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Gründe, warum Berlin der beschissenste Ort der Welt ist

Natürlich ziehen viele Menschen aus exzellenten Gründen in die angeblich zweitgrößte Stadt Europas, z.B. weil sie jung sind und es nicht besser wissen können. Aber gleichzeitig gibt es genau fünf gute Gründe, auf keinen Fall nach Berlin zu ziehen.

Wenn man völlig verballert vom Feiern nach Hause kommt und die Deutschlandkarte googelt, sieht das Land aus wie ein Rumpf, dessen Schenkel die Schweiz und Österreich bilden und dessen Kopf Dänemark ist. Außer Italiens Bein passt der Rest Europas anatomisch nicht so gut. Bei diesem von ein paar Jahrhunderten zerfledderten Porträt liegt Berlin ungefähr dort, wo das Herz des Deutschlandmenschen wäre. Ich glaube, ungefähr so bedeutend stellen sich Leute, die hier wohnen, ihre Stadt vor. Leider merken sie nicht, dass man ihnen dabei ziemlich ausgiebig ins Herz gemüllt hat.

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Natürlich ziehen viele Menschen aus exzellenten Gründen in die angeblich zweitgrößte (kann ich nicht glauben) Stadt Europas, z.B. weil sie jung sind und es nicht besser wissen können. Tausende meinen es wahrscheinlich wirklich gut. Aber gleichzeitig gibt es unzählige genau so gute Gründe (ca. fünf), auf keinen Fall nach Berlin zu ziehen. Berliner selbst

Chruschtschow nannte Berlin gern den „Hoden des Westens. Jedes mal, wenn wir ihn drücken, heulen die Vereinigten Staaten auf“, pflegte er seine homoerotische Außenpolitik zu erklären. Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Recht hatte Chruschtschow. Berlin ist in vieler Hinsicht ein Hoden, nicht zuletzt, weil die Stadt voller Wichser ist. Vom frechen und dummdreisten BVG-Asi, der dich über die Infosäule anmault, weil du nicht wusstest, dass zwischen Rohrdamm und Zitadelle Ersatzverkehr herrscht, und er jetzt seinen Job tun muss, bis zum Bürgermeister, der dich angrinst, als hätte er die ganze Stadt durchgeorgelt. Je mehr jemand von hier ist, desto beschissener kommt er rüber. Langsam werde ich auch so. Berliner machen es sich jedenfalls gegenseitig unerträglich.

Mir ist klar, dass der Vergleich hinkt, weil die Bewohner Berlins nicht die Benutzer, sondern der Inhalt des Hodens sein müssten, aber sie haben auch keine perfekte Metapher verdient. Die Ungnade der späten Geburt

Obwohl alle super jung sind, erzählt jeder, dass früher alles besser war. In den 90ern, als Gesetzlose die Stadt mit herzzerreißend geilen Partys überzogen, bis keiner vor lauter Freiheit, Sex und Demokratie mehr denken konnte, den 00ern, als man erschöpft eine 7-Zimmer-Wohnung für umsonst kaufte, und gestern, als man noch einen Tag jünger war. Auf der East Side Gallery (was für ein bekloppter Name für die Leinwand perverser Masseneinkerkerung) steht irgendwo: „Alles wird besser, aber nichts wird gut.“ Gemeint ist: „Alles wird schlechter, aber nichts wird, ähm, Scheiße.” Die Stadt ist ein Nichtsnutz

