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Sex

So lebt es sich mit einem Reizdarm

Das Reizdarmsyndrom ist quasi das medizinische Äquivalent zu einem unsympathischen entfernten Verwandten: nicht lebensbedrohlich, aber trotzdem verdammt nervig und nicht wegzukriegen.
Titelfoto: Heather Benjamin 

Es war ein verhängnisvoller Sommerabend. Ich entdeckte zum ersten Mal die Freuden des Urban Gardenings für mich, als sich diese mit den Schrecken meines Körpers vermengten. Ich hatte mir meinen ersten Four Loko (es muss also 2009 gewesen sein) gekauft und traf mich mit Freunden in einem Park, bevor wir dann zur nahegelegenen Party weiterzogen. Nachdem ich die Dose mit diesem Teufelszeug geleert hatte, begannen meine Innereien zu rebellieren. Ich bat meine Freunde darum, mir Sichtschutz zu geben, damit ich an den nächstgelegenen Baum pinkeln konnte. Als sie dann plötzlich ganz andere Geräusche als erwartet hörten, wurden sie Zeuge, wie ich im Mondschein einen ordentlich Schiss hinlegte. Damals hatten wir noch keine Ahnung, dass in meinem Verdauungstrakt gerade eine neue Krankheit aufzublühen begann, während meine Exkremente den Boden des Parks düngten.

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„Verdammt. Hast du Hunger oder was ist los?", fragte mich ein Kommilitone ein paar Wochen nach dem kleinen Vorfall im Park und stupste mir mit einem Müsliriegel in die Seite. Langsam wurde mir schmerzhaft klar, dass etwas Größeres als eine Dose Alkohol-Energy-Gesöff meinem Körper zusetzt. Wir saßen unangenehm nah im Psychologie-Seminar nebeneinander und mein Magen gab mehr Geräusche von sich als ich das ganze Semester. Nun, es war technisch gesehen gar nicht mein Magen—die Geräusche kamen aus meinen Eingeweiden. Wie konnte ich nur erklären, dass ich keinen Hunger habe? Ich nahm das Essen an und heuchelte Dankbarkeit vor. Dann haute ich in der Pause aus dem Unterricht ab und schmiss den Riegel in einen Mülleimer.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon angefangen, bis zu acht Mal am Tag auf die Toilette zu gehen, und meine Gedärme klangen wie eine schlechte Noise-Band. Kurz danach wachte ein Sexualpartner von meinen Verdauungsgeräuschen auf und fragte mich, ob ich vielleicht Salmonellen hätte. Bald darauf fing ich an, Seminare zu schwänzen und mich früh aus sozialen Veranstaltungen zurückzuziehen. Ich führte ein Tagebuch darüber, was ich gegessen hatte, und vermied es, Gluten, Milchprodukte, Drogen und Alkohol zu mir zu nehmen. Ich versuchte es mit frei erhältlichen Medikamenten—aber nichts funktionierte. Ich hatte ständig Schmerzen.

Verzweifelt und ohne weitere Optionen suchte ich einen Gastroenterologen auf. „Ihre Symptome sind ja völlig durcheinander", meinte er. „Wir müssen jetzt erst einmal ein paar Stuhlproben sammeln und dann das weiteren Vorgehen festlegen." Um mal eins klarzustellen: Ich hatte keine Lust auf dieses „One Girl, Three Cups"-Szenario. Ich bin eine vielbeschäftigte Frau. Mir fehlte einfach die Zeit, den ganzen Tag herumzusitzen und zu versuchen, in kleine Behälter zu koten. Also nahm ich meine kleinen Scheiße-Container überall mit hin und dachte mir nichts dabei.

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Nach ein paar Tagen waren die Behälter schließlich voll und ich traf mich mit ein paar Freunden vor einem Club. „Ich will ja nichts sagen, aber auf deinem Bild siehst du viel besser aus", meinte einer der Türsteher zu mir, während er sich meinen Ausweis anschaute, der irgendwann einmal einer 32 Jahre alten Frau namens Therese gehörte. „OK, ich muss nur noch kurz in deine Tasche schauen." In Zeitlupe öffnete ich den Reisverschluss. Plötzlich richteten sich alle Augen auf meine drei Container, die bis zum Rand mit meinen Exkrementen gefüllt waren. „Was zum Teufel? Hoffentlich ist das jetzt nicht das, was ich denke. Geh einfach rein—ernsthaft, das ist ja total krank."

