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It's still real to me, damn it!

Ein Wrestler kämpft gegen Raumschiffe, Idioten und Kleinkinder

Wrestling hat seine letzte große Blütezeit eigentlich schon hinter sich. Jetzt erobert der Wrestler Randy Orton das Internet zurück—und zwar als Meme in Pannen-Videos.
Screenshot via YouTube

Auch, wenn es mir als Fan weh tut, das zu sagen: Wrestling hat seine letzte große Ära bereits hinter sich.

Das könnt ihr ziemlich einfach selbst nachprüfen, indem ihr quer durch euren Freundeskreis oder eine x-beliebige Fußgängerzone fragt, was den Leuten als erstes zu Wrestling einfällt—und als Antwort immer wieder dieselben Namen kommen werden: Hulk Hogan, Undertaker, WrestleMania, Bret „Hitman" Hart und „Stone Cold" Steve Austin (neben einer Auswahl an austauschbaren, bunt behosten Spandex-Figuren, die man in seiner Kindheit cool fand, weil sie einen an die Fake-Sport-Version der Power Rangers erinnerten—wie Tatanka, Koko B. Ware, 1-2-3 Kid oder Max Moon).

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Das Blöde ist nur, dass Bret Hart inzwischen seine Karriere wegen eines Schlaganfalls beenden musste, der Undertaker letztes Jahr seine erste WrestleMania-Niederlage kassiert hat und WrestleMania selbst nie wieder so relevant oder groß sein wird wie damals vor fast 28 Jahren bei WrestleMania 3. Was wahrscheinlich auch die Erklärung dafür ist, warum Hulk Hogan bei seinem WrestleMania 30-Auftritt prompt den Namen der Veranstaltungshalle mit dem von WrestleMania 3 verwechelt hat und sich als der senileste Hauptdarsteller im wahrscheinlich skurrilsten Sextape aller Zeiten outete. Ah ja, und „Stone Cold" Steve Austin hat sich bereits in seiner aktiven Zeit das Genick gebrochen und ist seither—genau wie sein ähnlich bekannter Rivale Dwayne „The Rock" Johnson—hauptsächlich auf weniger anstrengende Filmdeals und gelegentliche Podcast-Auftritte ausgewichen.

Was ich damit sagen will, ist: Wrestling ist alt geworden. Es ist wie euer Onkel, der immer noch glaubt, mit seiner Digitaluhr Eindruck schinden zu können und nicht versteht, was bitteschön der Unterschied zwischen seiner alten Casio und einer Apple Watch sein soll. Einer der Gründe dafür ist, dass das heutige Mainstream- Wrestling der WWE (früher WWF) immer noch von einem Mann geleitet wird, der euer Casio-tragender Onkel oder sogar Großvater sein könnte: dem Mulitmilliardär Vince McMahon, der Jahrgang 1945 ist und die Liga bereits seit 1982 leitet.

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Seit damals hat sich natürlich trotzdem viel getan. Einerseits gibt es für Wrestling-Fans heute mehr gutes Angebot als jemals zuvor ( New Japan Pro Wrestling, Pro Wrestling Guerilla, Ring of Honor, World Wrestling Entertainment, Total Nonstop Action Wrestling und Lucha Underground). Andererseits ist auch die WWE selbst heute athletischer als jemals zuvor und hat junge, ehemalige Independent-Stars wie Daniel Bryan, Sami Zayn und der Schweizer Cesaro (hier im Interview), die sportliche Glaubwürdigkeit in den Showsport bringen. Leider ist nur niemand von ihnen auf dieselbe Art über die Wrestling-Grenzen hinaus bekannt geworden wie der „Hulkster" oder „Stone Cold" zu ihrer Zeit.

Bis in die Nuller-Jahre ist Mainstream-Wrestling gemeinsam mit seinem Publikum älter geworden—jetzt versucht die WWE, den Zyklus von vorne zu beginnen.

Das hängt mit vielen Dingen zusammen. Einer der wichtigsten Faktoren ist, dass Wrestling heute weder so übertrieben wie in den späten 80ern, noch so brutal wie in den späten 90ern ist—also weder die Comic-Kids noch die College-Studenten von damals so richtig anspricht.

Bis in die Nuller-Jahre ist Mainstream-Wrestling gemeinsam mit seinem Publikum älter geworden—jetzt versucht die WWE, den Produktzyklus von vorne zu beginnen und weiß selbst noch nicht so genau, wer ihre Zielgruppe sein soll. Das merkt man auch ihren aktuellen Stars an, die den Spagat zwischen den Welten zu schlagen versuchen. Am deutlichsten sieht man das an John Cena, der als „der neue Hulk Hogan" der Branche gehandelt wird und gleichzeitig ernster Sportler, weißer Rapper und der Wrestling-Cousin von Jar-Jar Binks sein soll, der mit Pipi-Kacka-Humor die Kinder und mit „Never give up"-Attitüde die älteren Brüder ansprechen soll.

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In Anlehnung an Woody Allen könnte man sagen: Jede Generation bekommt den Hulk Hogan, den sie verdient. Aber das ist nur die halbe Geschichte. Seit damals hat sich nämlich noch etwas anderes verändert: Unsere Gesellschaft hat von großen Stars, für die wir Statuen und Film-Franchises errichten, umgesattelt auf echte Identifikationsfiguren. Statt übergroßen Vorbildern wollen wir lieber Avatare, in die wir hineinschlüpfen können, um endlich mal das Arschloch zu sein.

