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Ich habe versucht, an der Bahnhofstrasse einzukaufen

Ich war in den Geschäften der Zürcher High Society, um zu schauen, ob halbnigerianische Studentinnen willkommen sind.
Titelbild von Greg Hernandez

Geschäfte wie Dior, Gucci und Prada reihen sich an der Bahnhofstrasse und erinnern ständig daran, dass H&M in Zürich nicht der Norm entspricht. Für eine Studentin wie mich waren diese Schuppen bis jetzt nicht mehr als irgendein prestigeträchtiges Denkmal, dessen Geschichte ich nicht kenne.

Als Studentin und Halbnigerianerin entspreche ich nicht dem Bild, das man von Goldküsten-Chicks oder einfach Bonzen-Töchtern hat. Dass ich ausserdem bevorzugt durchlöcherte Jeans, dreckige Sneakers und XXL-T-Shirts trage, leistet dazu ebenfalls seinen Beitrag. Aber sehen das die Portiers vor den Edelgeschäften? Und wenn ja, was machen sie dann?

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Dieses Zürich gibt es auch noch: Besitzer und Besetzer—Wem gehört Zürich?

Um zu schauen, ob man mich überhaupt in die edelsten Geschäfte Zürichs reinlässt, habe ich mich auf eine sehr spezielle Shoppingtour durch den Zürcher Kreis 1 begeben.

Cartier

Foto von Nora Osagiobare

Ich gebe mir zum Anfangen gleich die volle Ladung. An der Tür des Cartier-Stores an der Bahnhofstrasse steht so eine Art Türsteher, einfach im Anzug. Als er mich sieht, lächelt er mich an und schliesst die Tür auf. Wegen Diebstahl und so. Er hat einen Zähler in der Hand und drückt den, ist anscheinend wichtig zu wissen, wie viele Leute den Laden pro Tag betreten.

Ein junger, gepflegter Asiate mit roter Krawatte begrüsst mich: „Was kann ich für Sie tun?" „Ich schaue mich etwas um", antworte ich und fühle mich wie ein blinder Passagier. Scheint aber niemandem aufzufallen. Es läuft klassisches Gedudel im Hintergrund, die Reichen fahren wohl voll auf das ab. Ich frage, ob ich eine Uhr anprobieren kann und der Verkäufer meint, sie seien grad alle mit Kunden besetzt und ich müsse mich etwas gedulden. „Entschuldigung." Kein Problem.

Eine Kundin verabschiedet sich und ein anderer Verkäufer kommt auf mich zu. „Guten Tag, wie kann ich ihnen helfen?" Ich zeige auf eine Uhr und frage, ob ich die anprobieren kann. „Die rosé-goldene?" Genau die. „Nehmen Sie doch bitte Platz." Es hat so eine Art Lounges an den Wänden des Ladens, dort platziere ich mich. Der Verkäufer fragt, ob ich ein Glas Champagner will. Fängt ja hervorragend an! Kronleuchter an den Wänden, Orchideen auf dem Tisch vor mir und der Türsteher, der einfach dasteht und ins Leere schaut.

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Der Verkäufer kommt mit der Uhr und setzt sich mir gegenüber hin. „So, schauen Sie, dass ist jetzt das Modell, welches Sie wollten. Es ist ganz neu rausgekommen." Die Uhr kostet 33.000 Franken. Ich leere den Champagner in drei Zügen, der schmeckt so, wie Cartier-Uhren aussehen.

„Kann man die noch enger machen?" Der Verkäufer zeigt mir wie das geht. Ich hätte die Uhr nicht einmal selber schliessen können. „Da ist ein Schutzfilm drüber, wenn man den entfernt, dann glänzt die ganze Uhr." Ich fahre mit dem Finger darüber. Die Uhr ist mit Diamanten besetzt. „Das erste dieser Modelle kam 1906 heraus, das ist ein Klassiker." Ich kann seinem Vortrag irgendwann nicht mehr folgen, zu viel Champagner. Das EC-Gerät steht direkt vor mir und starrt mich erwartungsvoll an. „Können Sie mir noch ein paar ähnliche Uhren zeigen?" Der Verkäufer steht auf und kommt mit drei weiteren zurück. „Die grosse steht ihnen meiner Meinung nach besser, die ist ein bisschen sportlicher." Kein Wunder, mein Aufzug ist nicht gerade classy.

