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Götz George tot, Bud Spencer tot – Stirbt die Männlichkeit im Manne weg?

Wenn ich an starke Typen denke, die gegen alle Widerstände ihren Mann stehen, fällt mir eigentlich nur noch Angela Merkel ein.

Foto: imago | Teutopress

Erst Götz George und jetzt auch noch Bud Spencer. Tot, zwei Originale aus einer Prä-Selfie-Ära. Und doch, es stimmt schon—da sterben zwei Dinosaurier und mit ihnen wird mehr und mehr ein gewisses Männlichkeitsideal zu Grabe getragen. Jenes vom starken Mann, mehr noch: dem Hau-drauf- und Leck-mich-am-Arsch-Typ. Aber nicht dem Hau-drauf-Heidenau-Typ und Leck-mich-am-Arsch-Hartz-4-Mann, sondern das der sexy Version.

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Ob es sie wirklich jemals gegeben hat abseits inszenierter Märchenwelten eines Schimanskis sei dahingestellt—bei dieser Thematik ist es leicht, in Klischees zu verfallen. Trotzdem hat man das Gefühl, dass da Typen von Männern sterben, die so nicht mehr wiederkommen. Durch das multimediale Sendebewusstsein wird auch die Selbstdarstellung eine andere. Eitelkeiten entstehen, aber auch Vorsicht und fast schon Furcht davor, nicht unvorteilhaft abgelichtet zu werden. Jeder Passant kann mit seiner HD-Kamera im Smartphone zum potenziellen Paparazzo werden. Aus berechtigten Gründen des Selbstschutzes werden die kleinsten Sternchen, egal ob Mann oder Frau, zu scheuen Wesen—wer permanent auf der Hut sein muss, dem geht eine Lässigkeit flöten, die einen Teil jener Antihelden-Männerromanik bildet.

Nicht zu vergessen, dass wir alle nur das sind, was wir erlebt haben. Wo gibt es noch solche Lebensläufe wie den eines Carlo Pedersoli alias Bud Spencer? Geboren 1929, also noch etwas vom Zweiten Weltkrieg wahrgenommen, zwei Schulklassen übersprungen, als exzellenter Kopf ein Jurastudium angefangen, um es dann wegen der Familie aufgeben zu müssen, die nach Südamerika zog, wo er als Fließbandarbeiter in Rio de Janeiro, Bibliothekar in Buenos Aires und Sekretär in der italienischen Botschaft in Uruguay arbeitete. Das Studium dann wieder aufgenommen und abgeschlossen, nebenbei eine Schwimmkarriere gestartet, italienischer Meister im Brustschwimmen und 100 Meter Freistil geworden—in der Summe hat er dieses Titel zehn Mal verteidigt—, Teilnahme an den Olympischen Spielen, Filmkarriere, heute nörgeln die Männer, dass ihnen die Bologna-Studiengänge zu wenig Gelegenheiten zur Vertiefung des Stoffes bieten.

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Kann man ihnen einen Vorwurf machen? Nein. Sehr viel wird von ihnen verlangt. Die modernen Männer sollen alles sein: Unabhängig und keine Angst vor Bindungen haben, wild und bedacht, leidenschaftlich aber nicht plump, wir kennen die Dichotomien, bla, bla. Sie gelten übrigens auch für Frauen. Sie sollen auch alles sein. Am besten Mutter und Hure zugleich, Karriere- und Hausfrau. Hut ab, wem das gelingt. Die Gefahr ist, dass wir uns verflüchtigen in der Vielfalt der Rollen, und wer von allem ein wenig ist, wird mitunter nichts konkret.

Dann ist der Schlosser Andreas aus Plettenberg kaum noch vom Bestatter und Tatortreiniger Valentin aus Wuppertal zu unterscheiden oder vom Pflegedienstleister Marcel aus Duisburg oder dem Trockenbauer Michael aus Hellenthal oder dem Stallbetreiber Dennis aus Lotte. Diese fünf Jungs bilden das Männlichkeitsideal, wie es sich VOX heute unter "Echten Kerlen" vorstellt:

Die Heldenreise beginnt! Start von — VOX (@VOXde)22. Juni 2016

Sie könnten aber auch genauso gut Systemadministrator bei der Sparta-Bank sein oder Back-up-Vocalist bei Bosshoss oder VICE-Redakteur. Diese fünf Luftpumpen, die sich wie 90 Prozent der gesamten Erdbevölkerung den gleichen Tätowierer zu teilen scheinen, würde Bud Spencer im Vorbeigehen einatmen und Götz George wie Domino-Steine umpissen. Gewiss, wir können uns hier täuschen, zumal es nahezu unmöglich ist, mit Bestimmtheit zu sagen: "Das hier ist wahre Männlichkeit! So sieht sie aus, so soll sie sein!" Und doch: Wenn konkrete Männer in Relation zueinander gestellt werden und wir unsere Utopien authentischer Männlichkeit bemühen, dann merken wir, dass sich ein Gefälle auftut—die fünf VOX-Schablonen stehen zu Götz George oder Bud Spencer wie glutenfreies Tofu zu einem Porterhouse-Steak.

Zum Glück hat ja VOX noch Formate wie Grill den Henssler, um die Sehnsüchte nach Stereotypen zu bedienen, aber auch dieser Quoten-Macho wirkt wie eine Parodie der prädigitalen Originale. Wenn ich an starke Typen in Deutschland denke, die gegen alle Widerstände ihren Mann stehen, fällt mir Angela Merkel ein. Als internationaler Nachwuchs käme mir vielleicht noch die isländische Nationalmannschaft in den Sinn, aber dann wird es allmählich dünn, was natürlich überhaupt nichts Schlimmes bedeuten muss, denn wer sagt, dass wir diese Sorte Mann noch brauchen?