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Auch Atheisten haben jetzt Kirchen

Sie haben wohl nichts aus den Skandalen der katholischen Kirche gelernt: Auch Atheisten wollen jetzt eine Kirchengemeinde gründen—ohne Gott, ganz transparent, aber Geld wird trotzdem benötigt.

Vor neun Monaten fragten sich ein paar englische Standup-Comedians, warum Atheisten eigentlich keine eigene Kirche haben. „Ich würde gern zum Singen oder zu Hochzeiten von Freunden gehen. Die Gemeinschaft und die Rituale der Kirche würden mir wirklich gut gefallen, wenn nur diese Sache mit Gott nicht wäre“, erzählte Sanderson Jones im Winter. Zusammen mit Pippa Evans hielt er eine sogenannte „Sunday Assembly“ („Sonntagsversammlung“) in einer ehemaligen Kirche im Norden von London ab.

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Die beiden beschrieben die Veranstaltung als „halb Atheistenkirche, halb Fußstampf-Show“. Es kam eine Gemeinde zusammen, die Rock-Klassiker anstelle von Hymnen sang und lieber darüber sprach, wie toll das Leben ist, anstatt sich Predigten über Gott anzuhören.

Zu dieser ersten Versammlung tauchten ein paar hundert Leute auf, bei der zweiten waren es schon mehr. Daraufhin beschlossen Pippa und Sanderson, ihre Botschaft auf der ganzen Welt zu verbreiten. Es war fast, als würden sie eine neue Religion gründen. Es wurden offizielle Satellitenveranstaltungen ins Leben gerufen, die sich einem gnadenlos gottlosen Positivismus hingeben: Es gibt keinen Gott—aber ist es nicht trotzdem schön zusammenzukommen, Lieder zu singen und sich gegenseitig zu helfen?

Natürlich gibt es auch andere „atheistische Kirchen“, die vorhaben, Gemeinden von Ungläubigen zu gründen. Doch Sanderson und Pippa expandieren weitaus aggressiver als ihre gottlosen Priesterkollegen—vor allem in Großbritannien und den USA.

Jetzt haben sie eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Der Plan ist, eine Website zu erstellen, mit deren Hilfe Interessierte eine eigene Sonntagsversammlung starten können. In einer Pressemitteilung war von einer „leistungsstarken, skalierbaren und auf die Bedürfnisse der Benutzer zugeschnittenen digitalen Plattform“ die Rede. Dafür sollen Spenden in Höhe von fast 600.000 Euro gesammelt werden, um weitere Gemeinden zu finanzieren. „Millionen Menschen, die an das Gute glauben, werden sich mit Gleichgesinnten in Verbindung setzen und wundervolle, lebensspendende Versammlungen gründen können“, schrieb Sanderson auf der Sunday Assembly-Website. „Mit der Internetseite könnten wir tausenden Gemeinden beim Einstieg helfen.“

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Um mehr über diese atheistische Megakirche in spe zu erfahren, habe ich mich per E-Mail mit Sanderson unterhalten.

VICE: Eine halbe Million Pfund ist ein Haufen Geld für Crowdfunding! Wofür braucht ihr das Geld?
Sanderson Jones: Ja, es ist viel Geld, doch andererseits haben wir eine gewaltige und inspirierende Mission: Wir wollen den Menschen dabei helfen, dieses eine Leben, das sie haben, so weit wie möglich auszuschöpfen. Denk mal darüber nach. Unsere ganze Organisation will sicherstellen, dass die Leute im Wissen sterben, das Meiste aus diesem viel zu kurzen Bewusstseinsstrom gemacht zu haben. Das Projekt ist ambitioniert, aber das ist unsere Art.

Kannst du mir mehr über diese Plattform erzählen, die ihr aufbauen wollt? 
Unsere Plattform enthält alles, was du brauchst, um eine eigene Sonntagsversammlung ins Leben zu rufen. Es handelt sich um eine Website, die es den Leuten ermöglicht, sich jenseits des Internets zusammenzuschließen und eine Gemeinde zu gründen. So wie Airbnb dir hilft, dein Zimmer zu vermieten, wollen wir die Gründung einer Gemeinde erleichtern. Am meisten (240.000 Pfund, 280.000 Euro) kosten die drei Technikcracks, die wir für zwei Jahre lang angestellt haben, damit sie eine Webseite erstellen, durch die sich Freidenker weltweit vernetzen können.

