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Kann eine Droge durch ein Mal Probieren direkt abhängig machen?

Zwar ist der Glaube, dass nach einem Schuss Heroin alles zu spät ist, weit verbreitet, aber das Ganze widerspricht dem, was wir über die Funktionsweise unseres Gehirns wissen.
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Ein MRT-Scan des menschlichen Kopfes | Foto: Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Man kennt sie doch, die alte Story davon, wie einige Drogen so viel Vergnügen bereiten oder so heimtückisch sind, dass man bereits nach einmal Ausprobieren abhängig ist. Und es ist auch keine Schande, diese Story zu glauben, weil man in den Medien ständig davon liest. So schreibt die Daily Mail zum Beispiel, dass bereits eine Nase Kokain ein extremes Suchpotenzial birgt, oder es heißt in der Times Daily, dass die sofortige Meth-Sucht offiziell kein Mythos ist.

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Aber stimmt das alles überhaupt? Kann man wirklich von einer Droge abhängig sein, wenn man sie nur einmal genommen hat? Bevor wir diese Frage beantworten können, ist es wichtig zu verstehen, wie Suchtmittel wie etwa Methamphetamin oder Heroin im Gehirn wirken.

Auch wenn sie dabei unterschiedlich vorgehen, lösen die meisten Suchtdrogen die Ausschüttung des Feel-Good-Neurotransmitters Dopamin aus. Nehmen wir mal ein Opiat wie Heroin als Beispiel: Das Mittel bindet sich an Opiat-Rezeptoren und verhindert damit, dass Neurotransmitter ausgeschüttet werden, die dem Dopamin entgegenwirken. Da nun kein Gleichgewicht mehr herrscht, wird das Gehirn quasi mit Dopamin überflutet. Zum Vergleich: Amphetamine (deren Struktur ganz ähnlich der von Dopamin ist) gelangen in die Gehirnzellen, indem sie direkt durch die neuralen Membrane diffundieren. Dort sorgen die Amphetamine dann dafür, dass Dopamin ausgeschüttet und gleichzeitig nicht abgebaut wird.

Wenn ein Mensch nun regelmäßig Drogen konsumiert, dann wird das körpereigene Belohnungssystem mit der Zeit immer unempfindlicher. Da mehr als genug Dopamin vorhanden ist, hört der Köper auf, eigenes Dopamin zu produzieren und regelt gleichzeitig die Anzahl der Dopamin-Rezeptoren nach unten. Das bedeutet, dass der Konsument nun Drogen braucht, um den Dopamin-Spiegel auf einem normalen Level zu halten. Ohne Drogen fühlen sich diese Menschen dann matt und energielos. Es kann sogar sein, dass Symptome wie Übelkeit, Schüttelfrost, Krämpfe oder Schweißausbrüche auftreten. Genau diese Entzugssymptome sind ein Anzeichen dafür, dass sich eine körperliche Abhängigkeit entwickelt hat.

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Kommen wir zurück zur eigentlichen Frage. Dr. John Edwards und Dr. Peter Connor sind zwei Suchtspezialisten, die in australischen Kliniken tätig sind und mit denen ich während meines Medizinstudiums zusammenarbeiten durfte. Beide stimmen mit mir überein und sagen, dass Sucht kein wirklich passendes Wort ist, weil es mit einem so schlechten Stigma behaftet ist. Wenn man davon allerdings mal absieht, dann gibt es doch einige Vorraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um eine Sucht zu diagnostizieren: Es müssen körperliche Symptome der Toleranz und des Entzugs auftreten und dazu Steuerungsprobleme, eine soziale Störung sowie risikoreiches Verhalten bemerkbar sein. Keine Droge schafft eine solche Kombination nach nur einmal Ausprobieren.

Drogen können die Hirnchemie nicht schnell genug verändern, um einen Menschen sofort süchtig zu machen. Bei einer britischen Studie aus dem Jahr 2002, bei der 72 Heroin-Konsumenten untersucht wurden, kam heraus, dass es im Durchschnitt mehr als ein Jahr dauert, um von Heroin abhängig zu werden. Keiner der Probanden gab an, sofort süchtig gewesen zu sein.

