Als Everett Yang irgendwann 2018 durch alte Dateien auf dem Computer klickte, erschien etwas, das wie ein Relikt aus einer längst vergessenen Zeit wirkte: ein Ordner mit fast hundert GIFs, den Yang vor Jahren sorgfältig zusammengestellt hatte, um schnell auf alle möglichen Gesprächssituationen reagieren zu können. Egal ob Spongebob, der mit gezückten Fingerpistolen geschmeidig rückwärts durch eine Tür läuft, ein glücklicher Kakadu oder der ungläubig dreinschauende Typ: Das Spektrum war breit gefächert. Beim Entdecken des Ordners habe Yang Freude, Scham und Nostalgie verspürt und sei sich dabei vorgekommen, als wäre gerade ein altes Tagebuch wieder aufgetaucht.
GIF-Ordner nutzte man früher, um bewegte Bilder zu speichern und zu ordnen, die in Online-Chats oder Foren Emotionen besser vermitteln sollten. OK, du weißt wahrscheinlich, was der Zweck von GIFs ist, aber in einem speziellen Ordner speichert sie wahrscheinlich kaum noch jemand ab. Jede moderne Messaging-App hat eine eigene GIF-Bibliothek. Aber auch GIFs selbst gelten vor allem bei jungen Menschen zunehmend als uncool.
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“Wer benutzt 2020 noch GIFs, Oma?”, schrieb eine Twitter-Userin als Antwort auf einen Taylor-Swift-Tweet, in dem die Sängerin ein Bewegtbild von einem schockierten Dwayne “The Rock” Johnson postete, um ihre Freude über einen weiteren Karrieremeilenstein auszudrücken. Aber auch in anderen Tweets und TikTok-Videos machen sich junge Leute über GIFs lustig und schieben das Bildformat vor allem älteren Menschen zu. Aber warum genau gelten die Bewegtbilder jetzt als peinlich? Und sind sie bald komplett von der Bildfläche verschwunden – so wie Homer Simpsons, der sich in eine Hecke zurückzieht?
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GIFs sind derzeit vielleicht nicht mehr cool, aber das heißt nicht, dass sie nicht weiterhin häufig genutzt werden. Am Anfang der Pandemie berichtete die GIF-Website GIPHY, dass die GIF-Nutzung in nur einem Monat um 33 Prozent gestiegen sei. Vielleicht hast auch du diesen Sprung in deiner Familien-WhatsApp-Gruppe mitbekommen: Zwar haben das noch keine offiziellen Statistiken belegt, aber eine Erklärung für diese Entwicklung könnte sein, dass viele Mütter, Väter und Omas durch mehr Zeit im Internet zum ersten Mal auf GIFs gestoßen sind und Gefallen daran gefunden haben. Während die Generation Z die Bewegtbilder also vor allem den Millennials zuschiebt, halten diese GIFs wiederum immer öfter für ein Boomer-Spielzeug.
Whitney Phillips ist eine Dozentin im Fach Kommunikationswissenschaften an der Syracuse University und Autorin von mehreren Büchern über Internetkultur. Wie sie erklärt, seien Early Adopter immer erstmal dagegen, wenn neue (in diesem Fall alte) Menschen ihren digitalen Raum einnehmen. Ein Beispiel: Memes waren früher etwas Subkulturelles, ein Nischenprodukt. Dann kam Facebook und gab Memes eine größere Plattform. Reddit- und 4Chan-User waren dementsprechend angepisst, weil man quasi aus ihren Werken Kapital schlug, ohne selbst kulturelle Arbeit geleistet zu haben. “Diese Demokratisierung verursacht bei den Menschen, die sich als Insider ansehen, ein Gefühl der Abscheu”, sagt Phillips. “Dieses Muster lässt sich schon seit Jahrzehnten beim Prozess der kulturellen Produktion im Internet erkennen.”
