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Popkultur

Ich werde dich immer lieben, Tony Soprano

Man muss einfach sagen, dass Tony ein Typ war, der so echt rüberkam, dass es sich anfühlt, als ob du mit ihm zusammenlebst. Egal ob er schlechtgelaunt sein Frühstücksei in sich reinschiebt oder um drei Uhr morgens alleine in seinem Auto auf ein Opfer...

Es scheint, als ob wir in diesen Tagen einen schrecklichen Wettkampf darum führen, wer als erster den Tod eines Promis melden darf, um anschließend schlechte Witze über ihn zu machen. An den lustigen Bemerkungen zum Tod von Thatcher wurde schon Jahre im Voraus getüftelt und der Typ von Kriss Kross bekam nur ein paar fade Tweets.

Ich werde jetzt keinen Vortrag über den modernen Galgenhumor halten—es ist eine natürliche Reaktion in einer Welt, in der sich die Schlagzeilen minütlich überschlagen, und man Karriere macht, wenn man der Schnellste ist. Letzte Nacht jedoch, in den letzten Stunden einer stickigen Sommernacht, erfuhr ich vom Tod einer Berühmtheit, über die keiner Witze macht. Es ist ein Tod, der sich mehr wie ein Tod in unserer eigenen Familie anfühlt als eine Story für die Boulevardpresse, über die wir Witze reißen können.

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James Gandolfini, US-amerikanischer Schauspieler und Ikone, starb im Alter von 51 Jahren. Er war gerade mit seiner Familie in Italien im Urlaub, als er einen tödlichen Herzinfarkt erlitt. Er hinterlässt Deborah Lin, seine Frau in zweiter Ehe, seine Tochter Liliana und seinen Sohn Michael aus erster Ehe mit Marcy Wudarski.

Für die Witzbolde des Internets schien es keine Witze zu geben, die sie hätten bringen können. Auf Twitter ging es ernst und respektvoll zu, und meine Facebook-Seite wurde zu einem Ort mit Bildern der schönsten Soprano-Momente. Es schien, als ob der unerwartete Tod eines solch unglaublich talentierten menschlichen Wesens, das noch so jung war, die Schockwitze-Tendenz auf Facebook und Co. übersprungen hat.

Ich glaube, es gibt bestimmte Gründe dafür, dass die Leute diesmal so reagiert haben. Zunächst—und wohl auch am offensichtlichsten—wegen all der Dinge, die er in Die Sopranos gemacht hat. Ich bin mir sicher, dass in den nächsten Tagen viel dazu gesagt wird, wie Gandolfini es geschafft hat, ein Monster so sympathisch zu machen, wie er einen Killer so liebenswert machen konnte. Aber war Tony wirklich so charmant? Da bin ich mir nicht so sicher. Er hatte auf jeden Fall seine Momente, in denen er sympathisch war. Aber eins, das Tony immer war, ist durchschaubar. Und das ist, denke ich, was seinen Charakter so beliebt gemacht hat.

Für einen Schauspieler ist es einfach, durch etwas Elan, flotte Klamotten und eine gutgeschriebene Story sympathisch zu erscheinen. Die Sopranos hatten all das im Überfluss. Aber die große Leistung von Gandolfini, seinen Drehbuchschreibern und seinen Regisseuren war, dass sie eine Figur geschaffen haben, die so echt rüberkommt, dass es sich anfühlt, als ob du mit ihr zusammenlebst, egal ob er schlechtgelaunt ein Frühstücksei in seinen Mund schiebt, oder um drei Uhr morgens alleine in seinem Auto auf ein Opfer wartet.

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Alles an dieser Figur war einfach nur stimmig. Wie er atmete, wenn er wütend geworden war, seine schrecklichen Anzüge, wie er seine Weste beim Sex anbehielt, seine Heuchelei und die verdammte Gefühlsduselei. Die Art und Weise, wie Gandolfini es geschafft hat, ein großes Spektrum seiner Gefühle allein durch seine Schultern auszudrücken, nur durch durch deren Zucken seine Gefühle zu kommunizieren, die Gestik mit seinen Armen und seine zerzausten Augenbrauen. Einmalig.

Tony schien mir wie jemand, den ich kenne. Nicht unbedingt jemand, den ich mochte oder mit dem ich viel Zeit verbringen würde, aber er war mir vertrauter als jemand, den ich nur flüchtig über einen Chat im Internet kannte.