Später übergab ich meinem Arzt dann schließlich meine biologisch gefährlichen Club-Accessoires. Alle Tests auf Infektionen und Parasiten fielen negativ aus. So konnten zwar ziemlich viele Magen-Darm-Krankheiten ausgeschlossen werden, aber eine richtige Diagnose war auch weiterhin nicht möglich. Und so ging es vom medizinischen Kindergeburtstag direkt in die Vollen: An mir wurde gleichzeitig eine Endoskopie und eine Darmspiegelung durchgeführt. Aber auch hier konnten keine Anzeichen einer ernsthaften Erkrankung festgestellt werden. Mein Arzt zuckte also einfach nur mit den Schultern und diagnostizierte das Reizdarmsyndrom (RDS)—manchmal auch als spastisches Kolon bezeichnet.

„I got stomach pain / Don't matter sun or rain / Thought that it went away / Uh-oh, here it come again." – Cam'ron

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Als gängige gastrointestinale Funktionsstörung betrifft RDS in Industrienationen Schätzungen zufolge zwischen 10 und 15 Prozent. Außerdem gehört die Krankheit zu den Ursachen für einen großen Teil von Arbeitsfehltagen. Im Vergleich zu Männern sind ungefähr doppelt so viele Frauen vom Reizdarmsyndrom betroffen, was es viel einfacher macht, auf das Patriarchat zu scheißen. Der April ist in den USA inzwischen zum „National Irritable Bowel Syndrome Awareness"-Monat ernannt worden, um auf diese wortwörtlich beschissene Situation aufmerksam zu machen. Außerdem gehören oder gehörten viele Promis ebenfalls zum Club, darunter Jenny McCarthy, John F. Kennedy, Tyra Banks und möglicherweise auch Kurt Cobain.

Die Popkultur-Anspielung, die meinen Kolon wohl am meisten anspricht, ist Cam'rons Lied IBS—die musikalische Geschichte unseres geteilten Leidens. In der darmzerreißenden Ballade rappt der Musiker darüber, als Drogensüchtiger abgestempelt zu werden und das Unbehagen auszuhalten, dass seinen Alltag massiv beeinträchtigt: „I got stomach pain / Don't matter sun or rain / Thought that it went away / Uh-oh, here it come again." IBS ist ein toller Song, um Darmgeräusche zu übertönen oder um die Schmerzen zu untermalen, wenn man eine halbe Stunde oder länger wie ein Häufchen Elend auf der Kloschüssel sitzt.

Das Reizdarmsyndrom ist quasi das medizinische Äquivalent zu einem unsympathischen entfernten Verwandten: nicht lebensbedrohlich, aber trotzdem verdammt nervig und nicht wegzukriegen. Einmal da, wird man das Ganze nie mehr wirklich los, denn im Normalfall begleiten einen die Symptome dann den Rest des Lebens. Zwar kommen und gehen sie, wie sie wollen, aber das eben in schöner Regelmäßigkeit. Dabei äußert sich der Reizdarm in den verschiedensten Formen: Manche Leute haben richtig schlimmen Durchfall, andere müssen eher mit Verstopfungen kämpfen und wieder andere sitzen irgendwo dazwischen fest.

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Bei mir ist es Durchfall mit einem Schuss Verstopfung, also das Beste aus beiden Welten. Dazu kommen noch regelmäßige Monsterblähungen und Unterleibsschmerzen. Manchmal sind die Fürze so schmerzhaft, dass ich davon träume, ein Schaf zu sein und von einem wie Joseph Gordon-Levitt aussehenden Bauern mit einer langen medizinischen Nadel erleichtert zu werden. Da die Reizdarm-Symptome bei jedem Menschen anders ausfallen, ist das Herumexperimentieren mit Behandlungsmethoden ein langwieriger und anstrengender Prozess. Dinge, die bei manchen Leuten helfen, sind bei anderen verheerend. Biofeedback, Meditation, Yoga, Sport, bestimmte Ernährungsweisen und Akupunktur sind empfohlene Behandlungen, aber ein garantiertes Heilmittel gibt es nicht.

Manchmal sind es bestimmte Lebensmittel, die den Stein ins Rollen bringen, aber zu einem anderen Zeitpunkt sind genau diese Lebensmittel wieder vollkommen in Ordnung. Ich habe schon probiert, meine Ernährung umzustellen (inklusive diesen magischen Joghurt-Darm-Drinks), und es mit Sachen wie frei verkäuflicher Medizin gegen Blähungen, Kräuterzusätzen, mehr bzw. weniger Ballaststoffen, verschreibungspflichtigen Pillen und so weiter versucht. Meine derzeitige Therapie zur Symptom-Minimierung besteht aus Probiotika, aktiven Kohletabletten zum Gasabbau und verschreibungspflichtigen Darmmuskelentspannern. Dazu kommt dann noch regelmäßiger Sport und eine ausgewogenen Ernährung. An manchen Tagen bin ich damit erfolgreich, aber oftmals ist auch das nicht ausreichend.

