Vier Monitore zeigen Bennys Lieblingspornos in Dauerschleife. Auch auf seinem iPhone und seinem iPad laufen Pornos. Damit er sie ganz nah vor sich hat, hat Benny für seine Geräte ausziehbare Halterungen am Kopfende seines Betts montiert. Auf diese Weise hat er auch die Hände frei. Abgesehen vom Licht der Bildschirme ist sein Zimmer dunkel. Benny will außer Pornos nichts sehen. Eine Sexpuppe ohne Kopf und Extremitäten, dafür aber mit großen Brüsten, steht griffbereit.
“Das Setup verbessert die Seherfahrung, indem es die Sinne unablässig mit starken Reizen bombardiert”, sagt Benny. “Man verliert sich in den ganzen Bildschirmen, Geräuschen und Empfindungen. Man gelangt in einen tranceartigen euphorischen Zustand, verliert sein Gefühl für Zeit und Realität, lebt wahrhaftig im Jetzt.”
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Er habe schon immer auf Pornos und Edging gestanden, sagt Benny – also darauf, immer wieder so nah wie möglich an einen Orgasmus heranzukommen, ohne zu kommen. Während des Corona-Lockdowns habe er dann allerdings damit angefangen, mehr Zeit darin zu investieren. Auch Kiffen, mit dem er ebenfalls während des Lockdowns begonnen hat, spielt für Benny beim Gooning eine wichtige Rolle. “Gras macht Edging so viel besser. Da sonst nichts zu tun war, verbrachte ich mehrere Stunden am Tag mit Edging und suchte Mittel und Wege, um jede Session noch besser und intensiver zu machen.”
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Sein mit Monitoren zugepflastertes Zimmer ist ein gutes Beispiel für eine sogenannte Goon Cave. Das ist ein Raum, der speziell dazu da ist, stunden- oder sogar tagelang Pornos zu schauen und zu masturbieren. Gooner und ihre Caves gibt es schon lange, aber in den vergangenen Jahren ist ihre Community sprunghaft gewachsen – und mit ihnen auch die Gruppe der Menschen, die sie mit Material versorgen.
Was ist Gooning?
Der englische Begriff Goon hat verschiedene Bedeutungen, einige sind relativ harmlos, andere weniger. Als Substantiv ist mit Goon klassischerweise ein Schlägertyp oder Handlanger gemeint – ein Mann fürs Grobe, der nicht besonders intelligent ist. Aber Sprache verändert sich und laut Urban Dictionary bezeichnet das Wort Goon seit etwa zwei Jahrzehnten auch eine Person, die so sehr aufs Masturbieren fixiert ist, dass sie sich selbst und alles um sich herum vergisst. Man könnte auch sagen, Gooning heißt: sich dumm wichsen.
Aber auch bei Urban Dictionary wird auf den Trance-Aspekt des Goonings angespielt. Es sei der Zustand, “wenn ein Mann vollkommen von dem Gefühl hypnotisiert wird, das sein Penis ausstrahlt”, heißt es in dem Top-Eintrag auf der Seite. Gooning ist also kein überhastetes Wichsen, sondern eine ausgedehnte Edging-Session, die Gedankenlosigkeit, Kontrollverlust und totale Hingabe zum Ziel hat.
“Es ist der erste große neue Fetisch der 2020er.”
Die Gooner, mit denen ich für diesen Artikel gesprochen habe, teilen diese Definition. Einige von ihnen beschreiben sich sogar als pornosexuell, also als Menschen, die Pornos gegenüber echtem Sex bevorzugen.
Wenn man sich Google-Statistiken anschaut, dann erlebt Gooning einen stetigen Aufwärtstrend. Im Gegensatz zu anderen Fetischen und Kinks gibt es aber bislang kaum akademische Auseinandersetzungen mit dem Phänomen. In der Pornoindustrie ist man da schon etwas weiter.
So hat sich die Sexarbeiterin Angel Au Lait in den letzten Jahren auf Gooning spezialisiert. 2017 habe jemand sie zum ersten Mal mit dem Wunsch nach einem persönlichen Gooning-Clip kontaktiert. “Damals wusste ich nicht, was das ist, und niemand hatte irgendwas veröffentlicht, das den Durchbruch in den Mainstream geschafft hatte”, sagt sie. “Also habe ich es gemacht und schnell gemerkt, dass diese Nische extrem wenig bedient wurde.”
