Die Erinnerung an meinen ersten Abend im rhiz in den Wiener Gürtelbögen ist eine sehr verschwommene. Was ich aber noch genau weiß: Am nächsten Morgen trug ich eine in Technicolor flammende Liebe für diese wunderbare Kaschemme in mir. Es folgten viele Nächte, in denen neue Bands entdeckt, Flaschenbier getrunken und Freundschaften geschlossen wurden.
Wusste ich einen Abend mal nicht, was ich mit mir anfangen soll, konnte ich mich aufs rhiz verlassen. Das rhiz ist ein Freund, der immer für dich da ist und nicht aufhört, dir Neues zu zeigen. An die Anfänge des Lokals zurückdenken, kann man mit dem Jubiläums-Programm jetzt im Mai ganz gut: Von Bulbul über Fennesz bis hin zu Radian spielen diesen Monat treue Wegbegleiter auf der kleinen, aber so wichtigen Bühne.
Videos by VICE
In einem Zeitraum von 20 Jahren passiert viel. Im U-Bahnbogen 37 hat sich in dieser Zeit eine eigene Underground-Parallelwelt entwickelt, aus der eine eigene Familie entstanden ist, in die immer wieder neue Mitglieder aufgenommen werden, in der man sich aber schweren Herzens auch von Menschen für immer verabschieden muss. Einer dieser Menschen ist der ehemaliger Türsteher des Lokals, der Andi. Bevor man sich das erste Bier drinnen an der Bar holte, war ein kurzes Gespräch mit Andi schon das erste Highlight des Abends. Auch dem Journalisten Philipp L’Heritier, der im Dezember letzten Jahres verstorben ist, hat man im rhiz einen Abend gewidmet.
Das rhiz ist ein magischer Ort, der magische, talentierte und besondere Menschen anzieht. Herbert Molin und Peter Rantasa haben das Underground-Juwel vor zwei Jahrzehnten ins Leben gerufen (gemeinsam mit Christoph Kurzmann, der aber nie offizieller Teilbesitzer war) und haben der (elektronischen) Wiener Musikszene damit eine Festung gebaut, auf die wir auch noch weitere 20 Jahre +++ hoffen. Wir haben die beiden gebeten, uns einige ihrer Lieblingsfotos der letzten Jahre zu schicken und uns ein paar Fragen zu beantworten.
Noisey: Was ist die größte Veränderung, die ihr in 20 Jahren am Gürtel mitbekommen habt?
Herbert Molin: Schwierig, es ist ein ewiges Auf und Ab. Wir halten durch gutes Programm noch immer die Stellung – 20 Jahre, ganz schön lang!
Peter Rantasa: Die Geburt der dichtesten Musikmeile Wiens, das Ende des Straßenstrichs am Gürtel und in den letzten Jahren die Manifestation als Brennpunkt gesellschaftlicher Verwerfungen im Zuge von Globalisierung, Ungleichheit, Ungerechtigkeit und der Unfähigkeit der Politik, mit diesen Dingen umzugehen. Gleichgeblieben ist wohl nur das ewige Rauschen des Verkehrs …
Wer sind die längsten Begleiter des rhiz?
Herbert Molin: Fritz Ostermayer, Dieb13, Bulbul, Wipeout, Bernhard Fleischmann, Peter Rehberg, Fennesz, John Norman, Radian und einige nicht namentlich genannte Stammgäste und der Gürtelnightwalk.
Peter Rantasa: Viele davon sind in unserem Jubiläums Festival zu hören.
Was war vor 20 Jahren unter anderem in der Gastronomie einfacher, was nicht?
Herbert Molin: Es gab weniger Lokale, daher war es für die einzelnen Lokale einfacher, ein Stammpublikum zu generieren. Schwerer war, dass es weniger Publikum gab – man musste daher einen prozentmäßig größeren Anteil an sich binden, um zu überleben.
Peter Rantasa: Alles war einfacher. Aber unser Thema ist nicht unbedingt die Gastronomie, sondern die Musik. Das rhiz ist für uns weniger eine “Gürtlhüttn” als ein Kunstprojekt, hervorgegangen aus dem Avantgarde-Festival phonoTAKTIK.95, um eine Bühne für die in diesem Festival präsentierten abgelegene Musiken zu schaffen, die es damals in ganz Wien noch nicht gab.