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Es ist ziemlich schwierig, intim zu werden, wenn man Schmerzen hat und der Körper Geräusche von sich gibt, die wie eine Mischung aus Nebelhorn und sterbendem Monster klingen.

Mein Körper ist mein persönlicher Judas, denn er hintergeht mich quasi ständig. In den sieben Jahren seit meiner Diagnose bin ich immer introvertierter geworden und habe gewisse Verhaltensweisen entwickelt, die sich alle um meinen Darm drehen, denn es gestaltet sich wirklich schwer, einen Ausbruch vorherzusagen. Das Unvorhersehbare vorherzusehen, hat natürlich eine frustrierende Erfolgsquote, aber ich versuche es trotzdem. Ich bin die verkrampfte und schwitzende Person bei Meetings, die ständig auf dem Stuhl hin- und herrutscht, der wegen seiner Nähe zur Tür natürlich strategisch ausgesucht wurde. An Tagen, an denen meine Körpergeräusche durch den Grand Canyon unserer offenen Büroräume hallen und von den Computerbildschirmen und den besorgten Gesichtern meiner Kollegen zurückgeworfen werden, verbanne ich mich selbst in den hintersten Winkel des Büros. Dort warte ich dann in selbst auferlegter Einsamkeit darauf, dass mein Körper endlich Ruhe gibt.

Alkohol trinke ich nur noch in Maßen und Drogen (einzige Ausnahme: Marihuana) nehme ich noch weniger, denn ich befürchte ständig, das Biest zu wecken. Angst und Stress sind ebenfalls Auslöser—deshalb versuche ich auch, diese beiden Faktoren so weit wie möglich einzuschränken (allerdings habe ich mit Stress auch eine ganz besondere Beziehung). Ruhige Situationen rufen in mir allerdings oft Angstgefühle hervor, da ich mich quasi immer darauf vorbereite, dass das Rumpeln im Darm der Hölle losgeht. Filmabende und „entspanntes Abhängen" vermeide ich wie die Pest. Was den Sex angeht, ist es ziemlich schwierig, intim zu werden, wenn man Schmerzen hat und der Körper Geräusche von sich gibt, die wie eine Mischung aus Nebelhorn und sterbendem Monster klingen. Vor Kurzem legte mein Partner beim Kuscheln nach dem Sex seine Hand auf meinen Bauch und meinte: „Wow, es fühlt sich fast so an, als würde unser Kind da drinnen herumtreten." Ich hatte ihm eigentlich schon genug über meinen Körper gesagt, weshalb ich mich dann eher auf die Architektur meiner Wohnung konzentrierte und ihm den Ausgang zeigte. Bei anderen Partnern mache ich mich schon früh aus dem Staub, wenn ich die ersten Anzeichen von Unterleibsschmerzen verspüre. Dabei rede ich mich immer damit heraus, dass ich einem Freund beim Umzug helfen muss—was so gesehen ja auch stimmt, denn ich beziehe mich dabei auf den Inhalt meines Darms.

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Noisey: Wie man auf Tour schön bleibt (und ohne Schmerzen kacken kann)

Es gibt allerdings auch positive Seiten: Mein Leben mit einem Reizdarm hat mich dazu gebracht, mit meinem Körper offener umzugehen und meine Bedürfnisse gegenüber anderen Leuten direkter zu kommunizieren. Manchmal verbringe ich beim Essengehen 15 Minuten auf der Toilette—in dieser Zeit hat meine Begleitung dann Gelegenheit, Däumchen zu drehen oder Instagram zu checken. Es gibt allerdings auch Abende, an denen die Blähungen und die Geräusche so heftig sind, dass ich es für besser halte, mich ganz zu entschuldigen und den Abend früher zu beenden als geplant. Manchmal vermeide ich gewisse Veranstaltungen auch komplett.

Das Thema Scheiße ist für mich schon lange kein Tabu mehr. Das darf es auch gar nicht sein. Wenn ich nicht selbst darüber rede, dann werden das irgendwann sowieso meine inneren Organe für mich übernehmen. Ich bin immer noch auf der Suche nach einer funktionierenden Behandlungsmöglichkeit, die meine Symptome zuverlässig lindert. Bis dahin verbleibe ich mit den Worten meines Reizdarm-Kollegen Cam'Ron: „It ain't my fault if I shit on y'all."


Titelfoto: Heather Benjamin