Tech

Zu versext: Google hat die ‘Titanic’-App aus dem Play Store geschmissen

Chefredakteur der Titanic Moritz Hürtgen. Im Interview erzählt er, was es mit der Sperrung des Magazin.Accounts auf Google auf sich hat.

Provokation ist das Geschäftsmodell der Titanic. Und nackte Körper sind dabei lang nicht das Anstößigste, das man von der Satire-Zeitschrift kennt. Man denke nur an die Kampagnen gegen Helmut Kohl, die Witze über das Verhältnis zwischen West- und Ostdeutschland oder über die angebliche Inkontinenz des Papstes (gegen die der Vatikan sogar juristisch vorgegangen ist). Doch jetzt reichten schon nackte Körper dafür aus, dass  Google die Titanic-App in seinem Store gesperrt hat. 

Titanic-Cover 12/2020

An drei Covern nimmt Google dabei Anstoß. Auf dem Januar-Cover sieht man Papst Franziskus mit Kruzifix im Hintern und Jesus mit entblößtem Penis. Auf den April-Ausgaben von 2018 und 2019 Fotos von Menschen beim Geschlechtsverkehr. Was soll das?

Videos by VICE

Wir haben mit Moritz Hürtgen, dem Chefredakteur von Titanic gesprochen. Er hat uns erklärt, wie es zur Sperrung kam und warum es uns alle angehen könnte.


Auch bei VICE: Was kostet Kokainsucht?


VICE: Herr Hürtgen, was ist da passiert?
Moritz Hürtgen: Wir haben Ende Januar, kurz bevor unser Februarheft erschien, eine automatische Mail von Google bekommen. Unsere App sei wegen des aktuellen Covers jetzt gesperrt. Wir haben dann angeboten, den Penis von Jesus zu zensieren, aber das war schon nicht mehr relevant. Da hatten die wohl schon alte Ausgaben durchgeguckt und ein paar Minuten später noch weitere Cover beanstandet. Die auch noch zu zensieren, wäre uns zu weit gegangen. Also wurden wir gesperrt.

Titanic-Cover 04/2018
Bild: Titanic Cover 04/2018

Was heißt gesperrt?
Die App wird im Google Play Store nicht mehr angezeigt. Wenn man danach sucht, kann man sie nicht mehr runterladen. Nutzer, die sie schon haben, können sie weiterhin öffnen, aber wir können sie nicht mehr aktualisieren – also keine neuen Ausgaben hochladen. Das ist dumm, weil wir darüber unser Online-Abo vertreiben. Manche Leute haben also zum Beispiel für ein Jahr bezahlt, können nun aber keine neuen Ausgaben bekommen. 

Was können Sie da noch machen?
Anfangs konnten wir noch Push-Nachrichten versenden, dass die neue Ausgabe draußen ist und die Leute uns ihre Kontaktdaten zukommen lassen sollen, damit wir ihnen die PDFs zukommen lassen können – die Daten unserer Abonnenten liegen nämlich bei Google, wir können sie nicht einsehen. Mittlerweile geht aber auch das nicht mehr. Wir kommen selbst nicht mehr in die App rein. 

Was bedeutet das nun finanziell für Sie?
Das ist nicht schön, aber wir sind in der glücklichen Lage, dass sich der Großteil unserer Einnahmen noch aus Print-Abos zusammensetzt. Dem Trend sind wir da natürlich 20 Jahre hinterher. Auch von Anzeigenkunden sind wir nicht abhängig, sonst wäre es jetzt während Corona noch ungemütlicher geworden.

Kein Problem also?
Uns schwebt schon in irgendeiner Form eine digitale Zukunft vor. Deshalb ist es natürlich unschön, dass wir bei Google raus sind. Für uns bedeutet das ja, dass Google keine Plattform ist, auf der Titanic stattfinden kann: Wir sind bewusst eine vollkommen unabhängige Redaktion. Das steht so in unserem Statut. Nur die Redaktion bestimmt die Inhalte. Jetzt ist das unschön, aber wir können ja auch keine Google-App anbieten, in der Hefte fehlen.

Wie gehen denn andere Anbieter mit dem Thema um?
Google ist bestimmt nicht schlechter oder besser als Apple oder Facebook. Aber wenn auf Facebook ein Cartoon von uns gesperrt wird, beklagen wir uns nicht groß, sondern laden ihn einfach nochmal hoch. Und wenn er dann nochmal gesperrt wird, ist das halt so. 

Ihre App ist auch im App-Store von Apple.
Bei Apple hatten wir schon einmal den Fall, dass wir gesperrt wurden. Wir haben dann Beschwerde eingelegt, die haben das überprüft, als Satire erkannt und uns wieder freigeschaltet. Da sind jetzt alle Hefte online. Bei Google wurde stattdessen nur noch mehr verboten. 

Was meinen Sie, könnte Googles Motivation sein?
Es gibt ja dieses Klischee, dass man sich in den USA schwertut mit sexuellen Inhalten. Ich weiß nicht, ob es das jetzt erklärt. 

Stehen Sie denn mit Google in Kontakt?
Für uns ist es überhaupt nicht durchsichtig, mit wem wir da sprechen. Es ist alles auf Englisch, aber ob die Personen in Europa oder den USA sitzen, keine Ahnung. Die Sache ist für uns ja auch klar: Das sind keine pornographischen Inhalte. Jede Parfum-Werbung ist expliziter. 

2019_04.jpg
Bild: Titanic Cover 04/2019

Wenn die nur Englisch sprechen, verstehen die Mitarbeiter womöglich die Satire einfach nicht und sehen nur die nackten Körper.
Vielleicht. Aber gerade dieses 2019er Motiv mit dem kopulierenden Pärchen, über das Quatsch drüber gemalt ist, da muss man doch sehen, dass das Unfug ist. Die Motivation dahinter verstehe ich nicht. 

Schon wieder ist es ein kirchliches Motiv, für das es Ärger gibt.
Ja, aber diesmal geht es Google sehr wahrscheinlich nur um den sexuellen Inhalt. Ich glaube nicht, dass die im Interesse des Papstes handeln.

Was bedeutet es für die Meinungsfreiheit, wenn uns internationale Unternehmen ihre Moralvorstellungen aufdrängen?
Das bedeutet nichts Gutes, aber die Meinungsfreiheit besteht weiterhin. Ich muss ja nicht bei Google sein. Trotzdem hat Google quasi ein Monopol. Eigentlich müsste man jetzt seriöse Aufrufe starten. Damit die Politik sich mal langsam rechtliche Gedanken macht und dann auch handelt, wenn sie nicht zu faul oder feige ist. Aber Titanic ist für seriöse Aufrufe nicht zu haben, das müsste jemand anderes starten.

Sie wollen nicht klagen?
Wir haben zwar Anwälte, die ähnlich gut bezahlt werden wie die von Google, aber das kann ich jetzt noch nicht sagen.

Ein Journalist hat Ihren Tweet zu dem Thema mit dem Kommentar geteilt, “Das Ende der Aufklärung trinkt Smoothies im Silicon Valley”. Was denken Sie dazu?
Den Gag würden wir nicht bringen. Smoothies hat man vor 15 Jahren in Berlin getrunken, das ist nicht mehr aktuell. 

Wie müsste man den Gag anpassen, damit er Ihren Ansprüchen genügt?Das verrate ich natürlich nicht. Das kann man dann in der nächsten Titanic-Ausgabe nachlesen.

Folge Robert auf Twitter und Instagram und VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.