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Wenn Rom oder Istanbul Städte sind, die man sich wie weise alte Männer vorstellen kann, die die Vergangenheit Revue passieren lassen, und Paris oder London wie wohlsituierte Mittvierziger, die vom Erbe ihrer Abenteuer (Empire) zehren, dann ist Berlin in seinen Zwanzigern. Hat ein oder zweimal richtig auf den Putz gehauen (WWI, WWII), ist damit direkt auf die Fresse geflogen und benimmt sich wie ein arbeitsloses Muttersöhnchen. Das ist überhaupt ein grundlegendes Problem. Deutschland gönnt sich Berlin, um weltoffen und tolerant zu erscheinen, nur deshalb bricht die Stadt nicht sofort zusammen. Wenn Bayern und Baden-Württemberg eines Tages nicht mehr „Cool from Germany“ sein wollen, wird Berlin sofort blutig zerplatzen. Um aber beim Familienbild zu bleiben: Mutter und Vater überweisen monatlich Kohle, doch das Balg drückt sie auf dem Handy weg. Kurz ist es witzig, aber ehrlich mag keiner Robert und Steffi, die ihren Eltern auf der Tasche liegen und sie gleichzeitig verachten. Nur Zugvögel ertragen es

Berlin war schon vor 1961 und wohl seit jeher geteilt. Es ist nicht ganz klar, wieso man eine Stadt an einen kleinen Fluss auf die Grenze zwischen kontinentalem und maritimem Klima ins Nirgendwo bauen würde. (Wikipedia sagt, der Name Berlin komme vom Slawischen für Sumpf. Kann ich glauben.) Aber es ist völlig geistesgestört, dass Berlin von November bis Mai nicht geschlossen wird. Von da an ist der Himmel über Berlin so unerträglich nah und so eisern grau, dass jeder sich die fünf Stunden Licht am Tag über wünscht, es wäre wieder Nacht. Dann muss man wenigstens nicht sehen, worunter alle Lebensfreude verkümmert und jede Freundlichkeit verreckt. Das ist aber nur der Bonus. Standardmäßig ist es so verdammt kalt wie in einem Film. Und der alte Spruch „Je kälter der Winter, desto weniger Obdachlose im Sommer” stimmt nicht. Die beschissensten Touristen

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Manche Städte haben gute Touristen, zum Beispiel Trier. Nach Trier, der Geburtsstadt von Karl Marx, kommen nur regimetreue und/oder idealistische chinesische Reisegruppen. Sie fotografieren alles ab, kaufen die Büstenläden leer und vollgepackt mit vielen Büsten verschwinden sie abends wieder. Zeit ist Kommunismus. Leider ist Berlin der Magnet für alle Junggesellenabschiede Großbritanniens geworden. Jeder unter 35 in Cardiff und Brighton kennt den Rosenthaler Platz. Man könnte dort an jedem x-beliebigen Wochenende leicht Flaschen in die Menge werfen und immer Alfie oder Lauren treffen. Natürlich kann man auch einfach im Stau auf dem 17. Juni hinter einem Beer-Bike warten und sich die Reifen bepissen lassen. Das Allerdümmste

Die Leute in Berlin können einfach nicht den Mund halten. Sie können es jetzt nicht und früher konnten sie es auch nicht. „Oh nein, die Mieten steigen, und mein Lieblingsdöner ist ein COS geworden.“ „Der Sohn des Ford-Händlers meiner Eltern wohnt in Britz und ist Mixologe.“ Sätze, die in Berlin jeden Tag fallen. Warum? Weil keiner die Stadt schlecht gemacht hat, als es schlau gewesen wäre und sich jetzt niemand damit abfinden will, dass sie selbst Schuld sind.

Wenn vor 10 oder 15 Jahren häufiger Bemerkungen wie: „NEIN, ich besuche DICH (in Emden)!“ oder „In Berlin bin ich eh nur im Internet!” gefallen wären, wir stünden heute nicht hier. Keine Sau wäre hergezogen. Aber jetzt kommen sie eben von überall und man echauffiert sich exponentiell. Es gibt in irgendeinem ARCH+-Heft, das Berghain-Legende Sven Marquardt auf der Ecke des Covers hat, vier Zukunftsvisionen für Berlin. In einer besteht die Stadt nur noch aus U-Bahnen, in denen alle Menschen Döner essen und Saucen auf Kinder tropfen. Das ist die Hoffnungsvollste.

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