2021 startete sie ihre eigene Website, The Goon Hole, mit Videos und Fotoserien. In vielen Videos sprechen die Darstellerinnen die Zuschauer direkt an und geben Wichsanleitungen. Die Ästhetik ist geprägt von bunten Grafiken und Texteinblendungen.
Diese Gooning-Inhalte haben Gemeinsamkeiten mit anderen Domination-Kinks zum Beispiel JOI – kurz für Jerk-Off-Instructions, also Wichsanweisungen –, bei denen dem Zuschauer Schritt für Schritt gesagt wird, wie er sich berühren und was er dabei sagen soll.
Die Sexarbeiterin Iwantprinxess, die sich auf Gooning und Financial Domination spezialisiert hat, sagt: “Gooning heißt für mich, seine Gedanken loszulassen und deiner Herrin die volle Kontrolle über deinen Geist und/oder dein Handeln zu geben. Das bedeutet, sich vollkommen von einer starken Frau anleiten zu lassen.”
Sie glaubt, dass die meisten Menschen eine Vorliebe für Gooning haben, weil es ihnen den Entscheidungsprozess abnimmt. “Wenn du zustimmst, zum Goon zu werden, ist es beruhigend, eine Domina zu haben, der du so sehr vertraust, dass du nicht mehr selbst denken musst.”
Inzwischen sind auch größere Seiten auf das Phänomen aufmerksam geworden. Clips4Sale hat vor Kurzem Gooning als offizielle Kategorie hinzugefügt. Eine Sprecherin des Unternehmens, Avery Martin, sagt auf Anfrage: “In den vergangenen paar Jahren ist Gooning nicht nur ähnlich wie Edging als eigene Sexpraxis aufgetaucht, sondern als Fetisch mit eigener Community und Ästhetik.” Man habe verstärkt beobachtet, wie die Videomacherinnen Beziehungen zu ihren Goons aufbauen. Teilweise würden sie wie Göttinnen verehrt werden. “Wir haben seit JOI – Jerk-off-instructions – keine Kategorie so durchstarten sehen. Es ist der erste große neue Fetisch der 2020er.”
Was macht eine gute Goon Cave aus?
Sich zu Hause einen Raum für bestimmte Freizeitzwecke einzurichten, ist so alt wie der Hobbykeller deiner Großeltern. Heute nennt man sie vielleicht Man Caves und She Sheds oder wie bei Gamern Battlestations, aber das Konzept ist im Grunde dasselbe – und Goon Caves schließen nahtlos an diese Tradition an.
Thomas Brooks, ein Psychologiedozent der New Mexico Highlands University sagt, dass Goon Caves – genau wie ihre etwas familienfreundlicheren Verwandten – Orte seien, die sich fernab der Alltagswelt befinden. “Sie verlagern die Masturbation von einer Sache, die beiläufig im Alltag geschieht, an einen heiligen Ort, der ihr eine symbolische Bedeutung verleiht”, sagt er.
Diverse Gooner, mit denen ich gesprochen habe, betonen, dass eine Cave gemütlich sein muss. Schließlich können die Sessions Stunden oder gar Tage dauern. Je komfortabler und besser ausgestattet die Umgebung ist, desto länger können sich die Gooner dort aufhalten.
Mehrere Bildschirme sind ein Muss: Laptops, Tablets, Monitore, Beamer – Hauptsache, es laufen so viele Pornos gleichzeitig wie nur möglich. Manche hängen sich zusätzlich Poster und Ausschnitte aus Pornozeitschriften an die Wand. Gleitgel, Snacks und Sexspielzeug sind optional, aber hilfreich, wenn es mal länger dauern soll.
Auch der Reddit-User Jerkjunkie1010 hat mehrere Abspielgeräte in seiner Goon Cave: einen Laptop, ein Tablet, einen Beamer, zwei DVD-Playern und eine PlayStation 4. Die Reizüberflutung sei für ihn maßgeblich für die Cave-Experience. “Ich kann auf einen Bildschirm oder ein Magazin starren, aber auch die Ränder meines Blickfelds sind ständig ausgefüllt und ich höre überall um mich herum Geräusche”, sagt er. “Das alles sorgt dafür, dass ich stundenlang beschäftigt bin.”
