FYI.

This story is over 5 years old.

News

Auch Femen-Aktivistinnen haben Cellulite und Hängetitten

Wir haben uns mit vollkommen angezogenen Mitgliedern von Femen Deutschland getroffen und ein wenig über Körperrasur, Cellulite, Hängetitten und Schönheitsbilder gesprochen.

So sehen Irina (links) und Zana von Femen Deutschland mit Klamotten aus.

„Wie erkennt man eine Femen-Aktivistin, wenn sie angezogen ist?“, frage ich mich, während ich auf Zana Ramadani und Irina Khanova warte—die Gründerinnen von Femen Deutschland.

Mehrere Frauen laufen an mir vorbei, während ich im Regen auf die beiden warte. Irgendwie bilde ich mir ein, dass sie blond sein müssen. Ist es die tussige Solariumgebräunte im pinken Glitzertop? Oder doch die groß gewachsene Blonde, die sich noch schnell für ein perspektivisches Ha-Ha-Foto mit dem Fernsehturm im Hintergrund ablichten lässt? Blondine nach Blondine läuft an mir vorüber, bis sich endlich unsere suchenden Blicke treffen und ich die beiden richtigen Frauen finde. Sie hatten dem Wetter getrotzt und vor dem Französischen Dom auf mich gewartet.

Anzeige

Nach einem kräftigen Händedruck setzen wir uns auf Cola und Apfelschorle in ein Eck-Bistro. Am meisten interessierte mich eigentlich, ob alle Mitglieder besonders durchtrainiert sein müssen, damit sie nackt auch eine gute Figur vor der Kamera machen. Außerdem erfahre ich, dass sie spezielle Trainingslager betreiben, um sich auf ihre Auftritte vorzubereiten (wofür ich mich natürlich gleich angemeldet habe), die oftmals physische Herausforderungen sind—auf die Bühne springen oder andere Stunts, um möglichst sextremist rüberzukommen.

Bilder von Zana (kommt aus einer muslimischen Familie) und Irina (kommt ursprünglich aus Russland) kennt man: Sie haben oben ohne und mit Parolen beschmiert die Germany's Next Topmodel-Bühne gestürmt und mit blumenbekranzten Häuptern vor der Bundeskanzlerin demonstriert. Letzten Donnerstag haben sie gerade erst vor der ukrainischen Botschaft aus Solidarität für ihre dortigen Kolleginnen demonstriert.

Ich spreche mit ihnen über das Klischee der unrasierten, unattraktiven Feministin, Kampflesben, Hängetitten und Sex.

Pariser Aktivistinnen bei einer Aktionen gegen Faschisten, aus unserer Femen-Doku.

VICE: Müssen Femen immer schön sein? Der Körper steht ja schon im Mittelpunkt. Auf der Homepage steht außerdem etwas von „physically and morally fit“. Was kann man darunter verstehen? 
Irina: Ich würde sagen, wir sind nicht alle „physically fit“. Deshalb machen wir auch die Trainings, um es zu schaffen, auf die Bühne zu springen, zum Beispiel. Es gibt auch Proteste, wo wir nur stehen, aber bei der Mehrzahl der Proteste stoßen wir wirklich an die Grenzen unserer physischen Belastbarkeit. Das ist auch die Strategie des Sextremismus. Es geht um die Attacke. Eine friedliche Attacke.

Anzeige

Ist das deine Definition von Sextremismus? 
Irina: Ja so grob. Man kann bestimmt noch ein paar Sätze hinzufügen, wie sie im Manifest stehen, aber eigentlich kommt das hin.

Aber wie steht's jetzt um die Schönheit? Bis jetzt entsprechen fast alle Femen-Aktivistinnen, die ich gesehen habe, dem gängigen, westlichen Schönheitsideal. Ist das ein Aufnahmekriterium? 
Irina: Das Ding ist einfach, Femen in Deutschland ist sehr neu. Wir haben nicht die Möglichkeit, so viele verschiedene Frauen anzulocken. Besonders weil es auch ein gesellschaftliches Problem ist. Wenn du dich einigermaßen attraktiv findest, dann bist du auch selbstbewusster und schließt dich vielleicht eher dieser Bewegung an. 
Zana: Bei mir ist es wirklich extrem. Ich bin zu fett, meine Titten hängen zu weit unten, heißt es. Ich fühle mich aber nicht zu fett; meine Brüste sind ganz normal. Weiblich, natürlich. Ich stehe halt über dummen Angriffen und Beschimpfungen. Es ist wirklich ein rein gesellschaftliches Problem, dass sich uns nicht viel mehr Frauen anschließen. 
Irina: Das zweite Problem ist natürlich, dass die Medien die Frauen, die vielleicht etwas „mehr haben“, einfach rausschneiden, oder sie konzentrieren sich nur auf Frauen, die diesem Ideal entsprechen. In der Ukraine wurde zum Beispiel absichtlich eine 100-Kilo-Frau während eines Protests so zentral positioniert, dass sie von den Medien nicht herausgeschnitten werden konnte.