Womit wir auch bei Randy Orton wären. Randy Orton ist gebaut wie eine griechische Statue, aber so charismatisch wie der Marmor, aus dem sie gemacht ist. Er ist arrogant, gutaussehend und auch im echten Leben für seine Aggressionsprobleme bekannt.

Vielleicht gerade deshalb ist er auch der aussichtsreichste Kandidat, den die WWE auf neuen Pop-Fame hat. Sein Kampfstil ist langsam und methodisch und sein Gehabe im Ring wirkt wie das eines Jugendlichen, den man von der PlayStation weggezerrt und zum Verwandtschaftsbesuch verdonnert hat. In Interviews erklärt er immer wieder, dass er nicht da ist, um den Fans zu geben, was sie sehen wollen, sondern im Gegenteil, um das Publikum gegen sich aufzustacheln und ein verdammtes Kunstwerk abzuliefern.

Wenn er dann aber zuschlägt, tut er das mit seinem RKO—einem Move, der so elegant wie brutal ist und mit dem sich jeder identifizieren kann, der schon mal seinen Lehrer oder Boss (oder auch einfach nur irgendjemand Fremden in einem x-beliebigen YouTube-Video) leiden sehen wollte.

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Das macht vielleicht noch keinen Star im klassischen Sinne aus, aber es reicht zumindest für eine Adelung in der einzigen Form, die im Internetzeitalter zählt: als GIF-Meme. Unter dem Hashtah #RKOOuttaNowhere häufen sich im Netz die nachbearbeiteten Blooper-Videos mit Wrestling-Referenz. Hier die besten davon.

Intergender-Matches sind 2008 gleichzeitig mit Blut aus dem Mainstream-Wrestling verschwunden. Der Grund war damals, dass die WWE ihr TV-Programm neu ausrichten wollte, um ein jugendfreies „PG-Rating" zu bekommen. Was seither an Disneyfizierung passiert ist, macht das Orton-Meme mit Unkorrektheit wieder gut.

Diesen Clip würde ich gerne mal ohne die Scherenschnitt-Silhouette von Randy Orton sehen. Mir kommt vor, der wahre Star ist hier der Skaterboy, der es schafft, nach seinem Stolperer zirka 10 Meter lang in der Luft zu bleiben. Mick Foley, du hast Konkurrenz.

Ich verstehe zwar nicht genau, warum diese Menschen einen Hügel runterlaufen (es sei denn, um ein Flashmob-Video zu dem alten Kate-Bush-Song rückwärts aufzunehmen), aber diese Menschen verstehen wahrscheinlich umgekehrt auch nicht, warum ich mir Männer in Spandex-Hosen ansehe, die gemeinsam so etwas wie Tanzsport mit gegenseitigem Eier-Beschnuppern aufführen. Beide Dinge sind vermutlich gleich absurd und haben es verdient, miteinander vermählt zu werden.

Niemand, der im Supermarkt zwei Milchflaschen auf den Boden wirft, hat es nicht verdient, RKO'd zu werden. Das ist übrigens auch ein Paradebeispiel für eine moderne Version des alten „Wie um alles in der Welt hätte diese Sache anders ausgehen sollen"-Clips, wie man ihn aus Upps! Die Pannenshow kennt.

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Dieses Video vereint Randy Ortons RKO und Steve Austins „Stone Cold" Stunner zu einer Generationen-übergreifenden Versöhnungsgeste aus gespielter Gewalt (mit einem echten YouTube-Opfer). Es ist das Nächstbeste zu einer Umarmung zwischen Vater und Sohn, das man im Wrestling sehen wird (abgesehen von einer Umarmung zwischen Vater und Sohn).

Randy vs. Raumschiff. Das riecht nach Zukunft.

Hier der höchste RKO aller Zeiten. Ich baue darauf, dass das Social-Media-Team der WWE diese Zeichen ernstnimmt und bereits daran arbeitet, WrestleMania 50 in der Stratosphäre zu veranstalten. Irgendjemand sollte die Idee vermutlich jetzt schon an Vince McMahons Pager schicken.

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Post by DJ Q.

Update: Falls euch—genau wie den Rest der popnews-süchtigen Welt—die Frage einfach nicht loslässt, wieso Madonna bei den Brit Awards eigentlich genau gestolpert und rückwärts gefallen ist, haben wir hier endlich eine zufriedenstellende Antwort: Randy Orton hat sie mit einem Inverted RKO erledigt. Vielleicht ist es an der Zeit, unsere Skepsis gegenüber Weltverschwörungen mit unsichtbaren Wrestling-Legenden allmählich abzulegen.

Vielleicht braucht die Wrestling-Welt also gar keine neuen Helden, um wieder relevant zu werden, sondern einfach nur dieselben Figuren, die wir auch im restlichen TV-Programm suchen: Mutierte, asoziale Monster, die rücksichtslos durch die Welt wüten und das perfekte Ventil für unsere sorgfältig zusammengehaltenen Glashaus-Neurosen bieten.

Markus hat seine Diplomarbeit über Wrestling geschrieben und auch auf Twitter seine Mark-out-Momente: @wurstzombie


Titelbild: Steve Wright Jr. | Wikimedia Commons | CC by 2.0