​In Marzahn-Hellersdorf wird die Fremdenhass-Flagge weiter hochgehalten
Alle Fotos: Darius Ossami

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​In Marzahn-Hellersdorf wird die Fremdenhass-Flagge weiter hochgehalten

Der Geburtsort der modernen Anti-Asyl-Bürgerbewegung hat sich am Samstag wieder von seiner schlimmsten Seite gezeigt.

Während sich die Neonazis am 2. April Mittags auf ihrem Kundgebungsort sammeln, blicken sie direkt auf das riesige rote „Berlin gegen Nazis"-Transparent, das an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule prangt. „Wir sind viele" steht auch noch drauf. Das stimmt allerdings nicht so ganz—nur ein paar hundert Menschen haben sich auf der Gegenkundgebung eingefunden.

Weil die aber von der Polizei säuberlich eingezäunt wird, haben sich hunderte Gegendemonstranten erst gar nicht dort eingefunden—sondern warten lieber im Viertel verteilt, um die rechte Demo zu blockieren. Insgesamt sind etwa 700 Gegendemonstranten unterwegs, das Berliner Bündnis gegen Rechts wird später von bis zu 1.300 sprechen.

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Auf der Seite der Rechtsextremen haben sich zunächst auch nur etwa 150 Menschen versammelt—weniger als erwartet. Später werden es etwa 200 sein. Und: „Besorgte Bürger" oder AfD'ler sind kaum zu sehen, dafür aber umso mehr waschechte Neonazis—die organisierten Kader der örtlichen und überregionalen Szene: Nationaler Widerstand Berlin, Bärgida, Frontbann 24, die Rechte, die extrem rechte „Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf", der Dritte Weg, verschiedene Kameradschaften und natürlich die NPD. Muskelprotze mit kantigen Gesichtern, aber auch viele Pummelige und solche mit grauen Kettenrauchergesichtern, die allermeisten im Stil der „Autonomen Nationalisten": schwarz gekleidet und männlich. Die Demonstration steht unter dem Motto „Sicherheit statt Angst", die Demonstranten sorgen jedoch eher für das Gegenteil.

Während ein NPD-Aufmarsch in Kreuzberg 2014 erfolgreich von Tausenden blockiert wurde, gibt es diese Massen heute nicht. Abgesehen von den paar hundert eingezäunten Gegendemonstranten wirkt die örtliche Bevölkerung absolut desinteressiert. Nicht wenige tragen selber Glatze und Trainingsklamotten. Andere haben sich mit einem Bierchen entlang der Demoroute postiert. Doch da es entlang der geplanten Demoroute schon zu den ersten Blockadeversuchen gekommen ist, stehen die Nazis zwei Stunden in der prallen Sonne und werden von einer Sambaband genervt. Die Polizei fordert Verstärkung an.

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Marzahn-Hellersdorf hatte 2013 bundesweit Schlagzeilen gemacht, als 1.000 Anwohner und Neonazis gegen ein damals geplantes Asylbewerberheim hetzten. Hier nahm die „Nein zum Heim"-Kampagne ihren Anfang, von der es bundesweit inzwischen unzählige Ableger gibt. Aber Marzahn-Hellersdorf ruht sich auf diesen Lorbeeren nicht aus, im Gegenteil: Bei rechten Angriffen und Drohungen steht der Bezirk berlinweit an der Spitze. Laut dem Berliner „Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle in Berlin" haben sich die 2015 registrierten Vorfälle in Marzahn-Hellersdorf auf knapp 300 mehr als verdreifacht. Für die ersten drei Monate dieses Jahres wurden bereits 76 Vorfälle registriert. Warum?

„In Marzahn-Hellersdorf gibt es seit Jahren eine aktive Neonaziszene und ein großes Spektrum an auch gewaltbereiten rassistischen Anwohnern", erklärt Elyas Maron von der antirassistischen Registerstelle in der Alice-Salomon-Hochschule. Seit 2013 habe sich die Situation immer weiter zugespitzt, die Registerstelle verzeichnete vermehrt Angriffe auf Geflüchtete, aber auch auf Linke und Unterstützer von Flüchtlingen. Maron spricht von einem „Revival für die Neonazi-Szene im Bezirk.

Von November 2014 bis zum Juni 2015 fanden hier wöchentlich rechtsextreme Montagsdemos statt, die zu Beginn bis zu 1.000 Menschen mobilisieren konnten. „Die konnten unter dem Label Bürgerbewegung oder „Nein zum Heim"-Kampagne ein großes Netzwerk ausbauen, das zwar teilweise offen nationalsozialistisch auftritt, aber von außen versucht, immer den Schein zu wahren: Dass sie Bürger sind, die sich um die Sorgen und Ängste ihrer Mitbürger kümmern würden", fasst Maron zusammen.