Anzeige

Im Pariser Hauptquartier trainieren Femen-Aktivistinnen für den Einsatz.

Noch einmal zurück zu einem anderen Frauenbild und Frauen, die sich deshalb aus Unsicherheit vielleicht nicht anschließen. Konträr zu euren „schönen“ Aktivistinnen ist nach wie vor oft die Vorstellung der unrasierten, unattraktiven Feministin geläufig. 
Zana: Man nennt die auch gerne Kampflesben. [lacht] Ja, das ist der Begriff, der wirklich für Feministinnen benutzt wird in der Umgangssprache. Da passen wir natürlich überhaupt nicht rein und das ist natürlich das, was die Leute schockt. Wir sind einfach „ganz normal“. Haben kein Problem damit, uns schön zu kleiden, und mein Gott, ich liebe es, mich zu rasieren, weil ich keine Haare mag. Deshalb sind die auch so geschockt und denken: „Oh Gott! Jetzt stehen ,normale‘ Frauen auf und kämpfen für etwas.“ Und dann auch noch mit Weiblichkeit und Nacktheit.

Das will die Gesellschaft nicht sehen. Die Gesellschaft will schöne Frauen sehen, die unterwürfig sind und nur hochsexualisiert dargestellt werden und hilfsbedürftig sind. Das sind wir aber nicht.

Wir sind zwar nackt und schön, weil wir uns selber im Inneren schön finden, nicht aber, weil wir perfekte Körper haben. Das haben wir nicht. Wir haben genauso Cellulite wie alle anderen.

Irgendwie bekomm ich es nicht ganz auf die Reihe. Es sind also alle—egal ob dick oder dünn oder sonst was—dazu eingeladen mitzumachen, tun dies aber nicht, weil sie unterdrückt werden, von den Zuständen, gegen die sie nicht demonstrieren können, weil sie von diesen unterdrückt werden. Heißt das vielleicht, die Methode von Femen kann gar nicht funktionieren? 

Anzeige

Ein Teufelskreis, in dem meine Gedanken bis zum Schwindel gefangen scheinen. Irgendwie beißt sich hier irgendwo die Katze in den eigenen Schwanz.

Zuerst war Irina ganz „normal feministisch“ aktiv. Beeindruckt von den Aktivistinnen mit Hitlerbärten und Umschnall-Dildos beschloss Irina 2012, Femen Deutschland zu gründen. Zana hatte sie über das Internet gefunden und vor rund einem Jahr beim „Slut Walk zum ersten Mal persönlich getroffen. 

So begann, was heute 12 aktive und 8 inaktive Mitglieder hat. Inaktives Mitglied ist man dann, wenn man mit organisiert, Ideen gibt, vielleicht auch mal etwas Geld springen lässt, aber nicht seine beschrifteten Möpse in Kameras hält, bis man verhaftet wird. Finanziert wird Femen Deutschland übrigens hauptsächlich aus Spenden. Im Gegensatz zu der internationalen Femen-Bewegung, die sich wohl gut und gerne durch Merchandise und T-Shirts für ihre Oben-Ohne-Bewegung finanziert. Zana erzählt mir, dass Femen momentan die weltweit größte aktive feministische Bewegung ist. 

Stichwort von vorhin: „Kampflesben“. Dominiert bei euch irgendeine sexuelle Orientierung? 
Zana: Überhaupt nicht. Wir haben alle Männer und Frauen. Die sexuelle Richtung ist bei uns nebensächlich. Es soll jeder machen, was er will. Ich habe auch alles ausprobiert, was man so ausprobieren kann. Aber das ist doch die Entscheidung von einem selber, oder wie man sich wohl fühlt. Aber wir hassen nicht Männer. [lacht] Im Gegenteil, wir lieben Männer, wir haben Partner. 
Irina: Wir haben auch viele männliche Femen-Unterstützer. Die unterstützen uns zum Beispiel durch Fotografie, Grafikarbeiten, Webdesign und Übersetzungen.

Anzeige

Erfunden hat Femen übrigens sogar ein Mann: Victor Svyatski. In einer Doku beschreibt er Frauen als schwach und ohne starken Charakter und gab zu, Femen ins Leben gerufen zu haben, weil er sich an Mädchen ranmachen wollte. Diese wiederum scheinen Svyatski gegenüber mittlerweile regelrecht unter einer Art Stockholm-Syndrom leiden

Wieder bin ich verwirrt. Alles bleibt kontrovers. Wie von Femen gewohnt. 

Was auch interessant ist, ist das Gerücht, dass es unter den feministischen Bewegungen einen regelrechten „Zickenkrieg“ geben soll. Vor dem Barbie Dreamhouse hatte Femen den Aktivistinnen von Pinkstinks regelrecht die Show gestohlen, was diese stinkig machte und zu einer Anfeindung zwischen den beiden Gruppierungen führte. 

