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Musik

Raki und Hail Satan - Das erste türkische Metal-Festival in Berlin

Metal-Fans in der Türkei wurden durch staatliche Behörden zeitweise auf die gleiche Stufe wie Terroristen der PKK gestellt und mit einer „Special Anti-Satanist Task Force“ verfolgt.

Metal-Headz in der Türkei waren seit dem Entstehen ihrer Subkultur immer wieder Ziel von Repression und blankem Unverständnis. Dumpfe Vorurteile und falsch verstandene Symboliken, die Metal auch im restlichen Europa in die Nähe von Satanismus rückten, trafen auch die Anhänger der Szene in der Türkei. Neben einer regelrechten Hatz auf Metalfans der 90er wurden selbst 2011 noch fünf von ihnen in Istanbul auf Anweisung Erdoğans festgenommen, da sie auf einer Parade Devil Horns zeigten und dies dem konservativen Ministerpräsidenten missfiel. Repression und Recep Tayyip Erdoğan fanden sich vergangenes Wochenende im Berliner Club K17 jedoch nicht im Publikum, als das weltweit erste Metal-Festival außerhalb der Türkei stattfand. Die Berliner Metal-Fans Serkan Deniz und Erol Yildiz hatten neun Monate lang ehrenamtlich und unentgeltlich dafür gearbeitet, dass am vergangenen Samstag Moribund Oblivion, Whisky,  Suicide, Darkestrah und Volkan T aus den Metal-Subgenres Death, Ghetto und Black Metal mit beinahe ausschließlich türkischen Wurzeln auf der kleinen Bühne des Clubs vor dem interkulturellen, aber durchweg in Schwarz gekleideten Publikum stehen konnten.

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Tamer Yiğit & Volkan T von Devil Inside

„Die türkische Metal-Szene in Berlin ist klein. Besonders in Berlin, wo jeden Tag soviel passiert, gibt es generell keine Szenen mehr“, erklärt mir Tamer Yiğit von der deutsch-türkischen Metalband Devil Inside aus Berlin. „Die Leute haben nicht mehr das Gefühl, für etwas zusammenzuarbeiten, aber es gibt sehr viele türkische Musiker. Metaler, Punkmusiker, aber trotzdem ist die Szene in Berlin nicht zu vergleichen mit der in der Türkei.“

Metal aus der Türkei ist keinesfalls exotisch, denn die Entwicklungen der europäischen und der türkischen Metal-Szene verliefen sehr ähnlich und beinahe zeitgleich. Bereits in den 80er-Jahren erreichten die ersten Schockwellen der Metal-Szene aus England und den Staaten die Türkei. „Am Anfang gab es nur sehr wenige Bands. Whisky, die das erste türkische Heavy-Metal-Album 1986 herausbrachten, war eine der ersten. Eigentlich wurde es schon ‘84 aufgenommen, aber niemand wollte es damals in der Türkei veröffentlichen“, erzählt mir Alpay Palt von Whisky, einer ikonischen Band der türkischen Metal-Szene, die an diesem Abend ihr erstes Konzert in Berlin geben sollte.

Doch mit dem Aufkommen einer ersten frühen Szene gerieten die Fans ins Fadenkreuz des türkischen Staatsapparats, der aus dem Militärputsch von 1980 hervorgegangen war. Platten wurden zur damaligen Zeit zensiert, Konzerte verboten und die türkische Musikszene war für eine gewisse Zeit wie gelähmt. Metal galt als Ausdruck von Verwestlichung und Elitarismus. „Es gab damals Probleme mit langen Haaren, die Leute dachten, man sei schwul. Ohrringe waren auch ein Problem. Alles dauerte also eine lange Zeit, bis sowas normal wurde in der Gesellschaft“, schildert mir Alpay die damals vorherrschenden Vorurteile innerhalb der türkischen Gesellschaft.

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Metal-Fans wurden durch staatliche Behörden sogar zeitweise auf die gleiche Stufe gestellt wie Terroristen der PKK und obwohl das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte, wurde die Situation  für Metal-Fans in der Türkei nach dem Mord eines Mädchens auf einem Istanbuler Friedhof Anfang der 90er noch schlimmer. Die Gesellschaft verfiel durch die aufgepeitschte türkische Presse in eine regelrechte Panik vor Metal und dem damit assoziierten Satanismus. Da jedoch niemand wusste, was Satanismus überhaupt ist, musste erst ein entsprechendes Wort in der türkischen Sprache dafür erfunden werden. Zeitgleich setzte die Polizei eine „Special Anti-Satanist Task Force“ ein und eine Hexenjagd begann. Polizisten stürmten Wohnungen und Bars. Junge Leute mit schwarzen Klamotten und langen Haaren wurde festgenommen. CDs und Magazine wurden konfisziert. Doch die Stimmung schlug schnell ins Gegenteil um, und die Polizei wurde für ihr rigoroses Vorgehen kritisiert. Nachdem die Polizei keine Beweise für die Existenz einer satanistischen Terrororganisation vorfand, ebbte der Tumult wieder ab, nachdem das Thema von den Titelseiten der großen türkischen Zeitungen verschwunden war. Insgesamt dauerte diese Panik zehn Tage an.

„Es gab eine sehr fette Metal-Szene und leider gab es auch in der Türkei sogenannte Satanistenmorde. Und durch diese Morde war es auf einmal so: Metal ist gleich Satanismus und dagegen muss etwas getan werden“, erzählt mir Volkan T von Devil Inside, der an diesem Abend solo auftrat und mit seiner Saz Metal-Riffs interpretierte, von der damaligen gesellschaftlichen Panik in der Türkei. „Nun ist die Metal-Szene in der Türkei im Vergleich zu vor zehn Jahren etwas abgeflacht.“ Sein Bandkollege Tamer Yiğit, der an diesem Abend nicht auftreten konnte, wirft jedoch ein: „Es gibt aber trotzdem viele neue Bands, das freut mich sehr. Rockmusik ist in der Türkei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sogar die Religiösen und Gläubigen haben ihre religiösen Rockplatten und meiner Ansicht nach ist auch Metal in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“

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Metal-Fans in der Türkei werden nicht mehr als Satanisten verdammt und eine Underground-Metalszene von knapp 350 Bands hat sich etabliert, doch die gesellschaftlichen Zerwürfnisse des von Demonstrationen und Aufständen geprägten Frühjahres und der Führungsstil von Erdoğan sind auch auf dem Turkish Metal Battle noch immer ein Thema, wie mir Alpay Palt von Whisky erzählt: „Das große Problem in der Türkei ist Meinungsfreiheit. Rockmusik ist für die Regierung kein Problem, da es nur eine kleine Gruppe ist, von der die Regierung keine Gefahr ausgehen sieht, doch nach den Aufständen sind plötzlich alle Rocker.“

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