Popkultur

Das neue ‘Grand Theft Auto’ ist scheiße, aber das liegt auch an mir

Grand Theft Auto: The Trilogy, cum e noul gta

Wir schreiben das Jahr 2001 und ich befinde mich im Schlafzimmer von Gareth und Greg, meinen Zwillingsfreunden. Zwillinge haben die beneidenswerte Fähigkeit, ihre Geburtstagsgeschenke zu vervielfachen. Das bedeutet, dass Gareth und Greg eine PS2 und Grand Theft Auto III zum Geburtstag bekommen haben, während ich mich weiterhin mit Daytona USA auf meinem Sega Saturn begnügen muss. Ich gehe zu Gareth und Greg, weil ihre Mutter Marken-Cola kauft. Ich gehe zu Gareth und Greg, um mit staunenden Augen in die Zukunft zu blicken.

Technisch gesehen ist es illegal, was wir tun: Als gerade einmal 14-Jährige spielen wir ein Spiel, das ab 18 freigegeben ist. Aber wir sind gerade inmitten eines wichtigen Augenblicks der Infantilkultur – South Park! Jackass! “It’s Goin’ Down” von The X-Ecutioners feat. Mike Shinoda! Da wird die Altersfreigabe zur Nebensache.

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Ehrfürchtig blicke ich auf die beste 3D-Engine, die man je in meinem Leben programmiert hat. Den Röhrenfernsehen haben Gareth und Greg in einem speziellen Winkel an der Wand befestigt, damit beide von ihrem Stockbett draufgucken können. Es ist 14 Uhr, aber die Vorhänge sind zugezogen, damit wir einen besseren Blick auf die dreckigen Blau- und Grautöne von Liberty City bekommen.

Als Gareth mit dem Controller dran ist, patrouilliert er in einem zum Scheitern verurteilten Versuch, 100 Prozent zu erreichen, den Cochrane-Damm entlang. Er hofft, dort einen Mr. Whoopee-Truck zu finden, über den er im offiziellen PlayStation-Magazin gelesen hat. Als Greg dran ist, parkt er an einer unauffälligen Stelle und wir lauschen andächtig Lazlow von Chatterbox FM.

Als ich dran bin, fahre ich und fahre und kann es nicht fassen, wie groß eine Stadt sein, wie lebendig sich ein Spiel anfühlen kann – solange ich nicht mehr als einen Stern kriege, eine Verfolgungsjagd mit der Polizei beginnt und ich den Controller an Gareth zurückgeben muss, der dann wieder 40 Minuten nach dem Eiscreme-Truck sucht.


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Wir schreiben das Jahr 2002 und ich befinde mich im Wohnzimmer meines Kumpels Chris, der die PS2 unten aufgebaut hat, weil seine Mutter über das Wochenende weg ist. Ich sitze auf einem Sofakissen, das ich vom Sofa genommen und auf den Boden geworfen habe, wie 15-Jährige das aus irgendeinem Grund zu tun pflegen. Chris kniet unfassbar nah vor dem Fernseher. Er befindet sich in einem zum Scheitern verurteilten Versuch, 100 Prozent zu erreichen, und hofft, die versteckten Päckchen besser auf der Karte zu sehen, die er sich in der Schule ausgedruckt hat. Natürlich in Graustufen. Auf dem Boden liegen eine offene Packung Chips und mehrere Zwei-Liter-Flaschen Dr. Pepper. Später gehen wir vielleicht noch zur Tankstelle und kaufen uns einen Mikrowellen-Burger und Lion-Riegel.

Es riecht abartig hier im Wohnzimmer. Es stinkt grauenvoll. “Hast du Scarface gesehen?”, fragt Chris und zeigt auf eine spielbare Waffe, die sich wie eine Kettensäge dreht. “Das hier soll auf einer Szene in Scarface basieren.” Keiner von uns beiden hat Scarface gesehen. Wir spielen eine einzige große 3D-Referenz auf Scarface. In drei Jahren werde ich Scarface sehen und von den vielen GTA-Anspielungen darin umgehauen werden. Bei dem Versuch, einen Stunt-Bonus einzusacken, schieße ich mit einem Motorrad über eine Rampe neben einem Stripclub. Ich klatsche ins Wasser, bin sofort tot und gebe den Controller zurück an Chis, der ihn die nächste Stunde nicht mehr aus den Händen geben wird.

Wir schreiben das Jahr 2004, ich bin bei meinem Freund Paul und wir haben zwei der schlimmsten Frisuren, die die Welt je gesehen hat. Die Sache läuft so: Sein Vater holt Paul jeden Tag von der Schule ab und ich fahre mit, obwohl sein Haus etwas abseits von meinem Heimweg liegt. Denn Paul hat GTA: San Andreas auf der PS2 und bereits große Teile der Karte freigespielt.