Heutzutage vergisst man schnell, dass hinter jedem GIF eine Schöpferin oder ein Schöpfer steht und dass viele GIFs wirklich sehr kreativ sind. Sehr lange war aber nicht nur das Erstellen der Bewegtbilder mit einer Menge Arbeit verbunden, sondern auch das Finden und Sammeln. So entstanden Ordner wie der von Yang. 2016 führte Twitter dann jedoch eine GIF-Suchfunktion ein, WhatsApp und iMessage zogen bald nach. Ein Jahr später stellte auch Facebook einen eigenen GIF-Button im Kommentarfeld vor. GIFs wurden so nicht nur auf verschiedenen Plattformen zusammengeführt, sondern auch stark kommerzialisiert. Diese Entwicklung gipfelte darin, dass Facebook GIPHY 2020 für 400 Millionen Dollar aufkaufte.
“Je mehr GIFs es gibt, desto weniger sieht man sie als kleine Schätze oder Geschenke an, die man mit anderen Leuten teilt”, sagt Phillips. “Anstatt lange und intensiv nach dem perfekt passenden GIF zu suchen, muss man heute nur noch ein Wort in eine Suchleiste eingeben. So hat sich auch der Wert der Bewegtbilder verändert.”
Erfunden wurde das GIF im Jahr 1987 – und es ist wichtig anzumerken, dass das Format bei Teilen der Internet-Community schon mehrmals in Ungnade fiel und danach ein Comeback feierte. Jason Eppink ist ein Künstler und Kurator, der 2014 eine Ausstellung über GIFs am Museum of the Moving Image in New York organisierte. Er sagt, dass GIFs in den 90er Jahren bei Userinnen und Usern des Webhosting-Services GeoCities beliebt gewesen seien, die mit den Bewegtbildern ihre Websites noch weiter personalisieren wollten. Anfang der 2000er hätten die Leute dann “alle möglichen Arten von GIFs” auf ihren Social-Media-Seiten platziert. Wir alle kennen noch die glitzernden und blinkenden Grafiken aus der MySpace-Ära.
“Bei Facebook wurden GIFs dann nicht mehr unterstützt – so nach dem Motto ‘Wir wollen nicht, dass so hässliche Teile unsere schicke und einheitliche neue Website zumüllen’”, sagt Eppink. GIFs feierten schließlich ein Comeback, als die Tumblr-Community das Format für sich entdeckte. “Sie wurden also schon einmal wiedergeboren”, so Eppink.
Aber warum genau fühlt sich die Generation Z in Bezug auf GIFs jetzt wie das angewiderte kleine Mädchen im Auto? Robyn Ní Ríain, 22, kann sich nicht daran erinnern, jemals ein GIF benutzt zu haben. Sie bevorzugt Emojis. 2020 führte sie bei Twitter eine Diskussion mit einer Person aus der Millennial-Generation, die schließlich mit einem Beyoncé-GIF antwortete, das Ní Ríain als unglaublich peinlich empfand. Die junge Frau findet aber nicht nur das Format etwas seltsam, sondern ist auch der Meinung, dass GIF-Nutzer oft digitales Blackfacing betreiben. Heute ist Ní Ríains Mutter die einzige Person, die ihr regelmäßig GIFs schickt.
Erika Gajda zählt mit 28 Jahren zwar zur Millennial-Generation, findet aber, dass GIFs eher etwas für “ältere Millennials” seien, die in den späten 80er Jahren geboren wurden. “Als Memes und Instagram immer beliebter wurden, sah man GIFs immer seltener. Sie waren nicht mehr zeitgemäß”, sagt Gajda. Früher habe sie die Bewegtbilder noch im Slack-Messenger auf der Arbeit verschickt, aber heute meide sie das Format. “Ich habe GIFs schon immer als etwas unbeholfen empfunden – wie ein Zeichen, dass man nicht genau weiß, was man sonst sagen soll”, so Gajda.
“Ich glaube, das Problem bei GIFs ist, dass für bestimmte Stimmungen und Emotionen immer wieder die gleichen Bilder verwendet werden.”
