'Overwatch': Wenn YouTube-Stars Profifußballer abknallen

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'Overwatch': Wenn YouTube-Stars Profifußballer abknallen

Zur Veröffentlichung des neuen Multiplayer-Shooters gab es Prominente, Fingerfood und die Frage: Wie viel Spaß kann es eigentlich machen, wenn einem jemand beim Verlieren zuguckt?

Overwatch ist ein Spiel, das aussieht, als würde es ziemlich viel Spaß machen. Denke ich, während ich Fassbrause aus einem großen Plastikbecher trinke. Auf dem steht auch Overwatch, denn wir sind auf einem Overwatch-Event. Was ist Overwatch, werdet ihr euch nun vielleicht fragen, und ich werde es euch sagen. Ein neuer, von Fachpresse und Fans hart abgefeierter Shooter, der mich in seiner bunten Überdrehtheit spontan an die Borderlands-Reihe erinnert, zu dem ich aber auch nicht so wirklich mehr sagen kann, weil ich einen Review-Key für den PC bekommen habe, selbst aber nur im Besitz einer Playstation 4 bin. Schade, Blizzard.

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Ich bin nicht ganz sicher, ob ich dieses Schicksal mit all den anderen Menschen teile, die neben mir auf weißen Kubussen (Kuben? Kubi?) sitzen. Fakt ist aber: Wir alle haben uns an einem Mittwochabend eingefunden, um die Veröffentlichung des Multiplayer-Shooters damit zu feiern, Menschen, die deutlich mehr Instagram-Follower haben als wir selbst, dabei zuzugucken, wie sie sich gegenseitig über den Haufen schießen. Darunter übliche Verdächtige aus dem gamingaffinen YouTube-Kosmos wie LeFloid, die Rocket Beans, Pietsmiet und SpaceFrogs, aber eben auch Profisportler wie Fußballer Dante vom VfL Wolfsburg und der Boxer Marco Huck—oder der Musiker ATB. (Genau jetzt damit anzufangen, „9PM (Till I Come)" über den Musikstreamanbieter eures Vertrauens auf Repeat zu hören, könnte die Lese-Experience dieses Artikels ungleich dramatischer machen. Probiert es ruhig aus.)

Alle Fotos: Sarah Schmitt

An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass ich diesen Trend zum Live-Let's-Play überaus interessant finde. Früher saßen wir neben unseren Freunden und haben darauf gehofft, dass sie bei Super Mario Bros. endlich abkratzen, damit wir den Controller übernehmen können. Zunehmend wütend stopften wir uns Chips in den Mund und fragten passiv-aggressiv nach, ob man sich nach diesem Checkpoint nicht eigentlich abwechseln wollte. Dann kamen im Zuge der allgemeinen Webvideo-Euphorie Let's Plays auf und plötzlich spielten wir nicht nur nicht selbst, sondern befanden uns nicht einmal mehr im selben Raum wie der Spieler—was OK ist, ehrlich gesagt, weil man bei all den fantastischen Games und verschiedenen Exklusivtiteln für die Konsolen da draußen sowieso weder Zeit noch Geld hätte, alles selbst zu spielen, und es zweifelsohne angenehmer ist, sich über das Versagen anderer lustig zu machen, wenn man im Anschluss nicht den Beweis antreten muss, es selbst besser zu können.

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Jetzt also sitzen wir Leuten, die wir sonst nur über Bildschirme beim Spielen beobachten, gegenüber und gucken ihnen über Bildschirme dabei zu, wie sie auf Bildschirme starren. Und statt Chips gibt es Fingerfood.

