Wie die Droge GHB von einem Serienkiller als Mordwaffe benutzt wurde

„Ich kann nicht mehr. Ich habe meinen Freund Gabriel umgebracht. Wir haben bei einem Kumpel gefeiert und ich hab’s zu weit getrieben und ihm noch einen Schuss G gegeben. Es war ein Unfall. Ich weiß, dass ich ins Gefängnis muss, wenn ich zur Polizei gehe. Ich habe mein restliches G mit Schlaftabletten genommen. Wenn es mich umbringt, dann habe ich das verdient. So kann ich wenigstens wieder bei Gabriel sein.”

Das war der „Abschiedsbrief”, der in der Hand des 21-jährigen Daniel W. gefunden wurde. Die Leiche des Kochlehrlings aus der englischen Grafschaft Kent wurde im September 2014 an einer Kirchhofmauer in Barking im Osten Londons gefunden.

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Die Polizei wusste, wovon in dem Brief die Rede war. Ein paar Wochen zuvor war Daniels Freund Gabriel K. tot mit Verdacht auf eine GHB-Überdosis in jenem Kirchhof gefunden worden. „Totes Liebespaar an Kirche in Barking starb an Drogen” schrieb die Lokalzeitung, und es klang sehr wie eine Tragödie nach dem Vorbild Romeos und Julias, wobei GHB das Gift war.

Drei Monate zuvor war ganz in der Nähe die Leiche des angehenden Modedesigners Anthony W. gefunden worden: ein weiterer junger Schwuler, der an einer GHB-Überdosis gestorben war. Die Polizei beschrieb die drei Todesfälle als „ungewöhnlich aber nicht verdächtig”.

Erst als letzten Monat eine vierte Leiche—die des Gabelstaplerfahrers Jack T.—unter ähnlichen Umständen entdeckt wurde, fing die Polizei an, einen Serienmörder zu verdächtigen.

Letzte Woche fand im Zentralen Strafgerichtshof Großbritanniens der Prozess von Stephen Port statt. Der 40-jährige Koch und Callboy (der bereits in einer Folge der Kochshow Celebrity Masterchef erschienen war) hatte GHB als Waffe eingesetzt, um die vier Männer zu töten. Die Staatsanwaltschaft vermutet, Port habe die jungen Männer in seine Wohnung in Barking eingeladen, nachdem er sie im Internet kennengelernt hatte. Dort soll er ihnen tödliche Dosen der Droge verabreicht und sie vergewaltigt haben, bevor er schließlich ihre Leichen in der Nähe ablegte. Der Brief, der in Daniel W.s Hand gefunden wurde, wird Berichten zufolge nun weiteren Tests unterzogen.

Die Mordwaffe in diesen Fällen ist der Jekyll/Hyde der Freizeitdrogen: GHB (Gammahydroxybutyrat). Das sedative Betäubungsmittel ist auch einfach als „G” bekannt und wurde in den 1920ern synthetisiert. Es beschert Konsumenten einen euphorischen Rausch und kann bei richtiger Dosierung die Libido erhöhen. Wer die falsche Dosis erwischt, vergiftet sich allerdings. Nicht ohne Grund sind GHB und seine Vorstufe GBL, aus der Elasthan und Lackentferner hergestellt werden, in manchen Kreisen als „der Urin des Teufels” bekannt.

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GHB ist eine geruchlose, ölige Flüssigkeit, die ein wenig salzig schmeckt. Die Substanz wurde in den USA zur Vorbetäubung vor operativen Eingriffen entwickelt, doch aufgrund der unliebsamen Nebenwirkungen wurde sie später vom Markt genommen. Bodybuilder in den 1980ern setzten sie ein, weil GHB die Konzentration der Wachstumshormone ansteigen lässt.

In den 2000ern wurde GHB unter dem Namen „Liquid Ecstasy” in der schwulen Clubszene zu einer beliebten Alternative zu MDMA. Es war billig, konnte in kleinen Röhrchen oder Fläschchen leicht in Clubs geschmuggelt werden, und es brachte die Leute dazu, auf die Afterhour-Orgien zu gehen, die immer verbreiteter wurden.

Damals, und in vielen Kreisen sicherlich auch heute noch, war GHB der Öffentlichkeit hauptsächlich als „K.O.-Tropfen” oder auch „Date-Rape-Droge” bekannt, denn es hatte zunehmend Berichte darüber gegeben, dass Männer das starke Betäubungsmittel Frauen ins Getränk mischen, um sie daraufhin zu vergewaltigen.

2003 wurde GHB in Großbritannien verboten, nachdem es zwei große Verbrechensfälle gab, in denen Täter es verwendet hatten. Der Waliser David Meachen wurde zu 10 Jahren Haft verurteilt, nachdem er einer Frau in einer Bar GHB ins Getränk gemischt und sie dann vergewaltigt hatte. Der Serienvergewaltiger Lea Shakespeare bekam zehnmal Lebenslänglich; er hatte drei seiner Opfer GHB ins Getränk gemischt.

