Ich war zwar immer schon ein sehr selbstsicheres Mädchen, aber als er anfing, mir durch die Haare zu streichen und an meinem T-Shirt herum zu zupfen, rief ich dann doch nach Hilfe. Eine Frau sprang von ihrem Fahrrad und rannte zu mir, wollte wissen, was los ist und mir helfen. Ich brachte kein Wort heraus. Der Mann war mittlerweile schon verschwunden.
Die Frau hat mich zu meinem damaligen Direktor gebracht. Dieser hat meine Eltern angerufen, weil er bemerkt hat, dass ich sehr unter Schock stand. Als mich mein Vater dann abgeholt hat, kam es zu dem ersten großen Vertrauensbruch zwischen uns. Anstatt mich als 11-Jährige zu trösten, mir die Angst zu nehmen, mich zu stärken oder einfach nur für mich da zu sein, sagte er: "Du brauchst dich nicht wundern. Warum lackierst du dir auch die Nägel rot? Das ist eine Signalfarbe und darauf stehen die Männer. Das solltest du langsam lernen."Schon damals war mir bewusst, dass ich sicher nicht auf etwas verzichte, nur weil psychisch gestörte Menschen sowas anziehend finden könnten aber so etwas in diesem Alter von seinem Vater zu hören, hat mich tief getroffen. Als ich in die Pubertät kam und anfing, mich schöner zu kleiden, mich zu schminken und mir ab und zu mal die Haare zu glätten, bekam ich die Blicke und Zurufe der Männer immer öfter zu spüren. Ich konterte mit harten Sprüchen, zeigte meinen Mittelfinger oder spazierte einfach ganz selbstbewusst weiter. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt auch überhaupt kein Problem damit, meinen Freunden und Eltern davon zu erzählen."Du brauchst dich nicht wundern. Warum lackierst du dir auch die Nägel rot? Darauf stehen die Männer. Das solltest du langsam lernen."
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Beim "Slutwalk", hier im Juni 2016 in München, wehren sich Demonstranten gegen die Täter-Opfer-Umkehr und das sogenannte Victim Blaming. Foto: Metropolitico.org | Flickr | CC BY-SA 2.0
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Als ich wieder bei den anderen war, wurde es mir zu viel. Alle schrieen sich an, meine Direktorin wollte ein Zugeständnis, dass ich die Klappe halte. Alle erhofften sich ein Happy End. Ich wollte so schnell wie möglich weg, ich war traumatisiert. Ich wollte ein Gespräch mit dem Täter. Er meinte, es wäre einvernehmlich gewesen, dass es ihm leid täte, dass er sowas nie machen würde, und so weiter.Ich habe nur genickt und mir gewünscht, daheim zu sein. Zuhause wollte meine Mutter aber noch einmal mit mir alleine reden. Ich aber nicht mit ihr, weshalb sie sauer war. Sie sagte etwas zu mir, was ich nie in meinem Leben vergessen werde: "Für mich ist es auch nicht leicht. Es ist schwer, von Fremden zu hören, dass du solche Sachen machst. Ich wusste nicht, dass du so eine Schlampe bist."In der darauf folgenden Woche habe ich mitbekommen, wie eine Lehrerin in ihrem Unterricht das Thema "sexueller Missbrauch und Belästigung" angesprochen hat. Sie erzählte, dass eine Schülervertreterin am Skikurs vergewaltigt wurde. Sie hat meinen Namen zwar nicht genannt, aber ich war nun mal das einzige Mädchen in der Schülervertretung. Alles ging von vorne los: Ich wurde angestarrt, angefasst und ausgelacht. Lehrer wussten nicht, wie sie mit mir umgehen sollen, Schüler sprachen mich ganz offen mit "Hey, stimmt das alles oder ist das gelogen? Hast du das erfunden oder so?" darauf an. So als würde es sich um ein 08/15-Schulgerücht handeln."Für mich ist es auch nicht leicht. Es ist schwer, von Fremden zu hören, dass du solche Sachen machst. Ich wusste nicht, dass du so eine Schlampe bist."
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