FYI.

This story is over 5 years old.

Die Pussy-Riot-Kolumne

Die Pussy-Riot-Kolumne: Ihr habt es in der Hand, Politik wieder unterhaltsam zu machen

Dort gibt es nämlich nicht nur Bushes und Clintons, sondern auch Harvey Milks und Hunter S. Thompsons.

Foto: Thierry Ehrmann | Flickr | CC BY 2.0

Stellt euch mal vor, die Welt würde auf Putins Aggression in der Ukraine genau so reagieren wie damals auf die US-Aggression in Vietnam. Wenn sich europäische und amerikanische Künstler, Filmemacher und Aktivisten mit den russischen und ukrainischen Anti-Kriegs-Demonstranten zusammenschließen würden, um Putins Vorgehen zu verurteilen, dann hätte die Kultur gewonnen. Moderne Versionen der Filme Apocalypse Now und Full Metal Jacket wären im Kino zu sehen und am Broadway würde man Musicals im Stile von Hair aufführen—bloß mit einem russischen Soldaten, der in der Ostukraine insgeheim in den Tod geschickt wird (und irgendwelche russischen Hooligans wie Pussy Riot würden ihn aus seiner Militäreinheit entführen). Stellt euch das bitte mal vor.

Anzeige

Die Kubricks und Coppolas dieser Welt machen sich ans Werk, wenn ein Thema unumgänglich wird. Diesem unumgänglichen Thema wird durch Aktivisten, Studenten, Büroarbeitern und Lehrern Leben eingehaucht, denn all diese Menschen nehmen das Thema Krieg irgendwann richtig persönlich. Die Dringlichkeit wird dann immer größer und das Thema wird durch die Kunst quasi unsterblich gemacht. Erst dann haben die Bürger—nicht nur auf dem Papier oder in Protestgesängen—eine richtige Stimme sowie die Macht, die Regierung dazu zu zwingen, den Krieg zu beenden.

Erst dann kann ich voller Stolz sagen: „Wir sind die Macht!"

Zur Zeit murmle ich diese Worte jedoch nur unsicher, fast schon peinlich berührt. Welche Macht sind wir denn, wenn nicht nur russische, sondern auch europäische und amerikanische Studenten zu mir sagen, dass sie „Politik nicht interessiert, weil sie langweilig ist"? Wer, wenn nicht ihr, kann sie denn wieder unterhaltsamer gestalten? Wir können wohl kaum erwarten, dass Jeb Bush eine seiner Wahlkampfveranstaltungen in eine Drag-Queen-Party verwandelt. Also engagiere dich in der Politik und organisiere eine Kampagne, nur damit du eine Siegesfeier mit Drag-Queens und feministischen DJs veranstalten kannst. In der Politik gibt es nämlich nicht nur Bushes und Clintons, sondern auch Harvey Milks und Hunter S. Thompsons.

Eines Nachts habe ich in einer Bar mal versucht, Quentin Tarantino davon zu überzeugen, einen Film über die zukünftige russische Revolution zu drehen. Darin wird Putin gestürzt und der Ukraine-Konflikt findet sein Ende. Nach Inglorious Basterds und Django Unchained habe ich keine Zweifel daran, dass Tarantino eine richtig guten Film über den Sturz Putins machen könnte. Und wenn wir uns alle so in der Politik engagieren würden wie die Leute der Anti-Kriegs-Bewegungen damals in den 60er und 70er Jahren, dann würde Tarantino auf jeden Fall einen richtig geilen Streifen mit Superheldinnen produzieren, die sich einen Tunnel bis unter den Kreml graben, Putin durch Lenins Leiche ersetzen (am Ende irrt Putin dann durchs Mausoleum und weiß nicht, wo sich der Ausgang befindet), den Fernsehturm besetzen und schließlich den Krieg in der Ukraine beenden.

