FYI.

This story is over 5 years old.

Wahlen 2015

Fragen, die die "Mir langets"-Aktion in der 20 Minuten aufwirft

Politik zu verändern wäre schon schwer genug, würden nicht auch noch die Medienhäuser mitspielen.
Fotomontage von VICE CEE

Heute besteht die 20 Minuten-Titelseite zur Abwechslung mal nicht aus dem Neuesten, was die Presseagenturen aus aller Welt als für Herr und Frau Schweizer sinnvolle Inhalte auserkoren haben, sondern aus 10'000 Namen.

Foto vom Autor

Der Grund dafür findet sich in der Aktion eines aufgeweckten Studentens namens Donat Kaufmann, der nach eigener Aussage von drei Aspekten des diesjährigen Wahlkampfs die Nase voll hatte:

Anzeige

Screenshot von Donats Wemakeit-Seite

Der diesjährige Wahlkampf erinnerte durchaus an den Pausenhof einer Privatschule: Alle Kinder in der Abschlussklasse werden am selben Tag 16 Jahre alt, haben ohne Ende Geld und nur ein Ziel: Die anderen Kinder möglichst in Massen an ihre Geburtstagsparty zu locken. Daher geht es nicht nur darum, das beliebteste Kind auf dem Hof zu sein, sondern eben auch darum, von den anderen Kindern möglichst nicht als Arschloch wahrgenommen zu werden.

Das hast du etwas besser hinbekommen, wenn dir Papa einen Chart-Hit zusammengeschustert hat—und ein bisschen weniger, wenn du eines der kleineren Kinder mit dem Auto angefahren hast. Es versteht sich von selbst, dass in einer solchen Situation am liebsten niemand über mühsame Sachpolitik sprechen will, das macht nur unbeliebt und angreifbar—lieber K.O.-Shots saufen und in irgendeiner Dorfdisco „Welcome to SVP" grölen. Das ist sicherer.

Wie jedes Jahr, bei jeder Initiative und jedem Wahlkampf hat die SVP den reichsten Daddy und die beste Werbeagentur im Rücken. Die anderen Parteien können oder wollen da nicht mithalten und warten jeweils darauf, dass die „Wir gegen alles und jeden"-Partei die Themen ansagt und man sich dann entweder dafür (FDP) oder dagegen (SP) positioniert.

Nachdem die SVP allerdings gemerkt hat, dass wir wirklich kaum Flüchtlinge im Land haben und gleichzeitig eine Willkommenskultur den Kontinent überschwemmt, hat sie kurzerhand auf einen anderen parteispezifischen Inhalt umgeschwenkt: Nichts.

Anzeige

Und die anderen Parteien haben mitgemacht, sich ebenfalls in diesen Blasen werfenden Brei der Nichtigkeit geworfen und sich darin gesuhlt. Das ist aber nicht die alleinige Schuld der Parteien. Nein, daran, dass man die mit sowas durchkommen lässt, sind wir alle Schuld. Und ja, es wäre auch die Aufgabe von Journalisten, den Leuten, die uns dieses Jahr zwar keine Zukunft zu bieten haben aber dennoch über sie bestimmen wollen, Fragen zu stellen.

All diesen Dingen wollte Donat ein impulsives Etwas entgegensetzen und hat eine Armada an spendierfreudigen Unterstützern gefunden. Die hatten wohl noch reichlich politische Energie übrig, nach diesem Vakuum-Wahlkampf in der Inhaltsleere. Ihre Namen prangen heute also auf der Frontseite einer der grössten Tageszeitungen der Schweiz. Das ist immerhin mal was—aber was genau eigentlich? Ich habe dazu noch ein paar Fragen.

Was ist die Message?

Auf der 20 Minuten-Titelseite steht neben den ganzen Namen genau ein Satz: „Reichweite kann man kaufen, unsere Stimmen nicht". Drum herum stehen circa 10'000 Namen. Ich finde es sehr gut, dass diese Stimmen nicht käuflich sind. Stimmenkauf wäre nämlich ein Verbrechen und der Tod unseres politischen Systems.

Allerdings hat gar niemand versucht, diese Stimmen zu kaufen. Ich glaube, so ein Statement würde enorm viel Sinn ergeben, wenn das jemand versucht hätte. Jetzt stehen da einfach Namen von Leuten, die sich gegen etwas wehren wollen. Aber wogegen genau? Die Reichweite, die ja käuflich ist und so vielleicht bestimmt, wieviele wie wählen werden, gehört jetzt Donat. Für diesen einen Tag. Und er macht nichts anderes damit, als die Namen von rechtschaffenen, vermutlich politisch eher linken Bürgern abzudrucken. Das war's dann auch. Sonst ist da nichts.

Anzeige

Donat nennt das „ein Zeichen setzen". Aber welches Zeichen setzt er damit genau? Dass es mit der Unterstützung von 20 Minuten nicht nur möglich ist, Wahlen zu gewinnen—auch ohne politischen Inhalt—, sondern auch 140'000 Franken für einen guten Millimeter hohe 15 Minuten Ruhm (ebenfalls ohne politischen Inhalt) zusammenzubekommen?

Wer profitiert von der Aktion?