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Nach dem Schema läuft auch die Demo am 2. April ab. „Liebe Anwohner, kommt herunter", tönt der Sprecher pathetisch. Und: „Keine Angst! Wir sorgen für Sicherheit statt Angst!". Gleichzeitig geben sich die Demo-Teilnehmer äußerst aggressiv, brüllen „Nieder mit der roten Pest!" oder „Hier marschiert der nationale Widerstand!" Auf dem Fronttransparent drohen sie mit Angriffen auf „Linksfaschisten".

Ein anderes Transparent hat die Polizei zuvor konfisziert—allerdings ein linkes, das aus der Hochschule hing: „Rassisten angreifen und blockieren". Überhaupt scheint die Polizei bei den einen deutlich genauer hinzuschauen als bei den anderen. Als die Verstärkung dann endlich eingetroffen ist, werden zwei kleinere Sitzblockaden eingekesselt, die Leute stundenlang festgehalten und kontrolliert.

Eine größere Blockade in der Zossener Straße lässt die Polizei allerdings gewähren; statt dessen leitet sie die Demo ein paar Straßen südlich vorbei. Das hat den Vorteil, dass die jetzt nicht mehr an den Flüchtlingsunterkünften vorbeiführt, sondern zum Teil durch völlig unbewohntes Gebiet.

Da die Antifas jetzt aber der rechten Demo hinterherlaufen, um auch die neue Route zu blockieren, kommt es zu Zusammenstößen mit der Polizei: Diejenigen, die es auf die neue Route geschafft haben, werden von Greiftrupps brüllend angegangen und rabiat von der Straße gezerrt. Dabei werden zum Teil Pfefferspray und Hunde eingesetzt, es gibt es auch einige Festnahmen. Eine kurze Attacke von 20 Rechten auf Gegendemonstranten hat allerdings ebensowenig Konsequenzen wie ein gezeigter Hitlergruß.

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Ramon, der sich als linker Aktivist bezeichnet und in Marzahn wohnt, kennt das schon. „Man fühlt sich von der Polizei eigentlich nie ernst genommen," erzählt er. Zwar werde man nicht jeden Tag angepöbelt, aber die Leute würden offen mit Thor-Steinar-Kleidung oder Landser-Shirt rumlaufen und im Sommer auch schon mal eine Reichskriegsflagge über den Balkon hängen. Zu viele Menschen im Bezirk würden auch bei Pöbeleien wegschauen oder fänden das ganz normal. Zwar gebe es auch viele Menschen, die Geflüchteten helfen und sich engagieren, aber zumindest die Jungen würden nach der Schule aus dem Stadtteil wegziehen.

Auch der Bezirk würde das Problem mit den Neonazis nicht ernst nehmen, meint Ramon. „Immer wieder wurde von Bezirkspolitikern behauptet, dass es vor allem auswärtige Neonazis wären, die anreisen würden und für Probleme sorgen würden; obwohl von Anfang an völlig klar war, dass es die Nazis aus dem Bezirk sind, die da Stress machen, und vor allem auch die rassistischen Anwohner."

Das Problem sei nicht ein extremistischer Rand der Gesellschaft: „In Marzahn-Hellersdorf ist das Problem ein rassistischer Konsens in weiten Teilen der Mitte der Gesellschaft. Nur weil der Rassismus in der Mitte so stark ist, haben die Nazis überhaupt die Möglichkeit zu agieren."

Und die agieren nicht nur immer häufiger, sondern auch immer brutaler. Am 23. März bedroht ein Mann zwei Geflüchtete mit einer Schusswaffe. Vier Tage davor wurde ein 16-jähriger mit Wodka überschüttet und angespuckt. Ende Januar wurde eine geflüchtete Familie in der Straßenbahn angegriffen, vor einer Flüchtlingsunterkunft fielen Schüsse. Elyas Maron berichtet zudem von zunehmenden Angriffen auf Kinder. Gerade das zeige, wie groß die Gewaltbereitschaft sei.

Die 150 Rechtsextremen kommen relativ gut gelaunt beim Eastgate-Einkaufszentrum in Marzahn an und schwingen Reden. Nach und nach treffen auch etwa 200 verbliebene Gegendemonstranten ein und pöbeln lautstark gegen den selbsternannten „gesunden Volkskörper". Die Stimmung ist aufgeheizt, Beschimpfungen wie „Hurensöhne" fliegen hin und her.

Auch bei der Abschlusskundgebung haben die Rechten von der Polizei offenbar nichts zu befürchten. Die Polizisten stehen entspannt um die sie herum, als die Rechten provozieren, werden sie behutsam und geradezu sanft zurückgedrängt. Als sie endlich zur S-Bahn geleitet werden,fragt ein kleines Mädchen: „Gehen die Nazis alle ins Gefängnis?" Die Mutter antwortet: „Das wäre schön!"