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Video Games Killed the Radio Star

Über „Beyond: Two Souls“ und die Notwendigkeit des Scheiterns

Wir haben wieder den Controller in die Hand genommen und unser Sozialleben aufgegeben. Heute starten wir deshalb unserer Games-Kolumne Video Games killed the Radiostar. Den Anfang macht ein Spiel mit Sehnenscheidenentzündungsgarantie: Beyond: two Souls...

Das Ziel in einem Spiel ist es zu gewinnen. Natürlich will man Spaß haben, das steht außer Frage, aber grundlegend möchte man erfolgreich aus einer Sache hervorgehen. Insbesondere wenn es sich dabei nicht um eine Partie Monopoly bei langweiligen Pärchenabenden, sondern ein Videospiel handelt. Hasst man schon jeden, der einen bei Mensch ärgere dich nicht platt macht, möchte man nach zehn bis sechzig Spielstunden erst recht nicht mitgeteilt bekommen, dass man ein kompletter Versager ist. Erfolgserlebnisse wiederum machen einen aber nur deshalb glücklich, weil man der Niederlage ein Schnippchen geschlagen hat. Triumph über ein Spiel erfährt man nur, wenn die Möglichkeit zu scheitern existiert, und wie wenig Spaß würden Spiele wie Activity machen, wenn am Schluss alle gewinnen?

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Würde euch mit ihrem unsichtbaren Freund bei jeder Partie Bridge platt machen: Beyond-Protagonistin Jodie Holmes. Jedes Spiel definiert dabei den Begriff des Scheiterns anders. Respawnt man mittlerweile bei dem Großteil der gängigen Titel und verliert dadurch höchstens Zeit, etwas In-Game-Währung oder bestimmte Achievements, bedeutete ein Verlust aller Leben beim ersten Mario-Spiel für den Game Boy, dass man komplett von Neuem beginnen musste. Dadurch dass sich viele Gamestudios mittlerweile auf cineastisch anspruchsvolle Inszenierung konzentrieren und somit der Story und den Charakteren deutlich mehr Bedeutung beimessen als dem Gameplay, wurde die Möglichkeit des Scheiterns zunehmend eingedämmt. Man will auch weniger geübten Spielern die Möglichkeit bieten, die mit rund 60, 70 Euro nicht gerade billigen Titel durchspielen zu können. Ein Spiel soll kein Messinstrument der Reaktionsfähigkeit und Kombinationsgabe mehr sein, sondern ein Erlebnis, das jeder teilen kann.

Neben allem was eben gesagt wurde: Mit Tieren in Videospielen kann man übrigens auch nie was falsch machen. Eines der Entwicklerstudios, die diese Entwicklung am konsequentesten vorantreiben, ist Quantic Dream aus Paris. Die Franzosen haben spätestens mit ihrem Titel Heavy Rain bewiesen, dass sich Videospiel und Kino zunehmend annähern—auch wenn die zumeist auf Quicktime-Events reduzierte Spielmechanik einiges an Kritik einstecken musste. Mit Beyond: Two Souls haben Mastermind David Cage und sein Team jetzt einen Titel auf den Markt gebracht, das mit Schauspielern wie Willem Dafoe und Ellen Page nicht nur mit Namen aus Hollywood glänzt. Die Geschichte um das Mädchen mit dem unsichtbaren Geisterfreund, dessen Lebensgeschichte wir in kurzen Episoden über rund 15 Jahre hinweg miterleben, ist so cineastisch aufbereitet wie kaum ein Game zuvor. Es ist emotional, dramatisch, lustig, an manchen Stellen sogar wirklich gruselig. Es sieht wunderschön aus und auch mit dem Soundtrack von Hans Zimmer wurde alles richtig gemacht. Eins schafft es allerdings nicht: einen zu involvieren.

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Auch enttäuschend: Man kann die Farbe von Nathan Dawkins' (Willem Dafoe) Krawatte nicht selbst auswählen. Der Spieler wird zum Zuschauer degradiert, der ab und an Entscheidungen treffen, Gegenstände aufheben oder die Richtung der Spielfigur vorgeben darf. Kommt er dabei nur leicht vom vorgegebenen Weg ab, dreht die Kamera, oder Protagonistin Jodie läuft gegen eine unsichtbare Wand. In den Kampfszenen, in denen sich simple Richtungsvorgaben (Schlag/Tritt in verschiedene Richtungen, Ausweichmanöver) mit—im Vergleich zu Heavy Rain—deutlich vereinfachten Tastenabfolgen steuern lassen, kann man den Controller sogar ganz beiseitelegen. Egal wie oft man den falschen Knopf erwischt oder zu langsam reagiert: Das Spiel folgt stur dem vorgegeben Plan. Das Scheitern, der ewige Antrieb des Spielers, der die Erfolgserlebnisse umso schöner macht, wurde vollends wegrationalisiert. Nicht die Zombieapokalypse, sondern ein paranormaler CIA-Auftrag Ein gutes Wochenende hat mich Beyond trotz Hausarbeitsabgabestress vor meine Playstation gefesselt und ich bereue diese drei Tage der sozialen Isolation nach wie vor nicht. Andererseits: Gab es Momente, in denen ich mit meiner Figur mitgelitten habe? Situationen, die mich emotional komplett gepackt haben? Szenen wie die aus dem großartigen The Last Of Us, in denen man vor einem Kinderschänderkannibalen fliehen muss, der so leise durch das Level schleicht, dass man ihn zumeist erst sieht, wenn es schon zu spät ist, und der einem trotz Volljährigkeit und hartgesottenem Gemüt eine Scheißangst macht? Nein.

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Beeindruckend animiert: Echter sah man Pixel-Wasser wahrscheinlich noch nie von einem virtuellen Gesicht laufen. Wir alle wissen, dass es in den meisten Horrorschockern auf irgendeine Art und Weise zum Happy End kommt. Trotzdem brauchen wir die reale Bedrohung, die Gewissheit, dass jedes Stolpern des Protagonisten seinen verfrühten Tod bedeuten könnte. Wo hätte der Reiz bei beispielsweise SAW gelegen, wenn das zweite Opfer beim Spiel ums eigene Leben gesagt hätte: „Nö, mach ich nicht!", und der große, böse Psychopath mit „Na gut. Dann lass ich dich jetzt aber trotzdem frei, ne?" geantwortet hätte? Bei Heavy Rain konnte eine falsche Entscheidung, eine zu spät gedrückte Taste zwischen „alle sind glücklich und lachen und ziehen in sonnige Loftwohnungen" und „Ich habe alle getötet und werde für immer weinend in meiner Dusche kauern" entscheiden. Bei Beyond: Two Souls wählt man sein favorisiertes Ende aus mehreren Optionen einfach selbst. Quantic Dream hat auf vielen Ebenen sicherlich eins DER Spiele dieser Konsolengeneration geschaffen, eines haben sie aber vergessen: den Spieler ernst zu nehmen.

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