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Mit Blockupy ins Herz der Bestie

Die Arbeit am Widerstand ist nicht weniger anstrengend als ein Bürojob bei der EZB. Die einen werden nur mehr von der Polizei gestört als die anderen. Dabei ist das, was die EZB macht, viel gefährlicher als Blockupy, habe ich beim Aktivistencamp...

Ich habe nie geglaubt, dass die entfesselten Märkte zu weltweitem Wohlstand und Glück führen würden, aber dass es soweit kommt, hätte ich auch nicht erwartet: Es ist Freitagmorgen 4:30 Uhr, ich werde durch ein Megafon geweckt und zum Aktionstag gerufen. Der Widerstand soll in das Herz des Europäischen Krisenregimes getragen werden. Mir erscheint jede Krise und alles Leid dieser Welt mickrig gegenüber dem Elend, im Dunkeln früh aufzustehen. Zumal—nachdem ich mich wirklich aus einem Zelt quäle—jedes Kleidungsstück nach ergiebigem Dauerregen in der vergangenen Nacht klamm an mir dran hängt und die Schuhe immernoch durchgeweicht sind.

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Die programmatische gute Laune auf dem Blockupy Camp in Frankfurt lässt für derlei Befindlichkeiten keinen Platz. Carlos, 21 und nach eigenen Angaben ein autonomer Kommunist aus Frankfurt, treffe ich morgens um 5 Uhr: „nass und glücklich“, wie er sagt, vor dem Um’s Ganze-Zelt. Er übernachtet hier, weil er es einfach „cool“ findet, Aktivisten aus anderen europäischen Ländern zu treffen und mit seinen Genossinnen und Genossen rumzuhängen. Außerdem schläft in seinem Zimmer eine Handvoll Aktivisten aus dem krisengeplagten Italien, denen  ein deutscher Frühling nicht auch zugemutet werden soll.

Alle die Bock haben, blockieren heute Morgen die Europäische Zentralbank (EZB). Wir ziehen mit etwa 2000 Leuten in der Dämmerung zu Fuß Richtung Innenstadt. Durch eine schicke, aber trostlose Schlafstadt und das Westend, wo, wie Carlos erklärt, ein „fieser Mix aus Bonzen und ehemaligen Hausbesetzern“ lebt. So früh am Morgen klingt das ganz schön abgestanden. Stumpfsinn und Verflachung ist aber offenbar die Ironie der gut informierten, abgeklärten politischen Underdogs. Auf Dauer jedenfalls leichter zu ertragen als die um Korrektheit bemühten, schwer zu ertragenden larmoyanten Weltverbesserer, die auf so einem Camp wie in Frankfurt natürlich auch nicht fehlen.

Nach zwei Tagen Beobachtung habe ich den Verdacht, dass es Aktivisten gibt, die am liebsten Plenum machen, mit offenem Ende am besten, falls nicht gleich das nächste anschließt.  Zu Fragen, die sich mir im Vorbeigehen nicht erschließen, wo ich aber auch nicht nachfragen möchte: „Ist man seinem Gewissen oder dem WEF, also dem World Economic Forum, verpflichtet?“

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Für einen Kommunisten—die stehen ja gemeinhin in dem Ruf, vollkommen unmögliche und utopische Gesellschaftsvorstellungen zu hegen—ist Carlos ein schonungsloser Realist. Er glaubt nicht mal, dass der kapitalistische Normalbetrieb auch nur für eine Sekunde stillsteht, selbst wenn die EZB erfolgreich blockiert wird. Dafür macht er an diesem Tag einen sehr, für meinen Geschmack fast zu, engagierten Eindruck. Wir joggen die Hälfte der Strecke ins Zentrum, denn die „Krisenprofiteure“ müssen unterwegs noch „markiert“ werden. Das heißt, große Sticker kommen an die Glasfassaden willkürlich ausgewählter Glashaustürme. Eingänge und Zufahrten werden provisorisch mit extra Blockupy-Klebeband versperrt, um ein seltsames Bild gerade zu rücken, in dem Deutschland ausschließlich als Retter, Helfer und Geldgeber der faulen Griechen, Spanier und Zypresen dasteht. „Es gibt ja nicht nur Verlierer, es gibt auch Gewinner der Staatenkrise. Deutsche Unternehmen beispielsweise gehen in den Krisenstaaten auf Schnäppchenjagd. Hochtief kauft gerade jede Menge Land auf und Fraport einen Teil des Flughafens in Griechenland.“