Paul startet ein neues Spiel und lässt mich ehrfürchtig die erste Mission ansehen, bei der man auf einem BMX durch Downtown Los Santos fährt. Ich schaue und staune über die – davon bin ich überzeugt – beste 3D-Engine, die ich je in meinem Leben spielen werde. Jeder in der Schule hat dieses Spiel – ältere Brüder, coole Onkel oder chaotische Väter haben es ihnen gekauft. In jeder Pause überschlagen sich auf dem Schulhof die Prahlereien und Gerüchte.

“Es gibt einen Bigfoot im Spiel”; “wenn du Cheats benutzt, wirst du das Spiel nie beenden können”; “die haben ein Spiel in der Größe von L.A. gemacht. Wenn du dir den Code anzeigen lässt, ist der so groß wie L.A.”. Ein Freund von einem Freund hat einen Hydra-Jet geklaut und ist über die ganze Karte geflogen und es hat 25 Minuten gedauert. Der Bruder eines Kumpels hat einen Hydra geklaut und es irgendwie geschafft, ihn in der Garage zu parken, obwohl er noch nicht die Flugschule absolviert hat. Ein Bekannter eines Kumpels schwört – ja, schwört –, dass er ein Sieben-Sterne-Fahndungslevel bekommen hat, obwohl es nur sechs gibt.

Ich blicke durch den klobig gerenderten gelben Dunst von Los Santos auf der PS2 eines anderen Jungen. “Nie im Leben werden die ein Spiel machen, das besser aussieht”, sage ich voller Staunen. “Nie im Leben wird ein Spiel jemals wieder so groß sein.”

Später wird San Andreas auch für die Xbox veröffentlicht und ich habe über den Sommer mit Putzjobs genug Geld gespart, um es mir zu kaufen, was ich inzwischen auch ganz legal darf. Von nun an kann ich die Welt selbst formen.

Andere Kids zeigen mir die Geschäfte, die sie gekauft haben, die Autos, die sie aufgemotzt haben, wie einfach sie in die Militärbasis einbrechen, aber sobald ich alle Storymissionen erledigt habe, entscheide ich mich dazu, einfach in dieser Welt zu leben. Ich mache mir eine Mix-CD mit meinen Lieblingssongs, packe dazwischen ein paar DJ-Ansagen, die ich mit dem Windows Sprachausgabe-Tool erzeugt habe, und lade sie als eigenen Radiosender auf meine Xbox-Festplatte.

Ich kann hier alles tun: Oft cruise ich in einem unauffälligen Low-rider die spaghettigeraden Highways von Las Venturas entlang und schaue zu, wie aus Tag Nacht wird und die Casinos um mich herum erleuchten. Ich begebe mich auf meinen eigenen, zum Scheitern verurteilten Versuch, 100 Prozent zu erreichen, sammle unter Wasser Austern, übermale Graffitis von rivalisierenden Gangs und mache Snapshots von einem Spiel, das sich so riesig anfühlt wie ein ganzer Bundesstaat. Ich habe Millionen auf der Bank und die Freiheit einer Welt, die mich tun lässt, was immer ich will. Das ist: regelmäßig zu Ammu-Nation fahren, die maximale Menge Munition für den Raketenwerfer kaufen, einen Panzer klauen und die Kanone nach hinten gerichtet in den Verkehr ballern, damit ich schneller werde, und dann vom letzten Spielstand neu starten, wenn ich unausweichlich sterbe.

Ich spiele San Andreas auf einem 14-Zoll Fernseher im limetten-grünen Chaos meines Kinderzimmers, aber irgendwie fühlt es sich an, als wäre ich dort. Läuft man die Straße entlang, haben die Fußgänger einem Millionen Dinge zu sagen. Zerstört man sein Fahrzeug irgendwo im tiefsten Hinterland, fühlt man echten Kummer, während man durch ein Gewitter läuft und versucht, die nächste Straße zu finden.

Es ist jetzt egal, was mit mir passiert, welche Spiele ich spiele: Ich hocke in einem Sitzsack in der neunten oder zehnten Stunde einer samstäglichen Session, es gibt keine Missionen mehr, die ich noch absolvieren kann, keine Figuren mehr, die ich noch treffen soll, und ich spiele das mit Abstand beste Spiel, das ich in meinem Leben spielen werde. Es ist 2005 und ich bin 18 und mein Handgelenk ist gepudert mit den grell-orangenen Rückständen einer Dose Texas BBQ Pringles. Wenn ich ein Handy habe, dann schaue ich vielleicht zweimal am Tag drauf. Ich befinde mich in dieser sonderbaren Phase des jungen Erwachsenseins, in der ich aus unerfindlichen Gründen bis 4 Uhr morgens wachbleiben kann, ohne irgendwelche Folgen zu spüren.