Als ausgewiesener Wettbewerbsmensch hoffte ich auf in Tränen aufgelöste Verlierer, hysterische Wutanfälle und zerstörte Werbeartikel, stattdessen gibt es aber erst einmal ein Rahmenprogramm, das vor allem aus Trailern zum Spiel und kurzen Interviews mit den Beteiligten besteht. Während ich Fleisch-Frucht-Spieße deepthroate und verzweifelt versuche, mich an diesen einen ATB-Song zu erinnern, den ich früher heimlich gut fand („Hold You"), wird im VIP-Bereich ordentlich Bier getrunken. Ein bisschen hoffe ich darauf, dass einer der Spieler nachher zu betrunken ist, um seine Emotionen im Zaum zu halten. Andere Leute, die beim Zocken komplett ausrasten, geben mir immer das Gefühl, kein Aggressionsproblem zu haben.

„Ich bin kein Affe, ich bin Wissenschaftler!", ruft der bebrillte Gorilla Winston (der eine ziemlich coole, aber unhandliche Knarre hat) dann in einem weiteren Overwatch-Trailer und ich muss ein bisschen lachen, stelle dann aber fest, dass niemand sonst lacht, weil ich wahrscheinlich die Einzige bin, die diese Szene noch nicht vorher gesehen hat, und plötzlich fühle ich mich an traumatische Szenen aus meiner Kindheit zurückerinnert, in der ich eine der wenigen Personen in meinem Freundeskreis war, die keine Konsole besessen hat und komplett ausgerastet bin, als ich zum ersten Mal mit Ecco the Dolphin konfrontiert wurde, und ich nehme noch einen tiefen Schluck aus meinem gebrandeten Plastikbecher und wünschte, es wäre Bier, oder zumindest irgendein Energydrink, denn so was trinken doch junge Menschen—oder?

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Endlich geht es dann aber doch noch los mit dem großen Match zwischen Team Schwarz und Team Weiß. Was in seiner etwas unglücklichen Farbauswahl im ersten Moment an eine Gamification-Version von Helter Skelter erinnern mag, verläuft allerdings ebenso sportlich wie friedlich.

Die wirklich schönen, menschlichen Momente, die einem bei einer zusammengeschnittenen Internetübertragung womöglich verloren gehen würden, gibt es dann aber eben auch. Während die professionelleren Spieler angespannt auf die Bildschirme starren oder erleichtert aufatmen, wenn sie einen gegnerischen Spieler in letzter Sekunde niedermähen konnten, bevor ihre eigene Lebensenergie zur Neige ging, sehen die genrefremden Stargäste eher gemütlich aus. Dante bestreitet sämtliche Matches mit ein und demselben Gesichtsausdruck (leere Augen, Mund auf), Marco Huck sieht ein bisschen so aus, als würde in seinem Kopf seit Stunden der Windows-Fehlersound im Loop laufen und ATB erinnert an einen sehr zufriedenen Hamster. Der große Bildschirm hinter ihm offenbart derweil, dass er seit mehreren Sekunden vor sich in den Boden schießt. Da hatte es wohl nicht geholfen, dass sein Teamkollege ihm zuvor gestenreich den Controller erklärt hatte. Competition ist eben nur, wenn man auch mitmacht.

Auf dem Weg nach draußen laufe ich an einer Wand vorbei, auf die halbvolle Weingläser gemalt sind. Einen sehnsuchtsvollen Blick später schlackert die Goodie-Bag gegen mein Knie und erinnert mich daran, dass ich den Blizzard-Leuten unbedingt eine E-Mail schreiben muss, damit sie mir einen Overwatch-Code schicken, den ich auch tatsächlich einlösen kann. Dann werde ich selbst durch enge Gassen stürmen und auf alles schießen, was sich bewegt und niemals die speziellen Fähigkeiten meines Charakters ausloten, weil ich mir Tastenkombinationen und dergleichen einfach nicht merken kann. Wahrscheinlich werde ich sehr oft sterben und von den Menschen, die ich zwingen werde, dabei neben mir zu sitzen, ausgelacht werden, aber es wird OK sein, denn wir werden Bier trinken—oder Wein. Manchmal ist es eben doch ganz schön, wenn einem beim Versagen nicht gleich die halbe Welt zugucken kann.

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