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Heulsuse der Woche: Homophobe Nazis vs. AfD

Die ‚Deutsche Stimme' dreht ein wirres Video über Gender Mainstreaming und Frauke Petry vermutet eine Verschwörung, weil sie bei einer Talkshow ausgeladen wurde.

Die Abstimmung ist jetzt beendet. Den Gewinner findet ihr am Ende des Artikels. War wieder ein Riesenspaß, bis zum nächsten Mal!

Heulsuse #1: Die Homo-Gegner der Deutschen Stimme

Der Vorfall: International wird endlich so viel Offenheit und Toleranz gegenüber alternativen Sexualitäten und Geschlechterbildern gezeigt, dass das Thema im Mainstream angekommen ist.

Die angemessene Reaktion: Sich darüber freuen, dass wir in einer Zeit leben, in der sich niemand mehr für seine Sexualität schämen muss—zumindest theoretisch.

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Die tatsächliche Reaktion: Einen Videobeitrag gegen „Gender Mainstreaming" drehen und homophobe Verschwörungstheorien verbreiten.

Investigativer Videojournalismus und Nazi-Propaganda—kann das zusammenpassen? In den Augen der nationaltreuen Kartoffelbande des Deutsche Stimme Verlags scheinbar schon, warum sonst sollten sie seit Monaten das Format DS-TV betreiben, in dem sie sich verschiedensten Themen (von Ausländerhass bis Asylbetrug) widmen. Ihr neuester aufklärerischer Coup: „Gender Mainstreaming: Die totale Geschlechterverwirrung". Verwirrend ist aber vor allem der Beitrag selbst, der damit endet, dass die arisch blonde Moderatorin sich psychotisch im Spiegel anstarrt, schließlich das Gesicht der Kamera zuwendet und mit einem sardonischen Lächeln sagt: „Also ich bin mir über meine geschlechtliche Identität im Klaren und ich denke, Ihnen geht's genau so, oder?" Ehrlich gesagt: Nein. Wenn wahre Weiblichkeit so aussieht, möchte ich nicht länger eine Frau sein.

„Weg mit der Homopropaganda"—Die AfD fordert russische Verhältnisse.

Über die Dauer von knapp sechseinhalb Minuten wird allerlei Wirres über Sexualaufklärung im Schulunterricht, das vermeintliche Abwerten des traditionellen Familienbilds und den „schlechten Witz", der sexuelle und geschlechtliche Toleranz in den Augen der Videomacher scheinbar ist, verbreitet. Hauptgesprächspartnerin Ricarda Riefling, die sich große Teile des Videos über ihre ganz persönliche Meinung zu „widernatürlicher" Sexualität auslassen darf, widerspricht sich dann auch direkt selbst. Einerseits solle man in die sexuelle Entwicklung eines Kindes nicht eingreifen, andererseits soll den Kindern aber von Seiten der Eltern ganz konkret aufgezwungen werden, was „richtig" und was „falsch" ist. Kommen Kinder zu Wort? Pädagogen? Sexualforscher? Nein. Natürlich nicht. Wenn die Experten aus dem eigenen Haus kommen, gibt es schließlich keine unliebsamen Überraschungen oder ungewollte Erkenntnisgewinne.

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Jetzt könnte man sich natürlich fragen, ob es nicht etwas seltsam ist, als einzige Expertin zum Thema Gender Mainstreaming die Vorsitzende des Rings Nationaler Frauen, die ganz nebenbei natürlich auch NPD-Parteimitglied ist, zu Wort kommen zu lassen. Ganz so, als würde man einen Metzger zur Asylpolitik befragen. Andererseits hat es die NPD geschafft, sich mit dem Teilen dieses Videobeitrags selbst ins Bein zu schießen. Irgendwie hatte nämlich niemand damit gerechnet, dass auch der ein oder andere bekennende Homosexuelle sein Kreuzchen bei der Lieblingspartei aller besorgten Teutonen setzen könnte. Die sind jetzt natürlich weniger amused und bezeichnen das Video als „totalen Schwachsinn". Was lernen wir daraus? Die böse, böse „Homo-Lobby" findet sich überall. Auch in den eigenen patriotischen Reihen.

Heulsuse #2: Frauke Petry und ihre AfD-Kollegen

Nicht sehr glücklich: Frauke Petry (links im Bild). Foto: imago/Gerhard Leber

Der Vorfall: Die AfD-Vorsitzende wird erst zu einer Polit-Talkshow eingeladen, dann aber doch wieder ausgeladen.

