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Geschwister sind das Beste im Universum

Geschwister sind die Menschen, die viele am längsten in ihrem Leben haben. Und noch dazu können sie die tollsten Menschen der Welt sein.

Mein kleiner Bruder und ich.

Geschwister kann man sich nicht aussuchen. Irgendwann kommt die Mutter plötzlich mit einem Baby im Arm nach Hause oder man kommt selbst nach Hause, gerade ein traumatisches Erlebnis hinter sich gebracht, und dann ist da schon jemand anders, der das Revier bereits markiert hat. Der Familienforscher Hartmut Karsten sagt, dass Geschwisterbeziehungen etwas Schicksalhaftes besäßen, „weil man sie sich nicht aussuchen kann, sondern in sie hineingeboren wird". Diese unausweichliche und von den Eltern beschlossene Zusammensetzung zwingt und bringt Kinder dazu, zu lernen, sich mit jemandem zu arrangieren, der teils völlig andere Bedürfnissen, Ansichten oder Eigenschaften mit in den Mix bringt.

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Das kann ein Fluch sein, aber auch so ziemlich der größte Segen, den es geben kann. Der Familientherapeut Hans Goldbrunner schrieb 2011, man solle den Einfluss durch Geschwister keinesfalls unterschätzen: „Während die elterliche Liebe, vor allem die Mutterliebe, in der heutigen Erziehung sehr hoch eingeschätzt wird, besteht in Realität immer noch die Gefahr der Unterschätzung der geschwisterlichen Liebe."

Meine Mutter war lange Einzelkind, ihr Bruder ist erst zur Welt gekommen, als sie 12 war. Heute erzählt sie immer, dass sie sich damals geschworen habe, niemals nur ein Kind zu bekommen. Langweiligste Familienfeiern, langweiligste Weihnachten, langweiligstes Abendessen, bei dem man immer alleine mit zwei Erwachsenen sitzt und über Erwachsenendinge spricht. Also gibt es nicht nur mich, sondern auch meinen kleinen Bruder, der eineinhalb Jahre jünger ist als ich.

Aus erster Ehe hat mein Vater noch einen zweiten Sohn, meinen Halbbruder. Er ist 14 Jahre älter als ich. Ich sehe ihn nie und wir haben eine völlig andere Beziehung als mein jüngerer Bruder und ich, aber irgendwie ist sie auch sehr ähnlich. Beide Brüder sind mir vertrauter als so ziemlich alle anderen Menschen, egal wie weit wir auseinander wohnen oder wie selten wir uns sehen.

Mein großer Bruder und ich.

Ich muss meine Brüder nicht oft sehen, um ihnen nahe zu sein und wenn ich sie längere Zeit sehe, nerven sie trotzdem nicht. Mein älterer Bruder lebt in Deutschland und mein kleiner Bruder und ich wissen oft nicht, was in seinem Leben gerade passiert. Wir sind mit ihm in unserer Kindheit großgeworden, jetzt hat er mit unserem Alltag nur noch wenig zu tun. Trotzdem ist er ein unbeschreiblich wichtiger Mensch für uns. Mit meinem kleinen Bruder bin ich hingegen aufgewachsen, bis ich 18 war. Obwohl er mir als Schwester vielleicht nicht alles erzählen will, was seine Freunde wissen, kenne ihn doch besser und völlig anders als andere Menschen in meinem Leben.

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Geschwister sind die Menschen, die man am längsten in seinem Leben hat. Unsere Eltern werden irgendwann sterben, unsere Kinder erst noch geboren und Freunde kommen und gehen. Geschwister hat man, wenn man Glück hat, sein ganzes Leben lang. Daran erinnert uns unsere Mutter so oft, dass mein Bruder und ich schon genau wissen, wie sie diese Sätze formuliert. Aber sie erinnert uns völlig zu Recht. In der Forschung wird die Geschwisterbeziehung als die „in der Regel am längsten währende, unaufkündbare, annähernd egalitäre menschliche Beziehung" bezeichnet.

Wie kann man besser lernen, einen Streit zu führen, als mit jemandem, der morgen noch immer dein Bruder oder deine Schwester sein wird?

Der Psychologe Daniel Shaw von der University of Pittsburgh erklärt die Beziehung zu Geschwistern so: Während Eltern die Rolle der Ärzte übernehmen, die auf Visite vorbeischauen, seien Geschwister eher die Krankenpfleger auf der Station, die immer da sind. Geschwister würden die persönliche Entwicklung mindestens so stark beeinflussen wie Eltern. Laurie Kramer, stellvertretende Dekanin der University of Illinois, betont aber auch, dass Kinder, die ohne Geschwister aufwachsen, nicht zwingend benachteiligt sind.

„Die Literatur zeigt, dass Einzelkinder im Leben sehr gut zurechtkommen", so Kramer. Sie würden emotionale und soziale Fähigkeiten sehr wohl lernen—allerdings eher von ihren Freunden. Kramers Forschung habe gezeigt, dass Geschwisterbeziehungen Kindern sichere Möglichkeiten bieten würden, um eben die emotionalen und sozialen Fähigkeiten zu lernen, die ihnen dabei helfen würden, andere Beziehungen in ihrem Leben zu führen. „Wie kann man besser lernen, einen Streit zu führen, als mit jemandem, der morgen noch immer dein Bruder oder deine Schwester sein wird?", fragt sie. „Geschwisterbeziehungen sind oft sichere Beziehungen, in denen Kinder experimentieren und neue Fähigkeiten lernen und Dinge tun können, die in anderen Beziehungen vielleicht nicht akzeptiert wären."

