Ich stehe vor meinem Kleiderschrank und suche seit einer Stunde nach dem richtigen Outfit. Eine wichtige Podiumsdiskussion steht an. Ich will gut aussehen, aber auch nicht zu gut. Meine Kleidung soll professionell wirken, aber auch nicht zu professionell. Lässig soll es aber bitte auch sein.
Ich bin an diesem Abend nervös, Herbst 2018, ich fühle mich von meinen eigenen, völlig irrationalen Gefühlen übermannt – nicht, weil ich gleich vor sehr vielen Menschen sprechen werde, sondern weil ich das Gefühl habe, dass meine Klamotten nicht richtig sitzen. Dabei soll es doch um meine Inhalte gehen, nicht um mein Aussehen. Ich kann mich so gut an meine Verzweiflung erinnern, weil ich an diesem Abend eine Entscheidung traf, die vieles verändern sollte: Die Entscheidung, bei wichtigen Terminen immer das gleiche Outfit zu tragen.
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Schwarzer Rollkragen, schwarzes Oversize-Sakko, schwarze, weite Hose, Haare zusammengebunden. Auch die österreichische Journalistin und Moderatorin Corinna Milborn trägt immer sehr ähnliche Outfits: Sie habe festgestellt, dass ihre journalistische Arbeit davon profitiere, wenn sie ihre Kleidung auf eine Art Uniform reduziere. Ähnlich wie Milborn will ich keine Zeit für mein Aussehen verschwenden, ich möchte mich auf meine Inhalte konzentrieren. Meine “Uniform” bemerken auch andere, Bekannte sprechen mich darauf an und nicken anerkennend, wenn ich meine Beweggründe beschreibe.
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Frauen werden ständig nach ihrem Aussehen bewertet. Ihr könnt euch doch noch alle an den Aufschrei über Angela Merkels Bayreuth-Kleid erinnern? Oder den wegen ihres Oslo-Kleids? Und auch das “Kleider-Recycling” von Meghan Markle ist ein Thema, nur weil sie ein Kleid ein zweites Mal trägt. Bei Kleider-Recycling denke ich ja eher an die alte Jacke meiner älteren Schwester, die ich nach ihr getragen habe und die später an meine Cousine in Bosnien weitergegeben wurde, aber was weiß ich schon.
Mein Leben lang wähle ich Kleidung aus, in der ich möglichst gut aussehe, privat wie beruflich. Das ist per se nichts schlechtes, natürlich wollen wir uns alle wohlfühlen, auch in unserer Kleidung. Ich habe meine Klamotten aber nicht nach meinem Geschmack ausgesucht, in erster Linie wollte ich Schönheitsidealen entsprechen, den anderen gefallen. Mit Wohlfühlen hat das wenig zu tun.
Die “anderen”, damit meine ich zum Beispiel Familienmitglieder, die mir Komplimente für mein Kleid machen, weil es mich besonders schlank aussehen lässt. Diese Komplimente sind, wenn ich ehrlich bin, Balsam für meine unsichere Seele. Meinem Selbstwert hilft es aber nicht. Für mich ist Mode lange keine Form von Empowerment. Ich wähle meine Outfits nicht danach aus, wie ich sie finde. Es geht um Erwartungen: möglichst dünn wirken und am besten so aussehen, als hätte ich die Auslage von Urban Outfitters geplündert. Schweißflecken sind ein No-Go, Nippelblitzer auch.
Unter der unbequemen Jeans trage ich noch unbequemere Unterwäsche – man weiß ja nie. Wie peinlich wäre es, wenn ich Sex habe und einen hautfarbenen Schlüpfer aus Baumwolle trage? Nein, dann besser das Höschen mit schwarzer Spitze, natürlich aus Polyester. Scheidenpilz inklusive. Bitte lasst das Internet nicht explodieren, nur weil ich Scheidenpilz geschrieben habe, ja? Fast jede Frau hatte schon mal einen.
Je mehr ich mich mit den gesellschaftlichen Erwartungen auseinandersetze, die eine Frau zu erfüllen hat, umso klarer wird mir, dass Mode politisch ist. Ich treffe mit jedem Outfit eine politische Entscheidung und bis vor Kurzem bedeutete das: Ich beuge mich dem Patriarchat.
Das möchte ich nicht mehr. Also sortiere ich jedes einzelne Teil aus, das nicht bequem ist und mich glücklich macht, während ich es trage. Ich bin so radikal in meinem Aussortieren, Marie Kondo wäre stolz auf mich – und würde mir dann wahrscheinlich vorschlagen, Hausschlappen für 206 Dollar in ihrem Online Shop zu kaufen. Ich schwöre, nie wieder zu enge Jeans zu tragen. Ich verbanne den BH aus meinem Kleiderschrank und mit ihm die Tabuisierung weiblicher Brustwarzen. Ciao Kakao auch an den kurzen Overall, der meine Taille betont, aber an jeder Stelle zwickt.
Freundinnen machen Scherze auf meine Kosten, wenn ich mich beim Shoppen gegen ein Shirt entscheide: “Der Comfortfaktor ist nicht vorhanden” sage ich und sie lachen. Aber zum ersten Mal finde ich meinen eigenen Zugang zu Mode. Fashion hilft, sich selbst auszudrücken und was ich der Welt sagen möchte: Es ist mir egal, wie ihr meinen Kleiderstil findet.
Was das mit mir macht? Es ist sehr einfach. Ich verbringe deutlich weniger Zeit damit, mein Outfit auszusuchen. Ich besitze deutlich weniger Klamotten. Und es fühlt sich jedes Mal wie eine kleine rebellische Aktion an, wenn ich eben nicht zur Jeans greife, die meine Beine schlanker aussehen lässt, sondern zu der bequemeren. Meine Freundin Johanna kommentiert die Entwicklung meiner Kleidung so: Du sagst seit einem Jahr Ja zu Dir. Ich finde, damit hat sie Recht.
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