In ein paar Monaten wird mir ein A4-Blatt sagen, dass meine Noten so gerade für ein Englischstudium reichen, aber in diesem Moment denke ich keine Sekunde daran. Ich frage mich, ob der Laden um die Ecke noch auf hat, damit ich mir vor dem Schlafengehen noch einen Mikrowellen-Burger holen kann. Ich schaue auf mein Handy: keine SMS, sieben Minuten bis der Spar schließt. Das Leben wird nie besser als das hier sein.

OK, wir schreiben das Jahr 2021. Das ging jetzt sehr schnell.

Wir müssen über Grand Theft Auto: The Trilogy – The Definitive Edition reden, das vor ein paar Wochen veröffentlicht wurde, 59,99 Euro kostet und in jeder erdenklichen Hinsicht absolut beschissen ist.

Es gibt da diesen komischen Bug, der ständig passiert, wenn ich rückwärts mit meinem Auto im falschen Winkel in ein anderes Fahrzeug fahre und es sich in das andere Fahrzeug reinschraubt. Dann ist da diese semiwichtige Brücke auf dem Land, die auftaucht und verschwindet, je nachdem von welchem Winkel aus man auf sie schaut. Ein Limo-Fahrer, den ich umlegen soll, bleibt rennend hinter einem Baum stecken. Gangster lauern mir mit absurd langen Fingern auf. Soundfiles, die scheinbar zwischen zwei mit einer Schnur verbundenen Dosen aufgenommen wurden, laufen in den seltsamsten Momenten ab. Die Figuren sind mit KI glattgebügelt, aber sehen irgendwie schlimmer als 2004 aus: weniger menschlich denn je.

Ja, das sind Probleme, und ja, ein solches Spiel ist keine 59,99 Euro wert, und ja, sie machen die Neuauflage zu einem absoluten Reinfall. Aber andererseits sind diese Probleme auch nicht so wirklich das Problem. Das Problem ist vielmehr, dass die 2021 Version von San Andreas nicht auch nur ansatzweise mit der 2004 Version von San Andreas mithalten kann, die nur in meinem Kopf existiert. Kein Spieleentwickler der Welt – selbst solche mit Milliarden Dollar Ressourcen und Jahren Produktionszeit – könnte das jemals schaffen.

Ich bin an die GTA-Remaster-Collection mit der naiven Vorstellung herangegangen, die alten Maps in der neuen GTA: V-Engine zu sehen mitsamt ein paar zeitgemäß modellierten Figuren. Das hätte alles in allem meine Nostalgie in der Form der neuen Welt wiederhergestellt. Das wäre richtig gut gewesen, wenn auch auf seine eigene Art auch wieder falsch.

Stattdessen wurde mir eine fast abbildungsgleiche Version des alten Spiels vorgesetzt, wenn auch eine scharf gezeichnete – als würde man beim Augenarzt eine neue Linse vors Auge kriegen. Das führt dazu, dass einem umso stärker bewusst wird, wie weit sich Gaming in den vergangenen 17 Jahren entwickelt hat – und wie verzerrt meine eigenen Erinnerungen sind. Die Zielhilfe, die das Spiel damals so gut gemacht hat, fühlt sich in Händen, die seit einem Jahrzehnt Next-Gen-Versionen desselben Konzepts spielen, unfassbar klobig an. Die furchtbar umständliche Menüführung des alten Spiels machen die Suche nach dem passenden Mantel in CJ’s Kleiderschrank zu einer echten Tortur. Eine Stadt, die sich einst lebendig anfühlte, ist jetzt nicht mehr als ein Haufen Autos auf den Straßen und fünf oder sechs Fußgänger, die sich immer das gleiche Zeug sagen.

Und da sind noch mehr Enttäuschungen. Eine besonders liebgewonnene Erinnerung an San Andreas war eine Mission, bei der CJ eine Grasplantage abfackeln muss. Während das Ott brennt, wackelt und eiert der Bildschirm, weil CJ von den Dämpfen immer dichter wird. In meiner Erinnerung ist dieses Wackeln und Eiern so lebendig und heftig, dass ich – ein 17-Jähriger, der noch nie Drogen genommen hatte – mich beim Spielen wirklich high gefühlt habe. Aber stell dir vor: In der neuen Version wackelt und eiert nichts.

