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Was wir aus Donald Trumps Wrestling-Auftritten über seine Persönlichkeit lernen können

Ja, Wrestling ist fake—aber dasselbe gilt für Donald Trump.
Foto von Pedro Plassen Lopes

Pedro Plassen Lopes | flickr.com | CC by 2.0

Eins gleich vorweg: Ja, Wrestling ist fake. Aber wie das mit Fakes eben so ist, sagen sie oft mehr über ihre Macher aus als es die ungescriptete Wirklichkeit es jemals könnte. Im Wrestling gibt es keinen Zufall. Alles was da ist, ist Absicht—wie bei einer großen, perfekt choreografierten Zirkusnummer, nur mit zeitreisenden, einhorntragenden, posaunenspielenden Seifenopern-Athleten statt Clowns und Seiltänzern.

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Kein Zufall bedeutet aber auch, dass es keine Ausreden gibt. Dort, wo die Wirklichkeit notfalls sagen kann, dass eine Sache "nicht so gemeint" war, muss sich Wrestling immer den Vorwurf gefallen lassen, dass jede Untergriffigkeit genau so im Drehbuch steht. Das gilt eigentlich nichts Außergewöhnliches und ganz genau dasselbe im Film oder der Literatur oder am Theater oder bei Tanzshows. Der Unterschied ist nur, dass alle diese anderen Kunstformen (mit der Ausnahme eines Cameo-Auftritts in Kevin Allein in New York) nichts mit Donald Trump zu tun haben.

So fake Wrestling auch sein mag, nirgendwo sonst haben wir Donald Trump bisher echter erlebt als im Rahmen der WWE. Das soll nicht heißen, dass seine Auftritte im herkömmlichen Sinne "echt" waren. Trumps Sager stehen genauso im Script, seine Schläge sind genauso gespielt und seine Story ist genauso vorher abgemacht wie bei jeder anderen Wrestling-Geschichte auch. Aber das alles zeigt eine viel grundlegendere Wahrheit—nämlich wie der designierte US-Präsident von der Welt (und den Wrestling-Fans) gesehen werden will.

Womit wir beim "Battle of the Billionaires" bei Wrestlemania 23 wären. Hier kulminierten mehrere Monate der Feinschaft zwischen dem WWE-Boss Vince McMahon und dem Immobilien-Mogul Donald Trump in einem gigantischen Stellvertreterkrieg, in dem es um nichts Geringeres als das Haupthaar der beiden Milliardäre ging. Der Verlierer musste sich vom anderen Milliardär den Kopf kahl scheren lassen (nur falls ihr euch fragt, ob man eigentlich besonders reif sein muss, um besonders reich zu werden).

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Das wirklich Überraschende daran war weniger, dass Trump und McMahon natürlich nicht selber wrestleten, sondern zwei stattliche Gladiatoren in einem monumental langweiligen Oldschool-Match gegeneinander antreten ließen (immerhin macht man sich ab 10-stelligen Vermögenswerten nur noch ungern die eigenen Knochen kaputt). Es war auch nicht, dass Trumps Mann, der damalige ECW-Champion Bobby Lashley, das Match gewann und The Donald natürlich keine seiner dünnen Federn im Ring verlieren musste. Das wirklich Überraschende war, dass Trump in der Geschichte der Gute und McMahon der Bösewicht war.

Aus heutiger Sicht wirkt das vielleicht ein bisschen befremdlich, aber der Punkt ist: Aus damaliger Sicht tat es das genauso. In beiden Fällen—2007 bei Wrestlemania und 2016 im US-Wahlkampf—schaffte Trump dasselbe Kunststück: Nämlich sich trotz aller Macht und Überlegenheit als Underdog und Außenseiter zu verkaufen.

Das System, das war Vince McMahon; der böse Boss und Systemvertreter, während Donald Trump den rotzigen Arbeiterhelden "Stone Cold" Steve Austin auf seiner Seite hatte. Und das bei einer Wrestlemania, die in der damals noch intakten Motor City Detroit stattfand. Das Ganze hatte "Held der Arbeiterklasse" quer über die licht bedeckte Stirn geschrieben.