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Laurie Kramer stellt die These auf, dass ein Verstehen mit Geschwistern mehr emotionaler und sozialer Kompetenzen bedürfe als das mit Eltern. Mütter und Väter würden oft nachgeben, Geschwister seien hingegen gleichberechtigte Partner. „Um miteinander zurechtzukommen, müssen Brüder und Schwestern früh lernen, klar zu kommunizieren, zu verhandeln und Konflikte zu beenden."

Mein Bruder und ich waren immer schon sehr ehrlich zueinander, auch das ist eine Eigenschaft, die uns unsere Mutter beigebracht hat. Anliegen und Gefühle, positiv wie negativ, sollen einfach angesprochen werden. So räumt man sie am schnellsten aus dem Raum. Was mein Bruder dem später hinzugefügt hat: Ja nie im Streit auseinandergehen! Ich könnte viele hundert Seiten über meine Familie und meine Brüder schreiben, nichts davon ist wie in anderen Familien und trotzdem finden sich überall Parallelen zu anderen Geschwisterbeziehungen, die ich kenne.

Früher haben wir im selben Zimmer geschlafen und immer so lange Blödsinn gemacht, dass unsere Eltern jeden Abend völlig verzweifelt waren, weil sie nicht mehr wussten, wie sie uns zum Schlafen bringen könnten. Wir haben Höhlen gebaut, in denen uns unsere Mutter dann Gutenachtgeschichten vorgelesen hat, zusammen das Hörbuch der Unendlichen Geschichte, TKKG und Die drei ??? gehört. Bis heute hören wir Hörspiele und -bücher, wenn wir zusammen zu Hause sind, reden über Filme, die wir vor 15 Jahren gemeinsam gesehen oder Bücher, die wir gemeinsam gelesen haben, zitieren aus der Nackten Kanone oder Das Leben des Brian.

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Wir diskutieren über das Leben und das Sterben, Freundschaften, Beziehungen, die Unabhängigkeit Kataloniens oder Star Wars. Wir lachen über Witze, die unsere Eltern immer und immer wieder machen, Eigenschaften, die sie haben, Dinge, die sie sagen. „Mama, wir wissen, dass Geschwister die Menschen sind, die sich im Leben am längsten haben." Ich kann mir kein Leben vorstellen, in dem ich nicht diesen Menschen an meiner Seite weiß. Und sei es nur gedanklich.

Geschwister können minutenlange Unterhaltungen führen, die niemand versteht. Zusammengesetzt aus Filmen, Liedern, Kinderbüchern, Erlebtem und Selbstgesagtem.

Geschwister kann man fragen, wie man eine Beziehung beendet, wenn man es noch nie getan hat. Sie erinnern sich daran, wie du mit 11 ausgesehen hast und erzählen es niemandem. Oder sie erzählen es. Aber auch das ist OK. Mein Bruder und ich können minutenlange Unterhaltungen führen, die niemand versteht. Zusammengesetzt aus Filmen, Liedern, Kinderbüchern, Erlebtem und Selbstgesagtem. Wir können uns dabei kaputt lachen und wer daneben sitzt, weiß nicht, was gerade passiert.

Ich weiß, dass mein Bruder Joghurt und Eis mit Erdbeergeschmack nicht unbedingt mag, ich kann mich an die größte Krise unseres Zusammenlebens erinnern: an den Tag, an dem ich ich unabsichtlich einen Eimer Wasser über seine gesamte Magic-Karten-Sammlung geschüttet habe und wir können uns beide daran erinnern, wie einer von uns einmal grüne Spaghetti gekotzt hat oder wir alleine daheim waren und mit Stöcken bewaffnet nach Einbrechern gesucht haben.

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Laut Laurie Kramer tragen Eltern einen riesigen Teil dazu bei, dass sich Geschwister verstehen, „aber es kommt auch auf Dinge an, die Kinder selbst mit in die Beziehung bringen—soziale und emotionale Fähigkeiten führen sehr wahrscheinlich zu positiveren Beziehungen zwischen Geschwistern." Es liegt zu großen Teilen an Eltern, Kindern zu vermitteln, wie wichtig dieses Gemeinsame ist.

Meine Mutter hat uns immer gezeigt, wie wichtig es ist, füreinander da zu sein, füreinander einzustehen. Mein Bruder und ich sind ein Team. Ja, manchmal streiten wir, auch wenn es nur sehr selten ist, aber ich glaube, sagen zu können, dass wir füreinander sterben würden. Ohne Scherz. Was einem Geschwister bedeuten können, kann man unmöglich verstehen, wenn man selbst keine hat. „Geschwisterbeziehungen können nicht beendet werden, sie wirken fort, auch wenn sich die Geschwister getrennt haben und keine Kontakte mehr stattfinden", schrieb der Familienforscher Hartmut Karsten als weiteren Punkt, weshalb Geschwisterbeziehungen außergewöhnlicher seien als andere soziale Beziehungen.

In der Schule haben uns Leute oft nicht geglaubt, dass wir Geschwister sind, weil wir in vielen Bereichen wie Tag und Nacht sind. Der mit den Dreads ist dein Bruder? Der mit der verrückten Russenmütze? Während ich immer sehr angepasst war, hat mein Bruder immer das durchgezogen, was er wollte. Auf der anderen Seite sehe viel von mir in ihm. Nur vieles besser. Und umgekehrt ist es auch so. Nur ist das kein Neid, es ist Anerkennung und Stolz, dass der andere so ein toller Mensch geworden ist. Und so geht jeder seinen Weg, der völlig anders als der Weg des anderen ist, zur Zeit auch räumlich weit weg voneinander, aber immer mit dem Wissen, dass da jemand ist, der unhinterfragt in ein Flugzeug steigen würde und in drei Stunden da ist, egal was passiert.

Hanna auf Twitter: @HHumorlos