Klar ist: Die Tamedia kassiert einerseits 100'000e an Franken, die die SVP-Wahlmaschine in ihre Kassen spült und andererseits auch die 140'000 Franken, die Donat und seine Unterstützer zusammengeklaubt haben. Donat vermerkt zu dem Problem auf seinem wemakeit-Projekt:

„Nicht zuletzt bin ich diesen Kompromiss eingegangen, weil mir zwei Probleme schlicht als zu dringend erschienen; nämlich die Intransparenz und die Inhaltslosigkeit des aktuellen Wahlkampfs."

Mit Kompromiss meint er genau diesen Umstand, der Tamedia—genau wie die SVP—unheimlich viel Geld in die Tasche zu stecken … Gleichzeitig hat die Tamedia eine stattliche Anzahl Klicks mit Donats Geschichte abgeholt, die erzählt, wie endlich „so ein junger aufgestellter Bursche" was mit Politik machen will. Aber hat sie etwa deswegen begonnen selbst mehr auf Inhalte zu zielen? Wurden diese 140'000 Franken eingesetzt, um Journalisten erst recherchieren zu lassen und Politikern unangenehme Sachfragen zu stellen?

Wird die Tamedia die Einnahmen, die sie auf dem Rücken dieses idealistischen Studenten gemacht hat, auch nur teilweise einer entsprechenden Sache spenden? Bisher deutet alles auf ein eindeutiges: Nope.

Anzeige

Da auf der Titelseite nichts weiter steht als die Namen der Unterstützer, dürfte der politische Effekt der Aktion an sich auch relativ klein bleiben und schon morgen vergessen sein. Donat verweist aber immerhin auf sein Projekt und von dort aus auf eine Initiative, die mehr Transparenz in der Politik anstrebt.

Warum wurde die Aktion nicht abgebrochen?

In der Politik geht's nicht mehr darum, wer am besten geeignet ist für den Job. Es geht um Kalkül und PR. Im Grossen und Ganzen fragen wir gar nicht mehr, ob jemand qualifiziert ist, wir wählen einfach. Darüber sollten wir diskutieren—und genau das hat Donat mit seiner Aktion erreicht. Es dürfte naheliegend sein, dass die Tamedia mit ihrer Berichterstattung zu Donats Aktion, nicht politische Gleichheit oder Qualität zum Ziel hatte. Sie wollte vermutlich einfach Traffic mit einem „gmögigen" jungen Mann machen, der eine gute Idee hatte und derweil daran arbeitete der Firma 140'000 Franken in die Kasse zu scheffeln. Logisch berichten sie darüber.

Aber die entsprechenden Berichte sollten wohl eher den armen Fränklis helfen, den Weg auf das Konzernkonto zu finden, statt den verirrten Wählermassen oder den Politikern zurück auf den steinigen Pfad echter, relevanter Politik. Die Fränklis fanden diesen Weg erwartungsgemäss auch, denn 20 Minuten hat Reichweite und Reichweite bringt Wähler—oder wie in diesem Fall: Crowdfunder.

Meiner Meinung nach hätte es nur einen Weg gegeben, wie Donat gleichzeitig seine Diskussion bekommen und verhindert hätte, dass jene, die sich reflexionsfrei an diesem politischen Unsinn bereichern, noch reicher werden: Die Aktion einen Tag vor dem Druck der heutigen 20 Minuten abzublasen. Damit wäre Donat vom Spielball zum Spieler, vom Bauern zum Springer, von Verbal Kint zu Keyser Söze geworden.

Anzeige

Als ich Donat von dieser Idee erzählte, meinte dieser integer wie er ist: „Ich habe das den Leuten versprochen, dafür haben sie bezahlt, jetzt ziehe ich das auch durch."

Wer hat die Aktion finanziert?

Gestern Vormittag hatte ich ein längeres Gespräch mit Johannes Gees, dem Geschäftsleiter von wemakeit.com. Ich hatte ihn gebeten—ganz in Donats Sinne, wie ich gemäss dem Projektbeschreib annehme—mir doch bitte eine Liste mit sämtlichen Spendern, deren Namen und der jeweils gespendeten Summe zur Verfügung zu stellen.

Er hat mir erklärt, dass das schon aus technischen Gründen nicht ginge, er könne mir aber eine Liste mit den einzelnen Beträgen zukommen lassen, wie sie schon am letzten Donnerstag von 20 Minuten veröffentlicht worden sei. Diese Liste bin ich so gut es ging durchgegangen. Ich hatte meine Mühe damit, da diverse Leute mehrfach gespendet hatten—einige öffentlich, andere nicht, gewisse mit der Namensnennung auf der Frontseite, gewisse ohne.

Ums kurz zu machen: 12% der Einnahmen kommen aus anonymen Quellen. Das ist eine Menge. Zwar ist die Finanzierung dieser Titelseite immer noch viel transparenter als die Finanzierung der SVP-Werbung, aber eben auch nicht zu 100%, sondern nur zu 88% transparent (ja, ausgerechnet 88). Für eine Aktion, die auf Transparenz in der Politik aufmerksam machen will, ist das vielleicht zu wenig. Oder es zeigt wenigstens, wie schwer es heutzutage selbst für jene ist, die wirklich transparent sein wollen, wirklich transparent zu sein.

Till ist auch auf Twitter weitgehend transparent: @trippmann

Folge VICE Schweiz auf Twitter: @viceswitzerland


Titelbild: Fotomontage von VICE CEE