Wie würde die Wiener Musikszene ohne dem rhiz aussehen?
Herbert Molin: Weniger bunt und spannend.
Peter Rantasa: Ah – wir nehmen uns schon ernst. Aber so ernst dann auch wieder nicht! Viele tolle Momente hätte es wohl nicht so schön wie bei uns, aber dafür vielleicht halt irgendwie anders gegeben. Trotzdem sind wir selbstverständlich unersetzlich ;-). Wir haben 20 Jahre bewiesen, dass auch von der offiziellen Kulturförderung ignorierte Musik in dieser Stadt ihren Platz hat, ihre Kraft entfalten und zu etwas Großem und weit über die Stadtgrenzen hinaus Wahrgenommenem werden kann.
Was war der größte Schicksalsschlag des rhiz?
Herbert Molin: Der Tod einiger Stammgäste und unseres ehemaligen Doormans Andi im letzten Jahr.
Peter Rantasa: In 20 Jahren haben wir einige treue Wegbegleiter an den Tod verloren.
Was wünscht ihr euch zu eurem Geburtstag?
Herbert Molin: Noch 20 Jahre und viele tolle, spannende Konzerte und Clubabende.
Peter Rantasa: Viel gute Laune, intensivste Konzerte und gute Vibes für alle.
Wie viel Liter Bier habt ihr schätzungsweise seit Bestehen verkauft?
Herbert Molin: Viel, 800.000 Krügerln vielleicht?
Peter Rantasa: Wer kann das wissen! Wir haben es nicht gezählt.
Wie viele Paare haben sich im rhiz kennengelernt?
Herbert Molin: Keine Ahnung, ich hab auf jeden Fall meine Frau im rhiz kennengelernt.
Peter Rantasa: Tausende! Mindestens!
Die Nacht ist für viele keine einfache Arbeitszeit: Wie schafft man es, trotz Nachtarbeit gesund zu bleiben?
Herbert Molin: Wenig trinken, gesund essen, Sport …
Peter Rantasa: Man muss die Nacht und ihre Menschen schon lieben.
Welche Künstler sind euch am meisten ans Herz gewachsen?
Herbert Molin: Viele, kann sie jetzt gar nicht alle aufzählen. Aber natürlich unser erster Gast Fritz Ostermayer, Bulbul, die für uns drei Mal wahnwitzige 10-teilige Konzertreihen gespielt haben, Bernhard Fleischmann und Soap & Skin, die ihre ersten Konzerte bei uns gespielt haben, sunn 0))), die ihr erstes Wien-Konzert bei uns gespielt haben, Blurt und viele andere, die immer wieder und gern bei uns spielen.
Peter Rantasa: Alle, die ihre ganz eigene Welt haben.
Zum Abschluss: Was ist oder sind eure persönlichen Lieblingsgeschichten aus den letzten 20 Jahren?
Herbert Molin: Sehr schön fand ich, dass Soap & Skin, nachdem sie wirklich berühmt wurde, unbedingt ein Geheimkonzert bei uns spielen wollte (und gespielt hat), und dass sich der Nino aus Wien das rhiz für seine 3-tägigen Festspiele ausgesucht hat. Und dass jetzt zum 20-jährigen Bestehen alle, die uns von Anfang an begleitet haben und die wir gefragt haben, sofort zugesagt haben, wieder bei uns zu spielen. Auch schön, dass mir Ted Milton (Frontman von Blurt, Anm.) eine “goldene” Uhr geschenkt hat mit der Gravur: “Herbie, hero of blurt first class”.
Peter Rantasa: Ich denke da an verrückte Sachen wie eine Oper zu produzieren (“Forget me@not”), einen Konzertflügel in unsere kleinen Hallen anzuschleppen (Hannes Löschl, Rupert Huber), internationale Superstars zu buchen (Autechre, Psychic TV) und ähnliche idealistische Wahnsinnigkeiten, mit denen wir nicht aufhören werden … permanent underground festival eben.
**