Nach gut einer Stunde kommen wir zur EZB. „Das ist keine normale Geschäftsbank, sondern als Teil der Troika dirigiert sie in den EU-Krisenstaaten eine Politik, die ganze Sozial- und Gesundheitssysteme in die Knie zwingt“, erklärt Carlos. Auch bleibt der Handlungsspielraum im symbolischen Bereich. „Wir müssen alles nur noch zusätzlich verpfropfen, damit hier heute niemand zur Arbeit kommt.“

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Die Polizei hat aus Sorge um die Banker ganze Arbeit geleistet und vor den Zufahrtsstraßen Gitter aufgestellt.Es geht den Demonstranten aber nicht um die Handlanger, sondern um das System.Niemand ist hier sauer auf Bankangestellte. An diesem Tag heben sie sogar die Stimmung. Menschen, die stocksauer werden, weil sie nicht zur Arbeit dürfen, machen sich eben einfach lächerlich.

Spätestens nach dreistündigem Rumstehen an den Pfropfpunkten in Sturm und Regen bei einstelligen Temperaturen im Mai bin ich soweit, dass ich das Land verlassen möchte. Ich fahre mit Carlos und ganz schön vielen anderen Leuten zum Flughafen. Aber nicht zum Spaß, sondern zur nächsten Aktion: Blockupy Deportation Airport.

Deportation ist englisch und heißt auf Deutsch Abschiebung. „Blockupy Deportation Airport” meint die Aufforderung, den Abschiebeflughafen Frankfurt zu blockieren. Das wusste der hessische Verkehrsminister Florian Rentsch anscheinend nicht und warf dem Blockupy-Aktionsbündnis deshalb in der BILD vor, mit „Endlösungs-Parolen” zu hantieren, und er war entsetzt, wie sie das rechtsstaatliche Abschieben der Illegalen mit der Deportation von Millionen Juden durch die Nationalsozialisten in Konzentrationslager während des Holocausts vergleichen.

„Man kann sich dafür nur schämen, dass der Begriff ‚Deportation‘ so geschichtsvergessen verwendet wird. Dass sich die Linken der Ausdrucksweise des NS-Regimes bedienen, ist ein Skandal“, sagt er der BILD.

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Carlos entgegnet, der „Frankfurter Flughafen ist einer der größten Abschiebeflughäfen in Europa.“ Von hier aus werden Leute zwangsweise in Länder ausgeflogen, wo ein flächendeckendes Gesundheitssystem, wie man es in Europa relativ lange kannte, nicht einmal im Bereich des Möglichen liegt, wo man wegen missgünstiger Zeitungsartikel womöglich umgebracht wird und der Rechtsstaat einfach gar nicht existiert. „Bleiben dürfen nur die, die nach kapitalistischen Verwertungsmaßstäben nützlich sind“, resümiert Carlos.

Die Demo in Terminal 1 war angemeldet und zweimal gerichtlich bestätigt. Trotzdem werden wir über eine Stunde lang im S-Bahn-Schacht von Polizisten in Kampfmontur festgehalten. Carlos' ungeduldige Durchdrückversuche scheitern derweil am engagierten Flughafenpersonal.