Der Typ denkt langsam wirklich, dass wir ins Geschäft kommen. Ich bin jetzt seit über einer halben Stunde da und habe genug von Cartier. Ich schiebe den Riegel indem ich meine, ich könne mich jetzt noch nicht entscheiden. „Das ist doch ein schönes Problem!", meint der Verkäufer und wir lachen. Aus unterschiedlichen Gründen. Damit ich nicht komplett markenresistent das Geschäft verlasse, gibt er mir noch eine Broschüre und seine Karte mit. „Ich mache ihnen beim Modell, das sie anprobiert haben ein Lesezeichen", meint er und knickt die Seite um.

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Mit der Cartier-Bag in der Hand schlendere ich zu Chanel rüber. Niemandem fällt die Tasche in Kombination mit mir auf, ist aber irgendwie auch kein Wunder. Die Rich Kids sind oft so angezogen, als lebten sie unter der Brücke.

Chanel

Foto von Nora Osagiobare

Nach der Dekadenz und den schwindelerregend hohen Preisen bei Cartier ist der Chanel-Store fast schon schäbig. Niemand steht an der Tür und ich werde nicht begrüsst, als ich reinkomme. Liegt wohl daran, dass mehr als vier Leute im Laden sind. Die Tasche von Cartier habe ich versteckt. Ich schaue mich um, an der Wand hängt ein Bildschirm, auf dem man Kendall Jenner und Cara Delevingne beim Rumstöckeln auf dem Catwalk beobachten kann. Dann kommt doch noch jemand. Eine junge Frau mit breitem Grinsen, ganz in schwarz gekleidet fragt: „Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?"

Ich zeige auf ein beliebiges Paar Schuhe. Sie bringt mir die passende Grösse und als ich hineinschlüpfe, weicht sie nicht mehr von meiner Seite. „Sind sie gut von der Grösse her?" Eigentlich könnte das irgendein beliebiger Laden sein, ein Zara oder H&M. Ich schaue mir noch eine Tasche an, stelle Fragen zum Material und verschwinde mit zwei Sommerkleidern in der Garderobe. Grösse 36 ist hier anscheinend auf Magersüchtige ausgerichtet, denn ich bringe das Kleid kaum über den Kopf. „Haben sie das auch noch ein bisschen grösser?" Hat sie nicht, es gibt jede Grösse genau einmal. Damit man an der nächsten Cocktailparty nicht dasselbe Kleid trägt wie die Frau vom Cousin. Oder so.

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Ob die wohl ein Klo haben? Im H&M musste ich als Teenie schon so oft pissen und es hiess immer die Toilette sei nur fürs Personal. Nicht so bei Chanel. In der Toilette stehen zwei Parfum-Flacons, da kann man sich anscheinend einfach bedienen. Ich schaue mich um und sehe eine Überwachungskamera an der Decke. Schade, ein wenig Edeldüftchen wären schon ein schönes Goodie gewesen. Ich würde jetzt liebend gerne hier kacken, kann aber leider nicht. Chanel ist langweilig, mal schauen wie's bei Louis so ist.

Louis Vuitton

Foto von Nora Osagiobare

Endlich wird mir wieder die Tür aufgehalten. Im Laden sind überall attraktive Sicherheitsleute positioniert: Latinos in schwarz-weissen Anzügen. Da gehen die Taschen mit dem immer gleichen Muster fast ein bisschen unter. Eine Frau um die 50 mit blond gefärbtem Haar und ein paar Millilitern zu viel Botox im Gesicht, strahlt mich so sehr an, dass fast ihr komplettes Gebiss zum Vorschein kommt. Ich will den Rucksack. „Der ist gaaanz neu angekommen!", schwärmt sie. „Hat da ein 14-Zoll Mac Book drin Platz?", will ich wissen. Hat es leider nicht, wir müssen in die Herrenabteilung. Sowieso gibt's nur den einen Rucksack für Frauen, die sollen ihr Zeugs auch nicht selber schleppen.