Wir haben es von null auf 35 Versammlungen pro Jahr geschafft. Mit unserer Website wollen wir tausenden Städten und Dörfern, sowie Millionen von Menschen eine Gemeinschaft vermitteln, die ohne Religion auskommt. Von dem restlichen Geld werden 60.000 Pfund (70.000 Euro) an Pippa und mich fließen, damit sie Teilzeit und ich  Vollzeit arbeiten kann. Ich habe meine Karriere als Standup-Comedian aufgegeben und fast ein Jahr lang unbezahlt an diesem Projekt gearbeitet. (Wie ich mir das leisten konnte? Durch den einen oder anderen peinlichen Werbeclip.) 10.000 Pfund (12.000 Euro) werden für Server etc. gebraucht. Der Rest geht für (geniale) Prämien, Steuern und Indiegogo-Gebühren drauf.

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Soll es eine Art Aufsicht für die Sonntagsversammlungen geben, die auf der ganzen Welt stattfinden? Wenn zum Beispiel jemand seine Versammlung ohne eure Erlaubnis ,Sonntagsversammlung‘ nennt und unangemessenes Zeug über das Christentum oder den Islam redet, würdet ihr ihm dann verbieten, euren Namen zu verwenden? Das ist sehr hypothetisch gesprochen. Meine eigentliche Frage ist: Wie zentralisiert wird euer Netzwerk sein? 
Das sind zwei verschiedene Fragen. Wir haben eine öffentliche Charta, die jeder, der beitreten will, unterschreiben muss. Hier kannst du sie lesen. Sie ist total kontrovers. (Nein, eigentlich ist sie es überhaupt nicht.) Sie enthält coole Informationen, zum Beispiel darüber, wer wir sind:

„Die Sunday Assembly ist eine gottlose Versammlung, in der das Leben gefeiert wird. Unser Motto: besser leben, öfter helfen, mehr nachdenken. Unsere Mission: Wir wollen dabei dir helfen, dein volles Potential zu entdecken und umzusetzen. Unsere Vision: eine gottlose Versammlung in allen interessierten Städten und Dörfern einzuführen.“

Wenn ich das lese, bekomme ich eine Gänsehaut. Es wird auch gesagt, dass man keine Religion schlechtmachen darf. Es soll dafür gesorgt werden, dass jede Versammlung ein „Ort der Liebe“ ist. Jetzt bekomme ich schon wieder Gänsehaut.

Die Charta erlaubt aber auch eine Menge Freiheiten. Zukünftig wollen wir auch Leuten helfen, die eine völlig anders ausgerichtete gottlose Versammlung einrichten wollen.

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Findest du es eigentlich gut, dass man die Sonntagsversammlungen als „Atheistenkirche“ bezeichnet? Oder gibt es einen besseren Ausdruck?
Ha. Das habe ich mir in gewissem Maße selbst zuzuschreiben, weil ich den Begriff geprägt und in einer Menge Pressemitteilungen verwendet habe. Wie man sieht, weckt er das Interesse der Leute. In Wirklichkeit sprechen wir aber kaum über Atheismus, sondern vielmehr über das Leben. Das interessiert die Leute mehr. Hoffentlich wird man den Namen „Sunday Assembly“ bald direkt mit einer Versammlung zur Feier des Lebens in Verbindung bringen. Nenn es einfach „Sunday Assembly“.

Gehst du manchmal zu (nicht-atheistischen) Gottesdiensten, um dir Ideen für die Sonntagsversammlung zu holen?
Ja, das mache ich. Unsere Eröffnung habe ich von der Hillsong Church geklaut. Wir fangen jetzt mit zwei Liedern statt mit einer Einführung an. Ich habe ihren Gottesdienst in London gesehen und war beeindruckt. Diese Kirche hat Produktionswerte. Es gab sogar eine Nebelmaschine! An dieser Stelle muss ich auch Dave Tomlinson erwähnen. Er ist ein Pfarrer, der mir ein paar Insidertricks verraten hat. Danke DT!

Gibt es Städte, bei denen du dich besonders auf den Besuch freust?
Ja, es gibt so viele aufregende Städte. New York wird super. In Los Angeles haben sich schon fast 1.000 Leute angemeldet, deshalb treffen wir uns im November wahrscheinlich in der Hollywood Bowl. Außerdem besuche ich Freunde in Adelaide, Melbourne und Sydney und muss unbedingt nach Perth, Brisbane und Canberra fahren. Scheiße. Es gibt einfach zu viel zu sehen.

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Diese Besuche fallen alle in den November. Nächste Woche startet das Programm in Großbritannien.

Hier kannst du für die Indiegogo-Kampagne der Sunday Assembly spenden.

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