Ohne Zweifel lag es daran, dass Gandolfini selbst wie ein ganz normaler Kerl rüberkam. Klar, er schlug Fotografen, aber so, wie auch du oder ich es tun würden, wenn wir 1,9 Meter große Kerle aus New Jersey, die die Schnauze voll haben, wären. (Insbesondere wenn wir, wie dieses Gandolfini-Profil zeigt, von Haus aus besonders fotoscheu sind). Er wirkte nicht eingebildet oder selbstbesessen wie die meisten Schauspieler und Berühmtheiten. Eher wirkte er wie ein Arbeiterklassekerl mit viel Talent, wie die Art von Berühmtheit, die wir alle gerne wären. Jemand, der es ganz nach oben geschafft hat und Spaß dabei hatte, ohne ein Großkotz zu sein.

Ich habe Die Sopranos über ein paar Monate hinweg geschaut, während einer Lebensphase, die sich hauptsächlich um Unischwänzen und das Essen von vielen Mitternachtsnacks drehte. Die Serie wurde langsam zu meinem Leben. Sie beeinflusste meine Art zu Reden, meine Ernährung, meine Einschätzung von Alltagssituationen. Wenn ich etwas Schlechtes tat, erwischte ich mich dabei, wie ich darüber nachdachte, ob Tony oder Paulie in so einem Moment von mir genervt sein würden. Wenn Hauptcharaktere starben, brachte mich das für Tage aus der Fassung. Erwähnt werden muss auch, dass Gandolfini die erste DVD-Box-Ikone war. Das Aufkommen von Serien als DVD-Sammlungen—und ihre Vorherrschaft über das letzte Jahrzehnt oder so—gab Leuten die Möglichkeit, ihre Lieblingsserien wie Bücher zu pflegen; erlaubte ihnen, die passende Folge im richtigen Moment zu schauen und somit näher am Leben der Charaktere dran zu sein. Gandolfini war nicht nur die erste DVD-Box-Ikone, auch war er die erste DVD-Box-Ikone, die gestorben ist, und, meiner Meinung nach, ist er auch der größte Darsteller aller Zeiten, der je aus diesen Serien hervorgegangen ist—diese Serien, die die Art wie Menschen denken, verändert haben: The Wire, Mad Men, Breaking Bad, etc. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, dass Gandolfini die amerikanische Schauspielerei verändert hat.

Vor ihm, so scheint es, ging es bei der TV-Schauspielerei mehr um einen erträglichen, beständigen Auftritt bei zähflüssigen Low-Budget-Produktionen. Es reichte, wenn sie die Zuschauer für ein paar Monate vor dem Bildschirm hielten. Die besten Darsteller waren für den Film reserviert und selbst wenn ein Schauspieler talentiert genug war, um einer Filmfigur leben einzuhauchen, waren Filme einfach zu kurz, um den Zuschauern das innerste Leben der Figuren zu verraten. Gandolfinis Talent als Schauspieler bestand darin, beides effektiv zu kombinieren—er brachte die größten Kinodarsteller in die Vertrautheit der TV-Serien. Nach seiner Rolle als Tony drehte sich das Schauspielen nur noch um Anziehung, feinen Nuancen und totale Hingabe. Es war eine neue Schule des Schauspiels, die sich irgendwo zwischen experimentellem Theater und Reality-TV bewegt. Und es hat die Art und Weise, wie wir Kultur wahrnehmen, für immer verändert. Ich könnte jetzt Ewigkeiten über meine liebsten Sopranos-Momente reden und darüber, was für ein brillanter Schauspieler James Gandolfini war. Wenn du die Serie noch nicht gesehen hast, dann solltest du es jetzt tun. Für mich ist es eine Chronik des Lebens im 21. Jahrhundert. Es ist die sorgfältigste Sicht auf dessen Verfall und Härte, seine komischen Tragödien und seine tragischen Komödien. Es ist eine Sendung über Geld, Sex, Macht und Familie. Im Zentrum davon steht James Gandolfini, ein ehemaliger Barkeeper aus New Jersey, der die Trolle des Todes als wahre Legende des amerikanischen Schauspiels zum Schweigen gebracht hat. Und vielleicht auch, weil wir denken, es gib noch die Chance, dass er hereinstürmt und das hier mit uns macht, wenn er uns beim Lachen erwischt.