Dabei war Trump auch damals schon alles andere als ein Arbeitertyp—und erst recht kein unbeschriebenes Blatt. Im Gegenteil. Tatsächlich begann die Storyline, die später zum Hair-vs-Hair-Match bei Wrestlemania führte, mit Donald Trumps untergriffigen Beleidigungen gegenüber Rosie O'Donnell im Jahr 2006, als Trump die Schauspielerin unter anderem "fett", "eklig", "dumm", eine "Verliererin" und "eine Frau außer Kontrolle" nannte, die "sich gehen lässt".

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Es war kein "Grab 'em by the pussy", aber sagen wir so: Helden reden anders—und zwar auch in der Wrestling-Welt von 2007. Und da sprechen wir noch gar nicht von seiner klassischen Bösewicht-Rolle bei The Apprentice, wo Trump Rausschmisse und Beleidigungen verteilte wie andere Politiker Handshakes und Kugelschreiber.

Trotzdem: Trump wollte der Gute sein. Und die Maschinerie der WWE mit ihren 658 Millionen Dollar Umsatz setzte alles daran, The Donald seinen Wunsch zu erfüllen. In den Shows, die zu Wrestlemania führten, erschien Trump als Retter und ließ (in einigen Fällen sogar echte) Dollarscheine auf das Publikum regnen. Vince McMahon, Trumps Gegner und WWE-Vorstandsvorsitzender, gab sich alle Mühe, noch böser zu wirken als sonst—und das soll einiges heißen, wo Mr. McMahon sonst Wrestler um ihre Karrieren brachte und sich in einer Storyline sogar mit Gott persönlich anlegte (um die letzten Zweifel auszuräumen, auf welcher Seite er stand).

Trump wirkte wie ein versoffener Clown, der für einen Kindergeburtstag gebucht wurde und genau weiß, dass er nur ans Geld der Eltern kommt, wenn er sich bei den Kleinen beliebt macht.

In einer düsteren Vorahnung des US-Wahlkampfs wurde bereits es bei der Vertragsunterzeichnung zum Mania-Match Trumps kleiner Donald thematisiert, als Vince McMahon von seinen "Grapefruits" sprach und Donald Trump darauf erwiderte: "Deine Grapefruits sind keine Konkurrenz für meine Trump Tower." OK, Donald.

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Alles daran fühlte sich falsch an. Zu jedem Zeitpunkt konnte man Trumps Gesicht die Überwindung ansehen. Er wirkte wie ein abgehalfterter, versoffener Clown, der für einen Kindergeburtstag gebucht wurde und wusste, dass er nur an das Geld der Eltern kommen konnte, wenn er sich bei den Kleinen beliebt machte.

Es wirkte auch völlig kontra-intuitiv, einen überlebensgroßen, unberechenbaren, politisch unkorrekten Comic-Charakter wie Donald Trump nicht als Bösewicht zu booken. Was passieren konnte, wenn man die Fans gegen den Strich bürstet, wusste man eigentlich spätestens seit dem ersten Auftritt von "The Rock". Als Dwayne Johnson seine Karriere als der immergrinsende Rocky Maivia begann, wurde er von den Fans aus der Halle gebuht. Erst, als er zum Bösewicht "The Rock" mutierte und Fans beleidigte, begannen diese plötzlich, ihn zu lieben.

Die Frage war damals dieselbe wie heute: Warum um alles in der Welt funktioniert das Konzept Trump trotz all dieser offensichtlichen Unstimmigkeiten? Wie kann es sein, dass eine so offensichtlich völlig unauthentische, übertriebene Figur bei einem wesentlichen Teil der Wrestling-Fans (und 9 Jahre später auch der Bevölkerung) einen Nerv trifft?

Die Antwort ist da wie dort: Weil es weder bei Wrestling noch bei Wahlen um Echtheit geht. Fans und Wähler wissen in beiden Fällen, wie fake die Sache ist. Und in beiden Fällen geht es um etwas anderes: nämlich um das Spektakel. Nichts ist amerikanischer als der Kampf gegen die Umstände, gegen das Besserwissen der anderen, gegen die Übermacht der Neinsager.