Es gibt jedoch auch Forschungen, die besagen, dass einmal Ausprobieren vielleicht nicht sofort abhängig macht, das Gehirn jedoch auf eine Sucht „vorbereiten" kann. Einer 2001 im Magazin Nature veröffentlichten Studie zufolge öffnet eine Dosis Kokain möglicherweise ein „Zeitfenster der Anfälligkeit", in dem das Gehirn auf weitere Dosen heftiger reagiert. Allerdings meinte der leitende Forscher Dr. Antonello Bonci auch: „Damit wollen wir nicht sagen, dass man nach einer Dosis Kokain abhängig ist. Millionen Menschen haben diese Droge ausprobiert und danach nie wieder angerührt."

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Hier muss man jedoch auch anmerken, dass man noch nicht zwangsläufig als Süchtiger bezeichnet wird, wenn man körperlich von einer Droge abhängig ist. Leute mit chronischen Schmerzen, die hohe Dosen an Opiaten einnehmen, werden zwar Toleranz- und Entzugssymptome merken, aber man bezeichnet sie trotzdem erst als süchtig, wenn sich ihr Verhalten im Bezug auf die Drogen verändert. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass zusätzliche Verschreibungen gestohlen werden oder Zeit damit zugebracht wird, extra Geld für die Drogen zu beschaffen.

Ein weiterer prägnanter Ausdruck, der in der Diskussion zum Thema Drogensucht oft genannt wird, ist die „psychologische Abhängigkeit". Dieser Begriff besagt, dass eine Droge bei der Denkweise, dem Verhalten und den Emotionen einer Person immer im Mittelpunkt steht. Vielleicht ist dieser Person auch klar, dass die Droge schädlich ist, aber sie fühlt sich trotzdem zu ihr hingezogen, weil sie sich durch das Suchtmittel besser fühlt oder sich dadurch eine Flucht vor der Realität erhofft.

Ich bin früher immer davon ausgegangen, dass eine Person schon nach einmal Ausprobieren von einer Droge psychologisch abhängig sein kann. Connor und Edwards sind da jedoch anderer Meinung und inzwischen gehe ich mit ihnen konform. „Zu diesem Zeitpunkt ist man noch nicht abhängig. Am nächsten Tag denkt man vielleicht schon wieder ganz anders", erklärt Connor. „Diese eigene Wahl und Kontrolle bedeutet, dass noch keine Sucht da ist—denn wenn das der Fall wäre, würden auch diese beiden Faktoren wegfallen."

John vergleicht die Situation mit dem Kauf von Eiscreme. „Am einen Tag kommst du an einer Eisdiele vorbei und holst dir zwei Kugeln, die auch richtig lecker schmecken. Am nächsten Tag kommst wieder du an der Eisdiele vorbei und denkst dir dieses mal aber nur, dass ein Eis jetzt schon ganz schön wäre. Obwohl du das Eis willst und es dir auch richtig gut schmeckt, bist du davon nicht emotional abhängig."

Den Experten zufolge ist es also nicht möglich, von einmal Ausprobieren direkt drogensüchtig zu werden.

Aber warum tauchen in den Medien dann immer wieder neue Horror-Storys auf? Durch meine Unterhaltungen mit Connor und Edwards sowie durch meine eigene medizinische Erfahrung bin ich auf zwei mögliche Ursachen dafür gekommen: Erstens bedienen solche Schlagzeilen Ängste (vor allem die der Eltern) und verkaufen sich deshalb gut und zweitens wissen viele Leute natürlich nicht wirklich, wie diese Drogen wirken—ein Umstand, der sie diese Schlagzeilen dann glauben lässt.

Das letzte Wort gehört nun Connor. So meint er, dass man von einer Dosis zwar noch nicht sofort anhängig wird, diese eine Dosis aber trotzdem der erste Schritt zur Sucht sein kann.