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Schamhaare sind der größte Scheiß

Letzte Woche gab es hier ein Plädoyer für mehr Schamhaare. Aber mehr Wildwuchs bedeuten nicht mehr Feminismus und Freiheit, sondern steht nur alte, überholte Konzepte von Natur und Unberührtheit.

Letzte Woche konntet ihr an dieser Stelle ein Plädoyer für mehr Schamhaare lesen, in dem es grob gesagt darum ging, dass Rasieren völlig überbewertet ist und wir endlich damit aufhören sollten, auch noch die letzten Reste an Natürlichkeit, wie eben Haare und Gerüche, von unserem Körper zu verbannen. Diese Argumente sind nicht nur spätestens seit Feuchtgebiete alt, sondern waren meiner Meinung nach auch schon damals ein bisschen zu kurz gegriffen, um nicht zu sagen: komplett daneben.

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Das Problem ist nicht nur, dass seit Charlotte Roches Rundumschlag gegen den „westlichen Hygienewahn" viele Menschen Feminismus mit Slackertum verwechseln und das Buch, das sich wie eine abgearbeitete Checkliste belangloser Tabus und noch banalerer Schockier-Szenarien liest, als Untermauerung von oder zumindest Ausrede für ihre eigene florierende Faulheit heranziehen.

Das Problem ist vor allem, dass durch die Politisierung des freien Haarwachstums und der ungebremsten Geruchentwicklung ein paar ziemlich alte Konzepte davon, was „Natur" eigentlich ist und welche Rolle wir Menschen in diesem großen Ganzen spielen, übernommen werden. Und das Problem damit ist wieder, dass solche Ideale selbst immer künstlich geschaffen und, im Gegensatz zu Schamhaaren, absolut nicht natürlich gewachsen sind.

Aber bevor ihr hier das Gefühl bekommt, ich würde mich mit meiner Meinung hinter einem breitschultrigen Bully aus akademischer Argumentation verstecken, lasst mich vielleicht auch noch was Persönliches sagen: Ich mag Schamhaare nicht besonders. Sie sind die Zensurbalken der Natur, die den Blick auf genau das verstellen, wegen dem man gerne Sex hat und Pornos schaut—das Zischen ohne das Steak, der Haken ohne die Beute, der Türsteher am Eingang zum Garten Eden.

Das ist natürlich eine Typenfrage. Für manche ist Sex oder Sexualität ganz allgemein eher ein unbestimmter, ausgefranster, verwaschener Fleck aus hormonell gesteuerten Bewegungen und Handlungen, die man auch gar nicht durch so konkrete Dinge wie entblößte Kitzler oder gut einsehbare Hodennähte entmystifizieren will. Dieselben Leute reden vermutlich auch nicht unbedingt darüber, wo genau sie gerne berührt werden und duschen vermutlich auch nur alleine. Im Sitzen. Weinend. Bei dreimal versperrter Türe.

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Für mich braucht Sex, bei aller Romantik, nicht unbedingt einen zusätzlichen Schleier aus Scham und auch keinen Weichzeichner aus zusammengekniffenen Augen, abgeschaltetem Licht oder verhüllten Genitalien. Und um auch gleich ein anderes gängiges Argument aus dem Weg zu räumen:

Nein, das hat nichts mit Pädophilie zu tun, weil die Schamlippen einer Mitt- oder Endzwanzigerin auch ohne Haare noch ziemlich gut als die Schamlippen einer Mitt- oder Endzwanzigerin erkennbar sind—genauso, wie der Schwengel eines Dreißigjährigen nicht automatisch wie der eines Chorknaben aussieht, nur weil man ein paar Kraushaare am Schaft entfernt hat. Genauso gut könnte man Intimrasur-Freunden unterstellen, sie hätten ein Faible für Chemotherapie-Patienten. (Und wehe, die Trolle unter euch basteln daraus jetzt wirklich eine neue Theorie.)

Im Bild: KEINE Chemo-Barbies. Foto von Emily Schreck

Ich mag rasierte Vaginas einfach, weil glattrasierte Stellen für mich wie sexuelle Leuchtmarker funktionieren, anstatt wie ein fetter Edding alles Wesentliche durchzustreichen. Das hat also ganz praktische und pragmatische sowie persönlich-pornografische Gründe und geht weder so weit, dass ich kategorisch etwas gegen gestutzte Muschi-Frisuren hätte, noch würde ich jemals Intimrasuren für alle fordern.

Trotzdem muss ich sagen, dass ich die Argumente dagegen oft recht seltsam finde. Zum Beispiel auch, Imtimrasur wäre auch für Oralverkehr nicht wichtig, weil immerhin auch Männer ihren Vollbart behalten dürften, obwohl man sie direkt ins Gesicht küsst. Der Vergleich ist nur bedingt richtig.

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Sicher, in beiden Fällen würgt man danach nicht tagelang wie eine Katze Haarbälle herauf. Aber eine wild bewucherte Frau zu lecken, ist nicht, wie einen bärtigen Mann auf den Mund zu küssen—es ist mehr, wie einen bärtigen Mann auf den Adamsapfel zu küssen, während sich sein Bart bei jedem Einatmen mit deinen Nasenhaaren verzwirbelt.

Das nur am Rande. Man muss aber auch nicht immer lecken und wenn ich früher jemanden ausgezogen habe und die Person eine schwarze Schaumkrone statt einer sterilen Luke zwischen den Beinen hatte, habe ich das nicht als Demonstration oder als Botschaft oder als performative Zurschaustellung einer politischen Pussy-(oder Pimmel-)Positionierung verstanden.