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Im geschützten Umfeld des WWE-Universums darf Trump durch sein eskapistisches Kunstreich tänzeln und komplett so sein, wie er will. Wrestling ist Donald Trumps Happy Place. Und das hat seine Gründe. Wrestling und Donald Trump haben eine lange gemeinsame Geschichte. Sie beginnt 1988, als Trump Wrestlemania 4 nach Atlantic City holte—in seine (mittlerweile geschlossene) Trump Plaza. Dort fand ein Jahr später auch Wrestlemania 5 statt; wieder unter Trumps Schirmherrschaft. 1991 veranstaltete er das nächste Event, diesmal in etwas kleinerem Rahmen. Wrestling brachte Trump Kundschaft und Trump brachte seiner Kundschaft Wrestling.

Im Jahr 2000 ließ sich Donald Trump bei Wrestlemania 20 von dem Ex-Wrestler und Ex-Gouverneur von Minnesota, Jesse "The Body" Ventura interviewen. Obwohl das Großevent in seiner Heimatstadt New York stattfand, war die Reaktion des Publikums alles andere als frenetisch.

Um die Stimmung aufzulockern fragte Ventura damals, ob er mit Trumps Unterstützung rechnen könnte, falls Ventura sich 2008 als unabhängiger Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen würde. Trump antwortete "Zu 100 Prozent"—was bei den Kommentatoren kurz zu wilder Spekulation führte, ob Trump womöglich als Vizepräsident antreten würde. Die Kommentatoren lachten. Das Thema war erledigt.

Vor seinem Auftritt bei Wrestlemania 23 erklärte Trump schließlich, 95 Prozent aller Hollywood-Stars würden unbedingt sehen wollen, wie er McMahon die Haare abschert. Die Zahl war genauso willkürlich gesetzt und frei erfunden wie vieles, was 2016 im Wahlkampf von ihm kommen sollte.

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2013 kehrte er schließlich für seine Ehren-Aufnahme in die WWE Hall of Fame zurück und argumentierte seine Beliebtheit, wie er das immer getan hatte, mit seinem Quotenerfolg: Wrestlemania 23 war lange Zeit das meist gesehene und meist gekaufte Wrestling-Event der US-Geschichte. Auch heute liegt noch auf Platz 2. Was Trump dabei nicht bedachte war der vermutlich nicht unerhebliche Teil der Fans, der das Event nur deshalb gekauft hatte, um sich an dem Milliardär abzureagieren.

Trump ist wie ein Autounfall mit einem Rolls Royce. Er zeigt uns den Luxus, den wir gerne hätten—und deshalb auch irgendwie hassen—und liefert gleichzeitig auch ein Ventil dagegen. Entsprechend wurde er bei seiner Hall of Fame-Rede (genau wie Wrestlemania wieder in New York, Trumps Heimatstadt) so dermaßen ausgebuht, dass wahrscheinlich niemand, der 2013 eingeschaltet hatte, drei Jahre später eine Präsidentschaftskandidatur für möglich gehalten hätte.

Passiert ist es, genau wie Trump selbst, am Ende trotzdem, gegen alle Widrigkeiten. Die Parallelen sind überdeutlich: Die Beschimpfungen, das männliche Gockeln, der bedingungslose Glaube an die Quote. Und daran, dass wirklich jeder US-Präsident werden kann—vielleicht nicht ohne eine Million Dollar Starthilfe, aber zumindest ohne emotionale Intelligenz oder Feingefühl. Und mit einer fast schon übermenschlichen und auf jeden Fall bewundernswerten Fähigkeit zur Ignoranz gegenüber jeder Fremdwahrnehmung.

Seine Inszenierung als Volksheld ist im Wrestling genau wie im Wahlkampf auch ein Krieg gegen die Wirklichkeit. Trump ist ein tragischer Held, der den Jubel braucht, aber nicht bereit ist, dafür den Umweg über gute Taten zu gehen, sondern der lieber Drehbuchautoren für die Anerkennung bezahlen will.

Aber vielleicht ist auch genau das der Punkt. Trump macht aus all dem nämlich keinen Kehl. Natürlich sind seine Wrestling-Auftritte fake—genau wie Donald Trump insgesamt. Wrestling-Star "Stone Cold" Steve Austin hat mal gesagt: Die besten Wrestling-Charaktere sind diejenigen, die ihre echte Persönlichkeit nehmen und einfach nur die Lautstärke aufdrehen. Im Fall von Donald Trump gibt es keine Persönlichkeit, aber umso mehr Lautstärke. Niemand soll sagen können, er hätte nichts gehört.

Markus auf Twitter: @wurstzombie