Bald schon hatten Frauen Angst davor, ihre Getränke in Bar uns Clubs aus den Augen zu lassen oder auch nur Visitenkarten anzunehmen. Die mediale Aufmerksamkeit führte zur Vermarktung einiger fragwürdiger Gadgets, die diese Angst zu Geld machen wollten: Bierdeckel, Strohhalme, Weinglasdeckel und Nagellack sollten allesamt das Vorkommen von GHB anzeigen. Studien zeigten später, dass GHB tatsächlich sehr viel seltener als Date-Rape-Droge eingesetzt wird, als es angesichts der Medienberichte den Anschein hatte. In einer Studie wurde betont, die häufigste Vergewaltigungsdroge sei Alkohol.

Derweil hatte das GHB-Verbot in der Clubszene dem Konsum der viel gefährlicheren, aber legalen Alternative GBL Vorschub geleistet. Das Mittel hat eine noch steilere Dosierungskurve als GHB, was bedeutet, dass nur ein paar Milligramm zu viel, vor allem in Kombination mit Alkohol, einen Rausch in eine tödliche Vergiftung verwandeln können.

Ende der 2000ern wachten Männer aus der schwulen britischen Clubszene immer häufiger in Krankenhausbetten auf, nachdem sie auf der Tanzfläche oder bei Privatpartys umgekippt waren. Ein Krankenhaus im Süden Londons in der Nähe von Vauxhall, einer der großen Gegenden für Londoner Schwulenclubs, meldete 2009 mindestens drei GHB- oder GBL-Überdosen pro Woche—und die Zahl der Todesopfer fing an zu steigen.

Diese Todesfälle erregten nicht besonders viel Aufmerksamkeit—vielleicht, weil es sich um Homosexuelle handelte—, bis die 21-jährige Medizinstudentin Hester S. aus Brighton 2009 starb. Ihr Tod löste einen Mediensturm aus, in dem sich empört wurde, dass die Todesdroge noch legal war. GBL wurde noch im selben Jahr verboten.

Heute sind GHB und GBL zusammen mit Crystal Meth und Mephedron aus der wachsenden „Chemsex”-Szene nicht mehr wegzudenken. Hier werden die Drogen—oft intravenös—bei schwulen Sexpartys konsumiert. Das Phänomen hat zu rasant ansteigenden HIV-Raten geführt und David Stuart, den Suchtexperten der Wohltätigkeitsorganisation 56 Dean Street im Londoner Stadtteil Soho, dazu gebracht, GHB und GBL als „die gefährlichsten Drogen der Welt” zu beschreiben. Im Jahr 2014 waren die Drogen bei 20 Überdosis-Todesfällen in Großbritannien mit im Spiel, und eine Umfrage von Global Drug Survey stellte fest, dass einer von vier Nutzern der Mittel im Laufe des Jahres beim Konsum das Bewusstsein verloren hatte.

GBL hat auch ein sehr großes Suchtpotential. Manche Konsumenten müssen die Droge rund um die Uhr alle drei Stunden nehmen, um sich die Entzugserscheinungen vom Leib zu halten. 2009 wurde eine spezielle Klinik als Teil des South London and Maudsley NHS Trust eingerichtet, die Menschen dabei helfen soll, die Sucht nach der Droge zu überwinden—ein Prozess, der fast so gefährlich ist wie eine Entgiftung nach Alkoholsucht.

„GBL-Sucht hat mir nicht das Gefühl gegeben, verrückt zu sein, sondern sie hat mich wirklich verrückt gemacht”, schreibt „Bluestreak” im Drogenforum Urban75. „Es war der Schlafmangel über ein halbes Jahr hinweg. Dauernd habe ich Sachen gehört und gesehen und mit Leuten geredet, die nicht da waren. Ich habe Dinge erlebt, die nicht wirklich passierten. Es gab Zeiten während meiner Sucht, wo es mir egal gewesen wäre, wenn ich daran gestorben wäre. Ich habe zweieinhalb Jahre an dieses schreckliche Zeug verloren.”

Letzten Endes sind GHB und GBL nicht minder abstoßende Versionen der Drogen der alten Klebstoffschnüffler-Szenen der 1980er, und sie sind genau so giftig, süchtig machend und tödlich. Dass diese Substanzen einfach in Getränke gemischt werden und Menschen das Bewusstsein rauben können, macht sie zu nützlichen Werkzeugen für Sexualverbrecher und Psychopathen—zwei Bevölkerungsgruppen, denen man so wenige Werkzeuge wie möglich in die Hand geben sollte.

2009 musste eine junge Frau sterben, damit die britische Regierung GBL verbot, doch es mussten im Laufe von 15 Monaten vier schwule Männer auf fast identische Art im selben Stadtteil Londons sterben, bevor die Polizei aufmerksam wurde. Was das über die Einstellung der Behörden gegenüber diverser Bevölkerungsgruppen aussagt, ist ein Thema für einen anderen Artikel. Allerdings ist sehr offensichtlich, dass mehr getan werden könnte, und auch getan werden muss, um über die Gefahren dieser Drogen aufzuklären—denn sie lösen noch viel mehr aus als nur einen schnellen Euphorie-Kick und eine chemisch aufgepumpte Libido.