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Motherboard

Diese Website erschafft ein ganzes Universum im Elektron des Fettgewebes eines Penisses

Das Programm „Nested" generiert bei jedem Laden der Seite unendlich viele neue Universen—von Weltraumnebeln über den Einkaufszettel in der Tasche einer Bibliothekarin bis hin zu den nicht immer kohärenten Gedanken einer Katze.

Laura Smith sitzt in ihrem Wohnzimmer und sieht sich einen Film an, in dem ein Soziopath Geisteskranke umbringt. „This movie's plot is hilariously bad" denkt sie, und ihre Gedanken driften ab in ihre Kindheit, als sie mit ihrer Tante gekocht hat, und an das neue Auto, das sie sich so sehr wünscht. An der Wand hängt ein Gemälde, beschrieben als „a portrait of a merry spoon and a mirrored cosmic abomination in a bleak landscape. The cosmic abomination is reading a book, and the spoon is partying."

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Diese alltägliche Szene spielt sich in der beschaulichen Hauptstadt der nordwestlichen Region des Landes Austranisia ab, das sich in einem Universum innerhalb eines Elektrons im Fettgewebe des Penisses eines Herrn namens Walter Scott befindet. Das Universum, das Walter Scott wiederum bewohnt, ist zusammen mit unendlich vielen anderen in meinem Browser von einem Computerprogramm erzeugt worden.

Der Name dieses grandiosen Programms ist Nested (Untertitel: A simulation of everything). Es funktioniert über eine Website im Browser und gehört zu diesen Dingen, die man schneller begreift, wenn man sie kurz ausprobiert, als wenn sie jemand erklärt. Im Grunde generiert Nested bei jedem Laden der Seite unendlich viele unendliche Universen, die ineinander verschachtelt sind und als Textbausteine in klassischer EDV-Ordnerstruktur erforscht werden können, von Galaxien und Weltraumnebeln über den Inhalt eines Einkaufszettels in der Tasche einer Bibliothekarin bis hin zu den nicht immer kohärenten Gedanken einer Katze.

Der „everything but the kitchen sink" wäre in diesem Zusammenhang sogar klar untertrieben. Nicht nur Küchenabwaschen wird sehr wohl simuliert, auch die physikalischen Elemente des Porzellans, des Metalls, von Dreck und Staub—bis auf die subatomare Ebene und noch weiter. Irgendwo unterhalb der Atome und Quarks entdeckt man dann komplett neue Universen, die wiederum mit dem gleichen Detailgrad simuliert sind und darauf warten, erforscht zu werden.

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Diese Universen sind wohlgemerkt nicht lebendig, es bewegt und entwickelt sich also nichts in ihnen. Es sind eingefrorene Schnappschüsse einzelner Momente, um die herum sich unser menschlicher Geist naturgemäß und ganz wie von selbst Geschichten überlegt. Richtig spannend wird das, wenn wir in die Psyche eines Menschen oder Tieres einsteigen, wo wir Gedanken und Erinnerungen lesen können.

Ich hatte schon immer den Verdacht, dass die Hunde, denen ich auf der Straße begegne, insgeheim Dinge denken wie „oh no it's happening agai- THE BODY, THE BODY OF THE LORD into new order". Von selbst versteht sich dabei, dass nicht alle Planeten eines Universums auf dem gleichen technologischen Stand sind. Wir können genauso gut auf Dinosaurier, Mammuts und Höhlenmenschen stoßen wie auf Raumschiffe, Cyborgs und Nanomaschinen.

Mit Nested zu spielen macht nicht nur viel Spaß, weil der gestörte Detailgrad immer wieder neue Überraschungen sorgt und der französische Entwickler Orteil, der sich auch für das kultige und ähnlich avantgardistische Cookie Clicker verantwortlich zeichnet, viele schöne Gags versteckt hat, sondern kann auch eine durchaus bewusstseinserweiternde Erfahrung sein, die nicht unspannende Perspektiven auf Sein und Dasein eröffnet. Mich zumindest macht der Gedanke, dass jedes einzelne Atom meines und jedes anderen Körpers eine unendliche Anzahl weiterer Galaxien, Planeten und Lebewesen enthält ein bisschen wuschig.

Unser Kumpel Walter Scott ist übrigens Angestellter in einem Geschäft namens Bestshop, der so ungefähr alles von Kleidung über Yo-Yos bis zu Büchern zu verkaufen scheint. "My butt is itchy", denkt er gerade. Kein Wunder bei den ganzen verdammten Universen!

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