Dann dürfen wir plötzlich vor dem Flughafen im Freien stehen. Es dauert eine weitere Ewigkeit, die sich die Polizei mit gelegentlichem Gerangel vertreibt, bis zweihundert Leute abgezählt durch eine Polizeischleuse doch endlich in einem Wanderkessel Aufstellung nehmen dürfen. Carlos gehört dazu, er landet in der ersten Reihe ganz rechts. „Der zweitschlimmste Job auf einer Demo“, findet er und man versteht schnell, warum.

Wie die letzten Verbrecher werde ich mit den Demonstranten in und durch den Flughafen eskortiert. Die Polizei hält zeitweise nicht mal den Abstand ein, den man aus einem normalen Gespräch mit dem Gegenüber gewohnt ist, und sucht gelegentlich Körperkontakt, während es durch die Einkaufspassage vorbei an Mont-Blanc-Kugelschreibern, edlen Falke-Strümpfen, hässlichen Autos und vorsorglich leergeräumten Vitrinen geht.

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Die Transparente sind die meiste Zeit von Polizisten zugestellt, ich habe kaum Gelegenheit, ein Foto davon zu machen. Trotzdem beschuldigt mich ein Polizist, seine Arbeit zu behindern.

Der schlimmste Job wäre Demo-Anmelder zu sein und die ganze Zeit mit der Polizei und den Behörden reden zu müssen, glaubt Carlos. Am Schluss gibt es jedenfalls auch Schwierigkeiten, den Flughafen zu verlassen. Auch wenn man diesen Aktionstag nach 15 Stunden einfach nur mit echter italienischer Pasta Ende bringen will.

Am nächsten Tag ist ja die große Blockupy-Abschlussdemo. Ich bin reichlich zu spät. Der antikapitalistische Block an der Spitze der Demo ist schon da und seit mehreren Stunden von der Polizei eingekesselt.

Ich klettere auf den Lautsprecherwagen, um besser sehen zu können. Ich entdecke Carlos in der Menge. Er hat eine leuchtende Platzwunde über dem rechten Auge. „This is what democrazy looks like“, brüllen die Demonstranten. Der Fotograf Ruben N., den ich hier treffe, wirkt mitgenommen. Er war zwischen die Fronten geraten und hat eine Ladung Pfefferspray kassiert. Zwei andere Journalisten sind im Krankenhaus. Ruben erinnert das an den Tahrir-Platz in Ägypten. Michelele aus Perugia steht neben dem Lautsprecherwagen und kommt sich eher vor wie in Lateinamerika, Argentinien in den 70ern oder so.

Ich schaue wieder in die Menge, Carlos ist weg. Die Menge lichtet sich stetig. Es ist 18 Uhr, die Leute auf dem Lautsprecherwagen, die bis jetzt versucht haben, die Demonstranten, soweit das in dieser Situation noch geht, zu unterstützen, empfehlen, den Lautsprecherwagen jetzt mal zu verlassen. Gute Idee, wenig später entert eine Truppe Polizisten die LKW-Ladefläche.

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Eineinhalb Stunden später ist es dunkel und der antikapitalistische Block Geschichte. Der Rest der Demo prozessiert zurück zum Bahnhof. Die Stimmung ist nach stundenlangem Rumstehen immer noch kämpferisch. „Wir brauchen keinen Staat, der uns angreift und keine Justiz, die uns im Stich lässt“, ruft jemand von einem Lautsprecherwagen, der noch heile geblieben ist und nicht von der Polizei demoliert wurde. Das ist mehr als verständlich nach so einem Tag

Ich treffe Carlos auf dem Camp, er kommt gerade aus dem Krankenhaus. Er hat an diesem Tag wieder den zweitschlimmsten Job gemacht. In der ersten Reihe das Transparent mit „We choose communism“ gehalten und ein paar "undercuts" einstecken müssen. Deshalb sieht er jetzt so aus.

Er sieht es sportlich: „Heute haben die eben gewonnen“, das letzte Wort sei aber noch nicht gesprochen, glaubt Carlos.