Ich will alle Rucksäcke anprobieren, es gibt ein Chaos auf der Verkaufsablage aber die Frau bleibt oberflächlich, cool. Nur einmal meint sie: „Kann ich ihnen denn jetzt schon etwas auf die Seite legen?" Nein. Als ich die gefühlt hundertste Pirouette vor dem Spiegel mit dem Rucksack an mache, kommt ein Kunde in weissem Hemd und zurückgegelten blonden Haaren und meint „Sieht gut aus!" Ich lege den Rucksack zurück und hoffe, die Verkäuferin endlich aus der Botoxstarre zu bringen: „Haben Sie den auch in anderen Farben?" „Neeeein, leider nicht. Der ist gestern erst angekommen." Da es ihn nicht in meiner „Wunschfarbe" gibt, kann ich jetzt getrost den Laden verlassen. Sie schreibt mir tatsächlich noch die Artikelnummern von zwei Rucksäcken auf. „Damit Sie nachfragen können, ob es die schon in anderen Farben gibt." Ich habe eine Überdosis an Überfreundlichkeit und Ich-krieche-denen-mit-Chlötz-in-den-Arsch-Attitüde und verlasse den Laden. Jetzt geht es endlich zur Quelle meines Experiments: Dem Trois Pommes.

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Trois Pommes

Foto von Nora Osagiobare

Hier wurde Oprah eine 35.000 Franken teure Tasche verwehrt. Ich hatte vor knapp einer Stunde Uhren im Wert von insgesamt 150.000 Franken in der Hand. Ob ich dieses Privileg indirekt Oprah zu verdanken habe?

Im Trois Pommes sind drei ältere Frauen. Sie schauen mich ein wenig argwöhnisch an, als ich das Geschäft betrete. Als ich sie direkt anschaue und sie anlächle, lächeln sie zurück. „Ich schaue mich etwas um." Die Frauen tratschen und ich durchstöbere die Regale. Ab und zu wirft mir die Verkäuferin einen Blick zu. Ich probiere ein paar Schuhe für 500 Franken. Das scheint noch kein Problem zu sein. „Das sind aber schöne Schuhe", meint die eine Frau. Ich bejahe. Mit den Schuhen und anderem Zeugs gehe ich in die Kabine. Prompt steht die Verkäuferin vor dem Eingang und fragt: „Und … Wie sind die Schuhe?" Ich habe noch nie jemanden gesehen, der innerhalb von fünf Sekunden Schnürschuhe anziehen kann. „Hab sie noch nicht an."

Ich bringe das Zeug zurück, jetzt will ich Prunk im Wert von mehreren tausend Franken. Da lächelt mich die Emilio Pucci-Abteilung an. Ob die's auch so easy nehmen, wenn ich mich hier austobe? Ich greife nach einer mit Pailletten bestickten Bluse. Preis: 4600 Franken. „Ich probier die mal an." Die Verkäuferin verzieht den Mund. Mit ein paar Sekunden Verzögerung gibt sie mir ihr ok. Doch der Oprah-Effekt? Als ich gerade das T-Shirt ausgezogen habe und im BH in der Kabine stehe, huscht die Verkäuferin rein und hängt ein Kleidungsstück an die Garderobenstange. Sie ist effektiv in der Kabine, in der ich mich gerade umziehe. Für ein paar Sekunden jedenfalls. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die mich kontrollieren will.

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Mit der Bluse am Leib trete ich raus und betrachte mich im Spiegel. Die Bluse ist geil, wenn ich reich wäre, würde ich sie, trotz Dekadenz und Diskriminierung, kaufen. Die Verkäuferin betrachtet mich und findet, ich sehe toll aus. „Mit der Jeans zusammen kommt sie richtig zur Geltung!" Ich tue nachdenklich und sage wie immer: „Ich überleg mir das nochmal." Scheint die Frau nicht zu erstaunen. Sie ist kurz angebunden als ich mich verabschiede, ziemlich angepisst sogar. Ich wünsche ihr demonstrativ einen schönen Tag den sie mir zurückknurrt.

Fazit

Jeder kann sich in Zürcher Luxusgeschäften austoben und das im Low-Budget-Style. Cartier eignet sich sehr gut zum Vorglühen und die Trois Pommes-Verkäuferinnen sind wirklich nicht gerade die Vorurteilslosigkeit in Person. Oprah sei Dank liessen sie mich aber tun und lassen, was ich wollte. Ihr Zähneknirschen war aber unüberhörbar. Mulmig war mir nur bei Cartier vor, ansonsten kann man sich schnell daran gewöhnen, dass einem die Tür aufgehalten wird. Ein sehr empfehlenswertes Experiment für alle, die Zürich mal aus der Perspektive einer stinkreichen Person erleben wollen.

Nora auf Twitter: @nora_nova_

Vice Switerland auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild: Greg Hernandez |Wikimedia Commons | CC BY 2.0