Im Sommer 2006 beschloss eine kleine Gruppe Fans – Stammgäste in den Kneipen Glasgows und im Celtic Park –, dass es an der Zeit sei, einem großen Problem Abhilfe zu schaffen: die Stimmung auf den Tribünen war nicht mehr die, die sie mal war. Ein Stadionumbau hatte dazu geführt, dass die Atmosphäre nach Meinung der Gruppe bei vielen Spielen irgendwie platt, ja fast schon apathisch wirkte. Was nötig war, war eine frische Dosis Farben, Lärm und Politik – also eine neue Ultra-Gruppe, wie sie Celtic-Fans bei ihren Auswärtsfahrten in Europa erlebt hatten.
Über zehn Jahre später definiert sich die Gruppe – die heute Green Brigade heißt – politisch als antifaschistisch, antirassistisch und pro Religionsfreiheit und machte zuletzt im vergangenen Sommer im großen Stile auf sich aufmerksam. Bei einem Spiel in der Champions-League-Qualifikation gegen die israelische Mannschaft Hapoel Beer Sheva hatten Dutzende Mitglieder der Green Brigade Palästina-Flaggen geschwenkt und damit gegen eine UEFA-Regel verstoßen, die Banner “politischer, ideologischer, religiöser, beleidigender oder provokativer Natur” verbietet.
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Weil sich die Gruppe schon mehrfach mit der UEFA in die Haare bekommen hatte und wusste, dass eine Strafe für die Aktion fällig werden würde, rief sie eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben. Das ursprüngliche Ziel waren 20.000 Euro, bis Januar 2017 waren dann über 150.000 Euro in der Tasche. Der Großteil dieser Summe ging dann an zwei palästinensische Wohltätigkeitsorganisationen. Eine gelungene Aktion der Green Brigade, auf die sie selbst stolz waren, wie ihre Pressemitteilung verrät: “Dieser Akt von Solidarität hat Celtic auf der ganzen Welt Respekt eingebracht. Als Antwort auf die kleinliche und politisch motivierte Aktion vonseiten des Europäischen Fußballverbandes sind wir entschlossen, zum Sport einen positiven Beitrag beizusteuern.”
Der Erfolg ihrer Kampagne, auf Medien- wie auf Finanzebene, zeugt davon, wie weit es die Green Brigade in der relativ kurzen Zeit schon geschafft hat. Noch im Jahr 2006 hatte die Gruppe nur ein Dutzend Mitglieder und überschaubare Ziele. “Unser Hauptziel in der ersten Saison sah so aus, dass wir für mehr europäische Stimmung an den Spieltagen sorgen wollten, ohne gleich einen Anfall von Übermut zu erleiden”, verriet eines der Gründungsmitglieder im Interview mit einem Fan-Forum. “Wir wollten uns Gehör verschaffen und haben gehofft, dass die Zuschauermenge mitmacht.”
Die Gruppe, die in ‘Section 111’ im Celtic Park beheimatet ist, machte sich schnell einen Namen für auffällige Choreos, eine Vorliebe für Pyrotechnik und lautstark vorgetragene linksorientierte Positionen. Während manchen Fans ihre Ansichten missfielen, stiegen ihre Mitgliedszahlen stetig an. Angesichts der ausgeprägten linksgerichteten Geschichte Celtics – der Verein wurde mit der Absicht gegründet, die Armut irischer Einwanderer zu lindern – war das am Ende vielleicht gar nicht so überraschend.
“Celtic hat schon in der Vergangenheit Unterdrückern die Stirn geboten,” so Jeanette Findlay, die als Mitglied von Celtic Trust, einer anderen Ultra-Gruppe, in den letzten Jahren immer wieder eng mit der Green Brigade zusammengearbeitet hat. “Die allermeisten Leute, die aus Irland einwanderten, taten das zu Zeiten einer großen Hungersnot und wurden hier nicht akzeptiert. Celtic wurde gegründet, um diesen Menschen, die wirklich gelitten haben, zu helfen.”
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Doch schon lange vor der Gründung der Green Brigade haben Celtic-Fans in verschiedenen politischen Kontroversen Stellung bezogen, wie mir William McDougall, ein Politik-Dozent an der Glasgow Caledonian University, erklärt. “Sie betrachteten sich als Vertreter einer wirtschaftlich benachteiligten Gemeinschaft”, so McDougall weiter. “Die Fans sahen sich als Schotten an, waren aber gleichzeitig stolz auf ihre irischen Wurzeln. Allein aus dem Grund war klar, dass der Verein einigen Kontroversen nur schwerlich aus dem Weg gehen konnte.”
Einer der größten Streitpunkte in der Celtic-Geschichte war die sogenannte Flaggenaffäre von 1952. Der damalige Vereinspräsident Bob Kelly ging gegen den schottischen Fußballverband vor, nachdem dieser das Zeigen der irischen Nationalfahne verboten hatte. Zudem wurde in der Saison 1968 beschlossen, Spiele gegen Mannschaften aus kommunistischen Ländern in Osteuropa zu boykottieren, nachdem die Sowjetunion die Tschechoslowakei besetzt hatte.