Anderen geht es um Abwechslung. Der User aussiepornaddict ist Moderator des Subreddits r/gooncaves, einem der größten Gooning-Foren überhaupt. “Ich lasse mehrere Pornos laufen, manchmal gibt es langweilige Stellen, die mich nicht ansprechen. Anstatt vorzuspulen kann ich einfach auf einen anderen Bildschirm gucken”, sagt er. “Es gibt auch bestimmte Pornostars, die ich wirklich bewundere. Ich habe ihre Videos gerne auf mehreren Bildschirmen.”
Eine solide Pornosammlung ist natürlich unerlässlich für jede Goon Cave. “Vielen geht es beim Gooning um Pornos – so viele Pornos wie möglich! Es ist ein Fetisch, in den man schnell tiefer eintaucht. Das Verlangen danach wird dabei selber zum Fetisch”, sagt Angel Au Lait. Die Community verstärke sich gegenseitig. “Gooner spornen sich gegenseitig an, neue Sachen zu kaufen, bestimmte Videos zu gucken, sie fordern sich gegenseitig heraus, wer am längsten edgen kann. In der großen Mehrheit sind sie positiv und respektvoll im gegenseitigen Umgang. Und sie beten Pornos geradezu an.”
Bewusstseinserweiternde Substanzen spielen teilweise auch eine Rolle. Einige Gooner verwenden Poppers, verschreibungspflichtige Medikamente oder illegale Drogen, um ihre Sessions zu intensivieren oder in die Länge zu ziehen. Der Reddit-User 420j0bud schwört auf amphetaminhaltige ADHS-Medikamente wie Adderall oder Elvanse. “Es macht einen hyperfixiert auf die Pornos und ein kleines bisschen weniger empfindlich, wodurch man wortwörtlich stundenlang an der Schwelle zum Orgasmus bleiben kann.”
Seine längste Session habe 32 Stunden gedauert, sagt er, mit zwei Pausen zum Essen und Ausruhen. “Wenn man in die dritte oder vierte Stunde kommt, geht die Stimulation in einen ganz neuen Modus über und fühlt sich so unfassbar gut an, dass du eigentlich am liebsten niemals kommen würdest. Wenn du kommst, kannst du nämlich nicht mehr edgen, und wenn du nicht mehr edgen kannst, kannst du nicht mehr goonen”, sagt er. “Ich möchte Menschen über die Goon-Kultur aufklären. Einige goonen vielleicht schon, ohne den Begriff zu kennen.”
Die Gooning-Community
Auch wenn die Goon Cave für viele Gooner ein heiliger Ort ist, teilen sie ihr Glück gerne mit anderen. Der Subreddit r/gooncaves hat aktuell rund 36.400 Subscriber. Die meisten nutzen das Forum, um Fotos ihrer Setups zu posten oder von Videos, die sie gerade schauen. Einige geben dort auch der Community Bescheid, wenn sie eine Goon-Session beginnen und bereit zum Chatten über Direktnachrichten sind.
Der User porn_brained sagt, dass er fast immer die Pornos, die er gerade schaut, auf einem Dischord-Server streame, wo Leute sich zum gemeinsamen Pornogucken und Quatschen treffen können. “Ich persönlich finde es nett, Pornos in diesem semisozialen Setting zu schauen. Ich fühle mich dann weniger allein damit, dass ich eine gesellschaftlich nicht akzeptierte Gewohnheit habe”, sagt er.
“Ich habe meine Freunde, ich habe meine anderen Hobbys und ich habe Pornos und Gooning, um die sexuellen Bedürfnisse zu erfüllen, die fast alle Menschen haben.”
Der Aufbau und das Teilen der Goon Caves macht die eigentlich sehr einsame und isoliert stattfindende Masturbation zu etwas Sozialem – wenn auch in einem virtuellen Raum.
“Deindustrialisierung und Vereinzelung spielen meiner Meinung nach eine große Rolle dabei, dass Männer homosoziale Freizeitorte verlieren und weniger funktionierende Langzeitbeziehungen haben”, sagt der Psychologe Thomas Brooks. “Für Männer, die sich einsam und isoliert fühlen oder die vielleicht keine tiefergehenden zwischenmenschlichen Beziehungen haben, ist das einzige, was sie nach der Arbeit tun können, Computerspiele spielen oder masturbieren.” Für homosoziale Freizeitaktivitäten, also Dinge, die man “mit den Jungs” macht, brauche man einen Ort, den man mit anderen teilen kann. “Und wenn man in der Wohnung nur ein Gaming-Setup oder wie in diesem Fall eine Goon Cave hat, dann teilt man eben das, um sein Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu bedienen.”