Anzeige

Und auch wenn es in den USA keinen Putin gibt, so haben die Leute dort doch andere Probleme: Fox News als beliebtester Nachrichtensender, der Tod von Eric Garner oder zahlreiche andere Fälle von Polizeigewalt. Dort drüben ist Abtreibung außerdem immer noch ein Streitthema—für die Russen ist das Recht auf einen vorzeitigen Schwangerschaftsabbruch zum Beispiel völlig selbstverständlich und steht gar nicht zur Debatte. Falls Gott mich jemals aus Russland rausholen und meinen würde, dass ich meine politische Kunst von jetzt an in den USA machen müsste, dann hätte ich auf jeden Fall Tausende Themen als Inspiration. Wenn du die Politik liebst, dann wird sie dich auch lieben. Sorge mithilfe politischer Kunstprojekte für Aufsehen. Hilf mir und Pussy Riot bei unserer Anti-Kriegs-Mission.

Marija Wladimirowna Aljochina und Nadeschda Andrejewna Tolokonnikowa von Pussy Riot treten beim Glastonbury Festival auf. (Foto: Danny Martindale / WireImage)

Am 26. Juni stürmte Pussy Riot das britische Glastonbury Musikfestival und fuhr dabei mit einem Panzer herum, der neben der Bühne geparkt war. Ein paar Minuten nach Beginn des Pussy-Riot-Auftritts sprang ein uniformierter Soldat mit schwarzer Maske und einer AK-47 aus der Luke des Gefährts: „Wir gründen hier die Volksrepublik von Glastonbury! Ohne Pussy Riot mit ihren ganzen liberalen Ansichten! Ohne Schwulenparaden im gesamten Gebiet unserer Republik!" Die Menge begann daraufhin zu buhen. Dann fesselten zwei der Pussy-Riot-Grrrlz den Militanten, zogen ihm eine Regenbogen-Sturmhaube über den Kopf, nahmen ihm seine Waffe weg und überklebten seinen Mund noch mit Klebeband. Anschließend verkündeten sie die „Zehn Gebote von Pussy Riot"—darunter zum Beispiel „Do Not Read the News, Make News", „Have a Break, Have a Riot", „Stay Queer" oder „Think Different, Think Feminist".

Anzeige

„Ich bewundere Eva", rief eine Frau mit einer pinken Sturmhaube vom Panzer herunter. „Adam war nicht gerade der Hellste und hing deshalb nur im Paradies herum und befolgte die Anweisungen Gottes. Eva hingegen war immer unterwegs und fand dabei einen Apfel. Laut der Bibel war das der Apfel der Erkenntnis. Also müssen wir im Grunde Eva für die Wissenschaft, Space Shuttles, iPhones, Aufnahmestudios, Kaffeemaschinen und das Internet danken. Uns wird immer gesagt, dass Männer alles erfinden, aber ohne Eva wäre die Menschheit nichtmal in der Lage, selbstständig zu denken und sich Wissen über die Welt anzusammeln. Was ist besser, einen Bissen vom Baum der Erkenntnis zu nehmen und damit Gut und Böse zu erkennen oder wie ein glückseliger Idiot einfach nur auf den Schultern Gottes zu sitzen? Eva war die erste Feministin und im Allgemeinen ziemlich lässig drauf."

Charlotte Church diskutiert beim Glastonbury Festival mit den Pussy-Riot-Mitgliedern Marija Wladimirowna Aljochina und Nadeschda Andrejewna Tolokonnikowa. (Foto: Danny Martindale / WireImage)

Die junge Frau mit der pinken Sturmhaube war ich. Ich stand auf dem Panzer, weil ich der Meinung bin, dass wir—also du und ich—unseren Regierungen die Waffen wegnehmen müssen. Wir müssen die militärische Ausrüstung für uns beanspruchen. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass wir für das ganze Zeug viel interessantere Verwendungszwecke finden würden—zum Beispiel für die Kunst oder als Bühnen bei Musikfestivals.