Dieser Umstand führte mich auf eine verwirrende Weed-Wackel-Suche: Eine alte PC-Aufnahme, die ich finden konnte, zeigte nämlich ebenfalls kein Wackeln und ich begann zu zweifeln, ob es das Wackeln und Eiern wirklich jemals gegeben hatte. Wie sich herausstellte, haben sie das Wackeln vor ein paar Jahren aus der Mobilversion entfernt und einfach nie wieder eingefügt. Schließlich fand ich doch ein paar Aufnahmen von der ersten Generation des Spiels und ja, das Wackeln und Eiern war da, wenn auch kaum ausgeprägt. Mit meinen 34-jährigen Augen betrachtet wackelt der Bildschirm kaum. Eine meiner schönsten Erinnerungen an das Spiel entpuppte sich als bittere Enttäuschung.

Die große Enttäuschung über die GTA Definitive Edition ist also ebenso eine Enttäuschung über mich selbst. San Andreas war einst in gelben Dunst gehüllt, der aufregende Möglichkeiten verhieß. Heute haben sie diese Sichtweitenbegrenzung entfernt und ich kann die Größe der Insel, die sich mit 17 wie ein ganzer Bundesstaat angefühlt hat, genau sehen. Radiosender, die ich als unfassbar komisch und kreativ in Erinnerung habe, entpuppen sich, nachdem ich noch einmal genau so lange gelebt habe, als dieselben 15-Minuten-Loops, die ständig wiederholt werden. Die Polizei lässt sich sehr, sehr leicht umgehen.

Das beste Spiel, das ich je gespielt habe, eine Welt, in der ich tagelang abtauchen und leben konnte, ist heute nicht mehr als ein Haufen grauer Dreiecke und ein paar anzügliche Witze. San Andreas heute zu spielen, ist wie einen Literaturklassiker in altertümlicher Sprache zu lesen. Keine Frage, es ist eins der größten Kunstwerke, die je erschaffen wurden, aber in einem Format, das erst qualvoll entschlüsselt werden muss.

Das liegt auch, das habe ich schon anklingen lassen, an mir. Früher konnte ich das maximale Potenzial aus einem GTA-Spiel herauskitzeln, indem ich ein Auto klaute, einen Polizisten überfuhr und schaute, wie lange ich es schaffe, bei sechs Sternen vor dem Militär zu fliehen. Ich erfreute mich an der Zerstörung: ein Auto auf einer Autobahn parken und genug Verkehr aufstauen, um die hupenden Autos hinter der Blockade explodieren zu lassen, dann den Helikopter vom Himmel zu holen, der genau deswegen auf mich schießt; ein flaches Dach auf einem dreistöckigen Gebäude suchen und mit einem Snipergewehr auf SWAT-Vans schießen; mit einem Jet wenige Meter über der Stadt schweben und Raketen auf jedes Auto feuern, das in meine Richtung fährt.

Auf diese Art habe ich die Geheimverstecke gefunden, die funkelnden Sportwagen, die mitten im Nirgendwo geparkt sind, die versteckten Päckchen, Figuren, die du für ein Rennen ansprechen musst. Konditioniert dadurch, seit Jahren in Spielen einem Online-Achievement nach dem anderen hinterherzujagen, verachte ich inzwischen das Chaos und kämpfe mich stur durch die Storymissionen in der Hoffnung, zu der einen mit dem Jetpack zu kommen. Einen weißen Wal in der Form eines Eiscreme-Trucks zu finden, macht mir nicht mehr so viel Spaß.

Die Zerstörung ist nicht mehr aufregend. Ich habe kein Interesse mehr, einem Kumpel dabei zuzuschauen, wie er von einer transparenten Mad-Catz-Memorykarte einen Spielstand lädt und mir ein besonders abgefahrenes Auto zeigt. Wenn CJ eine Sexarbeiterin einsammelt, versuche ich nicht, ins Auto zu schauen, ob sie wirklich vögeln. Ich habe seit Jahren in keinem Sitzsack mehr gesessen und ich glaube, ich müsste ins Krankenhaus, wenn ich heute einen Mikrowellen-Burger esse.

Ich habe mich verändert, aber GTA: San Andreas ist gleich geblieben. Und genau das ist vielleicht das wahre Problem hier. Es ist nicht die KI, die Kent Paul absurd lange Finger verpasst hat. Es ist einfach, dass ich seit der ersten Veröffentlichung des Spiels ein weiteres ganzes Leben gelebt und mich als Person grundlegend verändert habe – auf eine Art, die sich nicht umkehren lässt. Ich wünsche jedem Entwicklerstudio viel Glück dabei, diesen Bug zu fixen.

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