Ein Begriff, der in diesem Umfeld häufig fällt, ist pornosexuell, sei es als Anspielung im Usernamen oder als Selbstbeschreibung einiger Gooner. Zu dieser Gruppe zählt sich auch porn_brained. Er beschreibt sich als 21-jährigen Mann mit “einer Todesangst vor Sex”. Für ihn seien Pornos eine Flucht vor dem Alltag und ein Weg, um Sex indirekt zu erkunden, sagt er.
“Ich habe momentan wirklich wenig Interesse daran, Sex mit einer ‘echten’ Partnerin zu haben”, sagt er. “Ich bin keine Jungfrau, aber ich fand Sex nie besonders befriedigend.” Auch an einer romantischen Beziehung habe er momentan kein Interesse, seine platonischen erfüllten ihn genug. “Ich habe meine Freunde, ich habe meine Arbeit, ich habe meine anderen Hobbys und ich habe Pornos und Gooning, um die sexuellen Bedürfnisse zu erfüllen, die fast alle Menschen haben.”
Jerkjunkie1010 sagt, dass er den Begriff Pornosexuell bis vor ein paar Monaten noch gar nicht kannte, sich aber durchaus davon angesprochen fühle. “Ich identifiziere mich gerne so, aber ich war schon immer offen und fluide, was mein Gender und meine Sexualität angeht.” Er beschreibt sich als 25 Jahre alte Jungfrau. “Ich hatte ein paar Beziehungen in meinem Leben, aber Sex hat da nie eine so wichtige Rolle gespielt.”
Nicht alle Gooner definieren sich als pornosexuell. Ein 30-Jähriger, der sich online LordPornAddict nennt, sagt, dass er seine Goon Cave nur aufbaue, wenn seine Frau, mit der er zusammenlebt, unterwegs ist. Sie wisse nichts von seinem Hobby, aber ihr Sexleben sei so gut wie seit Langem nicht, sagt LordPornAddict. Er macht dafür die stundenlangen Goon-Sessions verantwortlich, die seinem Penis “ein super Durchhaltevermögen” gegeben hätten.
Seit sechs Jahren baut er seine Cave auf und ab, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Seine längste Session habe sich über 40 Stunden gezogen. Da sei seine Frau übers Wochenende auf einer Geschäftsreise gewesen.
“Ich habe mit dem Gooning am Freitag um 17 Uhr begonnen und es bis Sonntagmittag durchgezogen”, sagt LordPornAddict. “Es liefen nonstop Pornos auf meinem Fernseher, PC, Tablet und Handy. Mein Tablet habe ich überall mit mir rumgetragen. Auf dem Fernseher liefen pausenlos Pornos, auch wenn ich gar nicht im Raum war. Auf meinem PC liefen Pornos. Es liefen sogar Pornos, während ich geschlafen habe, um mein Gehirn zu beeinflussen. Es waren die besten Stunden meines Lebens.”
Benny möchte sich nicht festlegen. Pornos seien zwar seine wichtigste Quelle für sexuelle Befriedigung, allerdings nur momentan. “Ich unterscheide mich von echten Pornosexuellen darin, dass ich, wenn ich eine Frau oder Freundin hätte, lieber mit ihr Sex hätte als mit einem Sextoy”, sagt er. “Echte Pornosexuelle bevorzugen immer Pornos, auch wenn sie die Wahl haben. Ich habe miterlebt, wie viele Menschen langsam ihr Leben zerstört haben, weil sie außer Pornos nichts im Leben wollen.”
Er versuche, eine Balance zu finden, sagt Benny. Er nehme sich immer wieder Auszeiten vom Gooning, um sich auf andere Lebensbereiche zu konzentrieren. “Wenn ich meine Plattform hier dazu benutzen könnte, Menschen in dieser Community zu beeinflussen, würde ich sagen, dass es mehr im Leben gibt als Pornos. Achtet auf die Balance”, sagt er.
“Ironischerweise wirst du nur, wenn du auf dich selbst achtest, über einen längeren Zeitraum Spaß an Pornos haben. Wenn du kein gesundes Mittelmaß findest, besteht die Gefahr, dass du dich darin verlierst und so depressiv wirst, dass du das Leben nicht mehr genießt – nicht mal mehr die Pornos.”
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