Irina: Die heißen ja auch Pinkstinks. [beide lachen] Ich habe mich mit der Frau von Pinkstinksdanach getroffen. Wenn es möglich ist, versuchen wir auch, Kontakt aufzunehmen, und suchen den Dialog. Hören uns Kritik an. Jeder kann an einem öffentlichen Ort mit den jeweiligen künstlerischen Mitteln seinen Protest kundtun. An diesem Tag gab es einfach Hunderte Protestierende und sehr wenige Besucher.

Ihr habt generell also auch Interesse daran, mit anderen Aktivistinnen zu kooperieren?
Zana: Natürlich. Wir schaffen es natürlich durch unsere extremen Aktionen, in die Medien zu kommen. Ich bin der Meinung, diese anderen Aktivistengruppen sollten einfach auf den Zug aufspringen und genau diese Aufmerksamkeit, die wir für diesen Moment geschaffen haben, für sich selber nutzen. Vielleicht war Pinkstinks in diesem Moment auch etwas sauer, weil deren Protest gar nicht so richtig wahrgenommen wurde. 
Irina: Es gibt keine Konkurrenz zwischen den Gruppen. Das sollte eigentlich ein gemeinsamer Kampf sein.

Anzeige

Auf der Homo-Demo gegen Putin wart ihr zum Beispiel nicht präsent. Unter welchen Gesichtspunkten sucht ihr euch Veranstaltungen raus? 
Zana: Wir haben natürlich unsere Themen und eigenen Aktionen. Am Samstag wollten wir als Femen eigentlich gar nicht präsent sein, aber Pinkstinks ist an uns herangetreten, und so haben ein paar von uns für die Flyer verteilt. Also, diese Unterstützung ist enorm wichtig. Wir haben den gleichen Kampf, das gleiche Ziel. Wir haben nur unterschiedliche Wege.

Vorbereitung auf den Ernstfall

Manche Eso-Tanten könnten jetzt wohl einwerfen, dass der Weg das Ziel ist. Aber das passt nicht in das Kämpferinnenkonzept von Femen. 

Apropos Konzept. Die Botschaften von Femen werden offensichtlich über deren Körper und Erscheinungsbild überliefert. Die Aggressivität und Bestimmtheit mit der dies geschieht, bis hin zur verwendeten Symbolik kommen natürlich nicht von ungefähr. Es gibt Training-Sessions, in denen das Auftreten von Femen bei ihren Aktionen geübt wird. Diese finden zum Beispiel im Headquarter in Paris statt. Aber auch die deutschen Anhängerinnen trainieren, wann immer sie sich in kleineren Gruppen zusammenfinden.

Was war das Krasseste, was in Deutschland bis jetzt passiert ist? 
Zana: Würgen von Sicherheitsleuten. 
Irina: Eine Aktivistin wurde von einer Passantin angegriffen und auf den Boden gedrückt.  
Zana: Für mich bei Germany's Next Topmodel. Als mich ein riesiger Sicherheitsmann regelrecht auf den Boden geschleudert hat. Ich bin ja auch nur 1,57, und der war riesig. Meine Beine waren grün und blau. 
Irina: Das Schlimmste natürlich war, dass eine unserer Aktivistinnen nach Tunesien gefahren ist und dort mit Islamismus und der Zwangsverschleierung konfrontiert war. Und das am eigenen Leib. Wir wollten damals unsere Aktivistin Amina befreien.

Anzeige

Wie ist der derzeitige Stand bei Amina? Gibt es da noch was Neues?
Irina: Sie hat sich von Femen distanziert und ist ausgestiegen. Jedem von uns ist diese Freiheit gegeben. Eine andere Sache ist allerdings der Grund, warum man aussteigt. Wenn ich aussteigen werde, dann wird es aus dem Grund sein, dass ich nicht stark genug bin.

Du kämpfst also quasi, bis du nicht mehr kannst? 
Irina: Doch, ich würde aufhören, zum Beispiel wenn ich Verpflichtungen gegenüber meiner Familie habe. Meine Mutter ruft mich fast jede Woche an und fragt mich, wann ich aussteige, weil sie Angst um mich hat. Ich würde auch aussteigen, wenn ich mich zum Beispiel um meine Mutter kümmern muss. Ich würde aber nie sagen, Femen ist islamophob. Femen ist gegen alle religiösen Institutionen, die Frauen unterdrücken.

Wie gehst du, Zana, mit diesen Vorwürfen um, wo du doch selbst diesen Background hast? 
Zana: Ich würde mich schon als islamfeindlich, also islamismusfeindlich, bezeichnen. Aber ich komme aus dieser Welt. Ich habe es hautnah erlebt. Ich habe das Recht, das auszusprechen! Und ich wage es auch, das zu kritisieren, weil ich es am eigenen Leib erfahren musste. Ich weiß, wie sich Frauen fühlen, die darunter leiden, weil ich selbst darunter gelitten habe. Wenn ich das Recht nicht habe, gegen Islamismus zu sein, wer dann bitte?

Hier gibt es mehr Femen (diesmal auch mit Brüsten):

Unsere Doku: Femen - Sextremismus in Paris

Für ihr Recht, zieht sie sich aus 

Ich arbeite lieber als Nutte als im Call Center