So geht es auch mir mit GIFs. Mein Blick wird ganz glasig, wenn ich ein GIF sehe, und ich empfinde ein Bewegtbild auch nicht als Nachricht, sondern eher als Lückenfüller. Linda Kaye ist Professorin für Cyberpsychologie an der Edge Hill University. Sie hat in diesem Bereich zwar noch nicht direkt geforscht, vermutet aber, dass jüngere Generationen durch das vermehrte Teilen von eigenen Videos bei TikTok eher an die “individuelle Content-Erschaffung” gewöhnt seien. “Ich glaube, das Problem bei GIFs ist, dass für bestimmte Stimmungen und Emotionen immer wieder die gleichen Bilder verwendet werden. Vielleicht haben die Leute bestimmte GIFs deswegen langsam satt.”
Gajda stimmt Kayes Theorie zu: “Ich folge bei Social Media vielen Leuten, die ihre eigenen Memes machen und Videos drehen”, sagt sie. “Ich bin also selbst erstellten Content gewohnt – und nicht Leute, die sich auf einen tonlosen Ausschnitt aus Friends verlassen.” Gajda empfinde GIFs als einen “richtig schlechten Versuch, einen Witz zu machen, bei dem auch noch die Kreativität fehlt, sich selbst etwas einfallen zu lassen”.
Natürlich sollte man auch nicht zu sehr verallgemeinern, wenn es darum geht, wie die verschiedenen Generationen zu GIFs stehen. Yang gehört ja auch der Generation Z an und hat im Teenageralter trotzdem GIFs bei Tumblr gepostet. “Manchmal übermitteln Bilder doch mehr Emotionen als Worte”, sagt Yang und fügt hinzu, dass animierte Emojis derzeit sehr beliebt bei jungen Userinnen und Usern der Kommunikations-App Discord seien. Yang hörte 2016 jedoch auf, Reaktions-GIFs zu benutzen, denn das Ganze habe sich zu diesem Zeitpunkt in eine “nervige und kindische” Richtung entwickelt, sagt sie. Yang hatte das Gefühl, dass die Bewegtbilder nichts mehr zur Unterhaltung beitrugen und den Gesprächsfluss sogar störten.
Obwohl Eppink eine ganze GIF-Ausstellung organisiert hat, benutzt er das Format heute auch nicht mehr oft. Wie Yang hatte auch der Künstler einst einen GIF-Ordner und findet, dass der vereinfachte Zugang zu GIFs deren Effekt verwässert habe. “Mir fällt es heutzutage schwerer, auf den ganzen Social-Media-Plattformen ein GIF zu finden, das genau das ausdrückt, was ich sagen will”, sagt er. Und wie die Cyberpsychologie-Professorin Kaye ist auch Eppink der Meinung, dass TikTok es zu etwas ganz Normalem gemacht habe, Videos von sich selbst zu teilen. Warum sollte man dann extra ein GIF raussuchen, um die eigene Reaktion zu veranschaulichen, wenn man auch die Handykamera einschalten und die tatsächliche Reaktion filmen kann?
Das Ganze soll nun nicht heißen, dass das GIF tot ist. Die Bewegtbilder sind weiterhin zuhauf in Familien-WhatsApp-Gruppen zu finden. Und dann haben immer noch 21,3 Millionen Menschen das Reddit-Unterforum r/gifs abonniert, in dem in den letzten 24 Stunden vor Erscheinen dieses Textes 1.332 neue Kommentare geschrieben wurden. Die Dozentin Phillips überlegt, ob die GIF-Nutzung vielleicht ein ironisches Comeback feiern könnte – so wie es damals bei absichtlich beschissenen “Dank Memes” der Fall war, als normale Memes den Durchbruch in den Mainstream geschafft hatten. Vielleicht sind die Schwankungen bei der Beliebtheit von GIFs eine Art Spiegel des Formats selbst und dazu bestimmt, sich bis in alle Ewigkeiten zu wiederholen.