.
Ich schaffte es, wieder zuzunehmen. Aber mir ging es immer schlechter. Ich zog nach Wien, und fing an, mit Männern zu schlafen, mit vielen, um mein Selbstwertgefühl zu verbessern. Aber es hat mich nur noch depressiver gemacht. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich über Suizid nachgedacht. Ich konnte einfach nicht mehr weitermachen wie bisher, und eine Rolle spielen. Ich wollte endlich leben, nicht mehr nur überleben.
Ich begann eine Therapie und schluckte Antidepressiva.
Dass ich trans bin, weiß ich, seitdem ich 22 Jahre alt bin. Zufällig habe ich auf YouTube Videos von einer Transfrau gefunden, die über ihre Transition spricht. Sie war mein erster Kontakt mit einer Transperson. Ich wurde euphorisch, konnte mich sofort mit ihr identifizieren und wusste: Ich bin wie sie. In der Psychotherapie fing ich an, offen über diese Gedanken zu sprechen.
Obwohl ich Angst vor einem Outing hatte, fasste ich nach wenigen Monaten den Mut, es meiner Mutter zu sagen. “Mama, ich bin eine Frau,” sagte ich am Telefon.
Sie reagierte verständnisvoll. Meine Angst war unbegründet gewesen.
Ich besorgte innerhalb kürzester Zeit die nötigen Papiere, nahm Hormone und ließ meinen Vornamen ändern. Schließlich entschied ich mich dazu, meine Hoden entfernen zu lassen, um die Testosteronproduktion zu stoppen und einen Vorgeschmack auf eine größere Operation zu bekommen. Der Hodensack wurde nicht entfernt, um daraus später meine Schamlippen bilden zu können.
Und nun bin ich hier.
Kurz vor der Operation
Ich bin seit drei Uhr morgens wach und warte in einem weißen Kittel auf den Chirurgen. Gestern war ich noch aufgeregt, heute bin ich erstaunlich ruhig. Meine Gedanken sind geordnet, ich fühle mich sicher. Ich denke daran, dass ich bald endlich schwimmen gehen und mich mit einem guten Gefühl vor einen Spiegel stellen kann. Dass ich mich anschauen kann, ohne den Anblick zu hassen.
Hoffentlich werde ich schon bald auf diesen Moment zurückblicken und denken: So schlimm war es gar nicht. Jeder einzelne Schritt bis hierher war schwierig: mich zu outen, das erste Mal mit Make-up aus dem Haus zu gehen, meinen Namen ändern zu lassen. All diese Schritte wirken rückblickend viel kleiner, als sie in diesem Moment waren. Ich weiß zwar, dass die Operation hart wird, aber ich kenne das Ziel: Ich bekomme eine Vagina – und darauf freue ich mich.
Seit einem Jahr arbeite ich auf diesen Tag hin.
Ich habe Menschen, die mich unterstützen.
Ich weiß, dass ich es schaffe.
Ich bin bereit für diese Operation.
Kurz nach der Operation
Ich bin benommen und verwirrt, aber erleichtert. Leider konnte ich meinen Chirurgen vor meiner Operation nicht mehr sehen. Ich habe mir innere und äußere Schamlippen gewünscht. Was, wenn er mir keine inneren Schamlippen gemacht hat? Dann hab ich es versaut. Ich kann nicht aufhören zu weinen. In meinem Unterleib zuckt es die ganze Zeit. Ich habe Angst, dass meine Vagina gleich wieder aufreißt. Zwei Infusionen tropfen in meinen Körper. Ich kann nichts essen, ich kann nichts trinken. Ich muss kotzen.
Bei der Visite nach der Operation ist nur der Hilfsarzt dabei, mein Chirurg nicht.
“Hat mir der Chirurg auch innere Schamlippen gemacht?”, frage ich.
“Das müssen sie mit ihm besprechen”, sagt der Arzt.
“Wie tief ist meine Vagina geworden?”
“Das kann ich ihnen nur ungefähr sagen”, sagte er und deutete vom Anfang seiner Handfläche bis zur Spitze seines Mittelfingers.
Ist das tief genug, um Sex mit meinem Freund zu haben?
Meine Mutter ist zu Besuch. Sie versucht, mich aufzuheitern.
Ich will einfach nur, dass dieser Tag vorbei ist.
Einen Tag nach der Operation
Heute Nacht konnte ich immer nur eine halbe Stunde am Stück schlafen. Immer wieder bin ich wach geworden. Ich habe Schmerzen im Unterleib und an meinen Oberschenkeln. Außerdem drückt meine Blase. Mir ist die ganze Zeit schlecht, wahrscheinlich weil ich so viele Schmerzmittel genommen habe. Und trotzdem tut mir alles weh.
Manchmal steigt Ekel in mir auf. Meine neue Vagina ist mit einer Mullbinde ausgestopft, damit nicht alles wieder zusammenwächst. Das drückt. Außerdem trage ich einen Katheter, weil ich nicht alleine aufs Klo gehen kann. Ich würde so gerne duschen.
Eine Woche nach der Operation
Mittlerweile bin ich zu Hause und nehme keine Schmerzmittel mehr. Ich fühle mich sehr viel besser. Auch weil ich meinen Chirurg sprechen konnte: Natürlich hat er mir auch innere Schamlippen konstruiert. Und meine Vagina sei auch zufriedenstellend tief.
Der untere Teil meines Körpers verkrampft und drückt immer mal wieder. Aber immerhin: Die Mullbinde und der Katheter sind draußen.
Ich liebe es, auf die Toilette zu gehen. Noch fühlt es sich ungewohnt an: Meine Harnröhre ist nach der Operation fünfmal kürzer. Aber nichts hängt mehr an mir runter. Mein Körper ist übersät von blauen Flecken, rechts und links meines Venushügel halten jeweils zehn Klammern meine Haut. Egal, bald ist es vorbei.
Ich fühle mich jetzt mehr wie ich, als je zuvor.