Heutzutage steht Solidarität mit Palästina auf der politischen Agenda von Green Brigade ganz oben. 2012 organisierten die Mitglieder am letzten Spieltag der Saison zum Beispiel einen Tag der Solidarität mit palästinensischen Gefangenen im Hungerstreik. Dabei hielten sie ein Banner mit dem Spruch “Dignity is More Precious Than Food” [“Würde ist wertvoller als Essen”] in die Luft. Und als 2014 der Gaza-Krieg tobte, verhängte die UEFA eine Geldstrafe in Höhe von 16.000 Pfund gegen den Verein, weil die Green Brigade bei einem Spiel gegen KR Reykjavik palästinensische Flaggen hisste.
Für diese Solidarität gibt es laut Findlay zwei Gründe. Zum einen geht es darum, sich für ein beliebtes linkspolitisches Anliegen einzusetzen: “Wir unterstützen progressive Ziele – und Palästina wohl mit am längsten.” Zum anderen geht es hier um einen Konflikt, der aus ihrer Sicht an Irlands eigene Erfahrungen mit Unterdrückung erinnert: “Wir sehen die Palästinenser als enteignete Menschen an, die aus ihrem Land vertrieben und eingesperrt werden. Sie müssen sich einem komplett unfairen System und Gesetzen unterwerfen, denen sich niemand unterwerfen will.”
Palästina ist aber nicht das einzige politische Anliegen der Green Brigade. So hat sich die Gruppierung beispielsweise schon gegen den Anstoß um 18 Uhr ausgesprochen, indem sie Bälle auf das Feld warf. Und 2010 protestierten die Mitglieder gegen ein Mohnblumen-Emblem auf speziellen Trikots anlässlich des Remembrance Days. Dafür entrollten sie ein siebenteiliges Banner mit der Aufschrift “Your deeds would shame all the devils in Hell. Ireland, Iraq, Afghanistan. No blood stained poppies on our hoops” [Für eure Taten würde sich selbst der Teufel schämen. Irland, Irak, Afghanistan. Keine blutverschmierten Mohnblumen auf unseren Trikots].
Es überrascht kaum, dass diese Neigung zu radikalen politischen Ansichten gepaart mit jeder Menge Pyrotechnik ständig zu Problemen mit den Behörden führt. 2012 brach nach einem Spiel zwischen Celtic und den Glasgow Rangers Chaos aus. Daraufhin führte die schottische Regierung den sogenannten “Offensive Behaviour at Football Act” ein. Mithilfe dieses Gesetzes soll aufrührerisches Verhalten auf den Tribünen unterbunden werden. Mitglieder der Green Brigade sagen jedoch, dass das Ganze nur ein Vorwand sei, um gegen sie vorgehen zu können.
Ein Jahr später wurde bei einem Spiel gegen den AC Mailand ein Banner ausgerollt, das den hungerstreikenden “Provisional IRA”-Aktivisten Bobby Sands zeigte. Als dann auch noch Fans bei einem Auswärtsspiel gegen Motherwell randalierten, griff der Verein hart durch und erteilte 128 Mitgliedern Stadionverbot, während 250 weitere in einen anderen Block im Celtic Park zwangsumgesiedelt wurden. “Am Ende ist der Club ein Unternehmen, so wie die meisten Fußballvereine in Großbritannien”, erklärt McDougall weiter. “Sie orientieren sich nach dem Modell von Manchester United, im Mittelpunkt steht also eine familienfreundliche Atmosphäre. Sie wollen nicht, dass Politik ins Stadion getragen wird.”
Die Zeit danach war ihre “bis dato schwierigste Prüfung”, aber ihr langer Exodus fand zu Beginn der Saison 2014/15 schließlich ein Ende. Dank des “Safe Standing”-Prinzips dürfen sie mittlerweile sogar wieder stehen.
Celtics Ultras sorgten gleich zur Stehplatz-Premiere für Old-Firm-Atmosphäre
Und wie ihre Aktion aus dem letzten Jahr zeigt, haben die vielen Mitglieder der Green Brigade während ihrer Verbannung nicht ihr Gespür für gezielte Provokationen verloren. Glücklicherweise, ist man geneigt zu sagen. Schließlich konnte dank der Ultras vielen notleidenden Menschen in Palästina geholfen werden. Doch nicht nur deswegen sieht McDougall die Green Brigade auf dem Vormarsch, auch was ihren Einfluss auf die britische Fußballkultur betrifft: “Sie sind Teil einer breiteren Europäisierung im Fußball”, so der Wissenschaftler. “Sie sind eine Reaktion auf die Kommerzialisierung im Sport. Bei Celtic wollen viele junge Fans aus diesem Grund im Stadion genau dort stehen, wo die Green Brigade beheimatet ist.”