Die Anti-Kriegs-Bewegung ist vorbei und die wahre Tragödie ist die, dass der Krieg trotzdem weiterläuft. Unsere Generation hat sich Filme angeschaut und ist mit der Vorstellung aufgewachsen, dass wir Rechte dazugewonnen hätten oder dass uns gewisse Rechte zustehen. Die Konservativen werden ohne Gegenwehr immer stärker und wir nehmen das zur Zeit einfach so hin. Deshalb gewinnt David Cameron die britischen Parlamentswahlen und kürzt dann Sozialleistungen. Deshalb werden rechtspopulistische Parteien in Frankreich immer beliebter. Deshalb ist Viktor Orban in Ungarn an der Macht und schüttelt fleißig Hände mit Putin.

Anzeige

Wenn man seine Rechte und seine Freiheit als selbstverständlich ansieht, dann werden sie einem durch die Hände rutschen. Deshalb muss man sich ständig neue Rechte erkämpfen. Manchmal müssen wir wie bei Alice im Wunderland mit aller Kraft losrennen, um am gleichen Fleck zu bleiben—aber das muss uns unsere Freiheit wert sein.

Foto: Bundesfraktion Bündnis 90/DieGrünen | Flickr | CC BY 2.0

Am 28. Juni war Pussy Riot bei den Gay-Pride-Feierlichkeiten in Toronto und zog auf einer riesigen roten Rakete (oder Penis) durch die Stadt. Bei dem ballistischen Flugkörper handelte es sich um eine Topol-M—die gleiche Waffe, die auch bei den russischen Militärparaden in Moskau zuhauf zu finden ist. Sie steht symbolisch für die Hunderten hinterhältigen Politiker wie Putin, die nur für Zerstörung und Krieg stehen. In der von Männern dominierten Welt der Politik neigt man oft dazu, seine Schwanzlänge am Ausmaß der Macht abzumessen. Wenn Putin also mal wieder einen neuen Krieg anfängt, dann will er damit eigentlich nur sagen: „Schaut her, wie groß mein Schwanz ist!" Wir bei Pussy Riot setzen Schwänze lieber in der Liebe als im Krieg ein. Deshalb haben wir auch eine von Putins Raketen geklaut und sie mit zur Pride-Parade gebracht. Jetzt ist es unsere Pussy-Riot-Homo-Rakete. Ich bin zwar eine Frau, aber auch ich habe einen Schwanz—und der ist größer als der von Putin. Jede Frau hat einen Schwanz.

Noisey: Der Tag an dem wir uns alle Pussy-Riot-Solidaritätstattoos stechen ließen

Putin will der Welt erzählen, dass Russland ein konservatives, altertümliches Land ist, das für Schwulenrechte noch nicht bereit ist und wo Kinder vor Homosexuellen beschützt werden müssen. Lieber Wladimir, das ist nicht wahr. Russland ist eines der fortschrittlichsten Länder der Welt—russische Frauen haben zum Beispiel lange vor ihren amerikanischen Gegenstücken das Wahlrecht und andere Ansprüche erhalten. Russland ist der Geburtsort der Avantgarde und nicht des konservativen Sumpfs, den Putin anscheinend aufbauen will. LGBT-Rechte sind meine Familienwerte, ganz im Gegensatz zu deren sogenannten traditionellen Werten, die vor allem von Unterdrückung und Gewalt geprägt sind.

„We don't need no wars, we don't need no gender roles, we don't need no thought control."

Wir Russen wollen mehr Taten der Umgehorsamkeit sehen, zum Beispiel nach dem Vorbild der unglaublich tollen Yes Men. Ich will hier nicht angeben, aber nach unseren Auftritten sprechen uns häufig Leute an und meinen, dass sie sich durch die Kunst und den Aktivismus von Pussy Riot sehr inspiriert fühlen. Aber denkt immer daran, dass auch wir inspiriert werden wollen—wie damals von den wilden, verrückten und sexy Riot Grrrlz.

Seid meine Inspiration!