Umgekehrt war für mich auch ein rasierter Samenbeutel nichts dergleichen und stand deshalb weder für mehr Reinlichkeit noch mehr Homo- oder Metrosexualität als ein bewaldeter. Irgendwie habe ich den Umgang mit den eigenen Genitalien (und vielleicht noch denen seines Partners) immer als Ausdruck von persönlichen Vorlieben verstanden.

Die Debatte darüber, wie „natürlich" die beiden Design-Varianten sind, hat es seither ziemlich schwierig gemacht, über seine diesbezügliche Vorliebe noch unpolitisch zu reden. Wie gesagt ist ein Problem dabei, was mit Natur überhaupt gemeint ist. Um das herauszufinden, gibt es eine ziemlich einfache Methode: Und zwar, indem man sich fragt, was denn das Gegenteil zu dem Begriff wäre, von dem die Rede ist.

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Was steht in diesem Fall also am anderen Ende von „Natur"? Das sind vor allem „Künstlichkeit", „Beeinflussung", „Sterilität" und „Kontrolle". Natur wird damit zu einem Ideengerüst, das für Unberührtheit steht. Wenn Natur und Natürlichkeit aber das Gegenteil von allen diesen Begriffen ist, müsste man auch bei ein paar anderen Dingen nachhaken, die unser heutiges Leben ausmachen und die genauso viel Eingriff in die unberührte, natürliche Ordnung des Lebens sind:

1. Ernährung:

Wie man seit der Entdeckung des glykämischen Indexes weiß, verhindern Lebensmittel, die den Blutzucker niedrig halten, nicht nur Heißhunger, sondern auch, dass unser Körper zellschädigende Stoffe bildet. Außerdem nehmen wir mit allem, was wir uns zuführen, Einfluss auf die „natürlichen Prozesse" unseres Metabolismus; egal, ob wir früher auf rohem Fleisch oder lustigen Wurzeln herumgekaut haben oder uns heute über Kaffee, Tee und Red Bull Energie zuführen.

2. Sport:

Duh. Und wenn wir schon dabei sind, gilt das auch für jede andere Art von Bewegung, die nicht zum Überleben nötig ist und unsere Physiologie verändert. Prinzipienreiter würden wahrscheinlich sagen, dass schon der erste Schritt eine Einflussnahme auf unseren Körper darstellt, die nicht aus der Natur, sondern aus unserem Willen kommt. So weit will ich gar nicht gehen. Es reicht schon, wenn man alle Bewegungen hernimmt, die nicht der Fortbewegung und Futterbeschaffung, sondern einfach nur der gesundheitlichen und ästhetischen Instandhaltung dienen.

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Wie „natürlich" ist es bitteschön, mit 75 Jahren noch 30 Minuten täglich spazieren zu gehen, nur weil der Doktor einem sagt, dass es besser für dich wäre? Wenn du mit 75 auf die natürliche innere Stimme deines Körpers hörst, wird dieser dir vermutlich sagen „Lass mich mit deinem Scheiß in Ruhe, alles ist anstrengend und ich will nur noch vegetieren". Diesem sehr weisen, sehr natürlichen Körper deinen Willen aufzuzwängen, finde ich ziemlich arrogant und künstlich von dir.

3. Medizin:

Doppel-Duh. Sehr viel künstlicher, steriler und kontrollfreakiger als in der Medizin wird es wohl nicht mehr. Außerdem muss aus der Sicht eines Homo erectus auch der Grad an übernatürlicher Beeinflussung des Lebens geradezu magisch sein.

Das sind nur die drei offensichtlichsten von vermutlich Hunderten Beispielen, die zeigen, dass das Natürlichkeitskonstrukt, wie Schamhaar-Verfechter es im Kopf haben, in absolut keinem Lebensbereich mehr anwendbar ist. Und überhaupt: Was soll an der utopischen, unberührten Vorstellung von Natur so toll sein?

Wohin genau wollen wir zurück? Wann genau war es so viel besser? Und habt ihr schon mal eine Doku über Primaten gesehen? Die Viecher werfen nicht nur mit ihrer eigenen Scheiße um sich, sondern häuten und fressen sich in Streitsituationen sogar gegenseitig.

Und woher kommt die Annahme, dass andere Tiere keinen Einfluss auf ihre Umwelt oder sich selbst nehmen? Termiten bauen gigantische babylonische Türme in die Landschaft, Kühe und Schafe produzieren Unmengen an CO2 und beeinflussen damit sogar die Atmosphäre. Eine Vielzahl von Tierarten beeinflusst aktiv die Form ihrer Zähne, Hauer und Nägel.

Zeit also, sich vom Mythos von der unberührten, reinen Natur einerseits und der verdorbenen, unsauberen Kultur andererseits zu verabschieden. Schamhaare sind nicht mehr als ein evolutionäres Überbleibsel und ein Deko-Rückstand des 70er Jahre Porno-Universums, auch wenn manche Menschen ihnen so was wie identitätsstiftende Eigenschaften zuschreiben wollen.

Praktisch gesehen gibt es keinen Grund, an ihnen festzuhalten—aber natürlich auch keinen, sie zu entfernen. Das Schöne am Menschsein ist aber, dass wir dank unseres Bewusstseins nicht nur an Sex denken können, während wir keinen haben, sondern auch in der Lage sind, auf praktische Gründe komplett zu scheißen.

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