Die angemessene Reaktion: Sich womöglich kurz ärgern, das Ganze dann aber wieder vergessen. Es gibt genug Talkshows in Deutschland und wer tatsächlich irgendetwas zu sagen hat, wird sicherlich eine andere Chance bekommen, zu Wort zu kommen.

Die tatsächliche Reaktion: Sich als Opfer einer öffentlich-rechtlichen Verschwörung sehen.

So richtig habe ich die Faszination von politischen Talkshows noch nie verstanden. Es geht immer um dieselben Themen, die immerselben Gäste reden für eine Stunde aneinander vorbei und am Schluss ist niemand so wirklich schlauer. Manchmal wird auch geschrien oder jemand ist betrunken, aber verlassen kann man sich darauf natürlich nicht. Zumindest für die teilnehmenden Politiker aber scheinen diese Sendungen die perfekte Plattform zu sein, um ihre Agenda unters Volk zu bringen. Dementsprechend kann man durchaus verstehen, dass Frauke Petry, ihres Zeichens Vorsitzende der Alternative für Deutschland, ein bisschen aufgeregt war, als sie zum Thema Flüchtlingskrise bei Menschen bei Maischberger antreten sollte. Außerdem war Til Schweiger auch eingeladen und wann hat man schon mal die Chance, mit Deutschlands Brad Pitt über Flüchtlinge zu diskutieren?

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Nur wenige Stunden, nachdem die AfD-Chefin ihre Teilnahme über Twitter verkündete, kam dann aber die große Ernüchterung. „#Maischberger Teilnahme storniert. Wurde wieder ausgeladen. Warum wohl?", fragte sie ihre rund 2.700 Follower, lieferte ihre ganz persönliche Interpretation dieser Praktik aber gleich mit: „Staatlich indoktrinierte Meinungsfreiheit mit Zwangsgebühren?" Damit rannte sie bei ihren Anhängern natürlich offene Türen ein, die die vermeintliche mediale „Gleichschaltung" noch ein bisschen weiterspannen.

Motherboard: Rechte Anonymous-Aktivisten und HoGeSa rufen zum EnDgAmE gegen Pegida auf.

Die ARD hingegen wollte sich nicht so einfach unterstellen lassen, dass sie Frau Petry nur deshalb wieder ausgeladen hätte, weil sie Angst hatte, „dass die Wahrheit ans Licht kommt" (O-Ton Twitter-User oO_Hummer_Oo)—was auch immer das bedeuten mag. In einem offiziellen Statement erklärte die Redaktion, die Politikerin bereits im vergangenen Jahr in der Sendung zu Gast gehabt zu haben und sich durchaus vorstellen könnte, sie wieder einzuladen. Tatsächlich habe man in diesem Fall allerdings CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer vorgezogen, „denn er gehört einer im Bundestag vertretenen Partei an, die überdies an der Regierung beteiligt ist." Petry war also eher als eine Art Ersatz angefragt worden, da unsicher war, ob der CSU-Politiker den Termin würde wahrnehmen können.

„Sie sehen: keine Indoktrination, nirgends, sondern ganz normaler Redaktionsalltag", schließt die Richtigstellung der ARD. Alles wieder gut? Natürlich nicht. Der AfD-Pressesprecher verkündete, dass man „das so nicht durchgehen lassen" werde und Petrys Stellvertreterin Beatrix von Storch postete auf Facebook für ihre „Freunde vom zwangsfinanzierten Staatsfunk" einen zerrissenen Rundfunkgebührenbescheid (lieben wir nicht alle die deutsche Sprache für solche Wörter? Ich schon). Selbst mit ihren dramatischen Forderungen nach Schadensersatz konnte die Partei die Redaktion nicht provozieren—von den „Zwangsgebühren" werden unter anderem nämlich auch Aufwandsentschädigungen an Polit-Talk-Gäste gezahlt. Ganz freiwillig. Selbst wenn sie kurzfristig wieder ausgeladen werden.

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Das Ergebnis

Ein sehr enges Rennen diesmal! Trotzdem haben die homophoben Video-Künstler von der „Deutschen Stimme" den verdienten Sieg eingeheimst und können sich nun entspannt zurücklehnen. Und die Klappe halten. Für immer.

Letzte Woche: Ein Bauer jammert, weil er für die Ermordung seiner Hündin bestraft wird, und Alice Schwarzer, weil sie nicht will, dass Frauen selber entscheiden, ob sie ihren Körper verkaufen.

Der Gewinner: Alice Schwarzer!