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Drogen

Der Drogen-Suchtbericht 2016 beweist: Die deutsche Drogenpolitik ist gescheitert

110.000 Tote durch Zigaretten, 15.000 durch Alkohol, 1.226 durch illegale Substanzen und 0 durch Cannabis

Foto: imago | Blickwinkel

Gestern hat die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), den Drogen-Suchbericht 2016 vorgestellt. Der Trend ist eindeutig: Der Konsum so ziemlich aller illegaler Drogen steigt, während legale Drogen leicht auf dem Rückzug sind. Das 170 Seiten starke Papier unterscheidet sich nur in Nuancen von denen der vergangenen Jahre. Besonders bedauerlich sind die vielen, neuen „Legal-High"-Toten. Sie demonstrieren das Scheitern der derzeitigen Drogenpolitik.

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Anstatt die Substanzen auf deren Gefahrenpotential zu untersuchen und die Öffentlichkeit zu informieren, wird seit dem Auftauchen von "Spice" und Co. an der Repressions-Schraube gedreht, während die Zahl der Konsumierenden steigt. Safer Use, also ein verantwortungsvoller Umgang mit Drogen, kommt, wie alle anderen alternativen Lösungsansätze, im Mortler'schen Bericht übrigens gar nicht vor. NGOs, Wissenschaftler oder Sucht- und Präventionsexperten, die solche Lösungen unterstützen, werden ebenso ignoriert wie das eigentliche Gefahrenpotential legaler sowie illegaler Substanzen.

Dabei zeigen die Zahlen bei Tabak und Alkohol, dass der Konsum von stark suchterzeugenden sowie gesundheitsschädliche Substanzen mit engagierten Präventionsangeboten und der notwendigen Aufklärung sehr wohl rückläufig sein kann. Aber Marlene Mortler wird nicht müde zu betonen, dass man die positiven Erfahrungen nicht auf Cannabis übertragen könne und deshalb am Verbot nicht zu rütteln sei. Kurzum, Frau Mortler hat auch 2016 wieder geliefert, was ein „Weiter so" rechtfertigt, auch wenn sowohl die Zahlen als auch die öffentliche Meinung mehr fordern. Allerdings kann es 2016 auch keine Lösung mehr sein, Konsum akzeptierende Ansätze einfach zu ignorieren, nur weil sie verboten sind. Würde Drogenpolitik so funktionieren, gäbe es die auch von Mortler unterstützte Heroinabgabe an Langzeituser bis heute nicht, weil ihre Partei sich einst mit Händen und Füßen gegen deren Einführung gewehrt hatte.

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Viele Experten bleiben außen vor

Dabei gibt es zahlreiche Experten und sogar 120 Strafrechtsprofessoren, die einen regulierten Cannabismarkt fordern. Viele von Ihnen haben sich im Schildower Kreis zusammengefunden, um ihrer Forderung für eine liberalere Drogenpolitik eine gemeinsame Plattform zu geben. Weil ihre Expertisen im offiziellen Bericht gar nicht nicht vorkommen, haben sich der "akzept Bundesverband", die "Deutsche AIDS-Hilfe" und der "JES Bundesverband" sowie weitere Experten auch dieses Jahr wieder entschlossen, dem DSB 2016 mit ihrem "Alternativen Drogen-Suchtbericht" etwas Gehaltvolleres entgegenzusetzen.

In der deutschen Drogenpolitik herrscht Stillstand. Beim Konsum der Volksdrogen Tabak und Alkohol ist Deutschland Weltspitze, bei den illegalisierten Drogen führen Strafverfolgung und ein Mangel an Hilfsangeboten zu immer mehr Drogentoten und drastischen Problemen für Konsumierende und die Gesellschaft:
• Schlechte Qualität der Substanzen und Marginalisierung der Betroffenen führen zu gesundheitlichen Risiken (z.B. Überdosis), medizinische Versorgung wird erschwert.
• Konsumierende werden in kriminelle Karrieren, Verelendung und Beschaffungskriminalität getrieben, kriminelle Strukturen gefördert.
• Strafverfolgung, Inhaftierung und Folgeerkrankungen verursachen enorme Kosten.

Die Herausgeber des Alternativen Drogen- und Suchtberichts fordern daher: • eine wissenschaftlich fundierte Überprüfung des BtMG
• staatlich kontrollierte Abgabe von bisher illegalen Substanzen (bei Cannabis z.B. über autorisierte Geschäfte, bei Heroin über das Medizinsystem), als erster Schritt Straffreiheit beim Besitz von geringen Mengen
• flächendeckende Einführung lebensrettender Maßnahmen wie Drogenkonsumräume und die Verfügbarkeit des Notfallmedikaments Naloxon sowie Druck-Checking und Spritzenvergabe in Haft.

Besonders aufgebracht sind die Experten um dem Bremer Suchtforscher Dr.Heino Stöver über die Weigerung Mortlers und ihres Hauses, die Internationale Entwicklung in Kanada, den USA, Uruguay, Spanien und vielen anderen Ländern überhaupt wahrzunehmen, gerade weil Cannabis auch bei uns immer beliebter wird. Stattdessen wird wieder die Jugendschutzkarte gespielt, indem bei Cannabis wie in jedem Jahr lediglich Zahlen zu jungen Konsumierenden bekannt gegeben werden, Kiffer über 30 werden statistisch sowieso seit Jahren komplett vernachlässigt. Aber vielleicht gehört der DSB 2016 auch zur Doppelagenten-Strategie Mortlers: Indem sie die Meinung zahlreicher Fachleute seit Jahren ignoriert und selbst den Dialog mit ihnen meidet, wurden die förmlich dazu gezwungen, ein weitaus besseres und fundiertes Werk als den DSB 2016 zu schaffen. Ganz zum Schluss noch die Bilanz 2015:

Alkoholtote: 15.000
Nikotintote: 110.000
Tote durch illegale Substanzen: 1.226
Cannabistote: 0