Eines muss man dem Greenfield Festival lassen: Während der Rest der Schweizer Open Air-Veranstalter auf ihren Homepages noch rührselig auf den vergangenen Sommer zurückblickt und den jeweiligen Besuchern mit nassen Augen versichert, dass sie das beste Publikum der Welt seien, hat die Gitarren-Sause im Berner Oberland diese Woche schon die zweite Ration Bands für nächsten Juni durchgegeben.
Der dabei alles überstrahlende Name: Red Hot Chili Peppers. Das ist ein kluger Schachzug. Die Jungs beziehungsweise Multi-Millionäre in gesetzterem Alter—Anthony Kiedis und Flea feierten dieses Jahr ihren 53.—sind eine sichere Bank für jedes Festival. Ein Golden Oldie der neueren Pop- und Rock-Geschichte, dessen Gassenhauer „Californication“ oder „By the Way“ auch der 16-jährige Metalcore-Fan am Greenfield betrunken grinsend über den Camping-Platz gröhlen wird.
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Ja, so eine Band auf dem Billing zu haben ist nicht nur verlockend, sondern im hart umkämpften Geschäft fast nötig. Will man in der Schweiz, wo im Sommer auf jeder zweiten Weide eine Bühne steht, wo jede Stadt, die etwas auf sich hält, ihre Gassen nach allen Regeln des Standort-Marketings zur Arena macht, fünfzehn bis zwanzigtausend Besucher anlocken, braucht es Namen mit Strahlkraft. Namen, die auch Marco und Lukas (das Geschlecht ist bewusst gewählt) aus dem Radio kennen und dazu mit ihren Kumpels und Strohhüten und Sex on the Beach in Liter-Bechern steil gehen können.
Für diese Portion Massenappeal geht man auch gewisse Risiken ein. Das Greenfield etwa verkündet den „Super Wednesday“ und sartet erstmals schon am Mittwoch die (vermeidliche) Zeltplatz-Gaudi. Weil die Wochenend-Daten der Chilis schon vergeben waren oder einfach zu teuer. Die einen wird es freuen (vier Tage saufen, olé!), die anderen ärgern beziehungsweise ruinieren, wobei fairerweise 4-, 3- und 1-Tages-Karten angeboten werden.
Ansonsten wirkt die zweite Ankündigungsrunde wie ein Déjà-vu der ersten (über die ich in diesem Artikel schon genörgelt habe). Eskimo Callboy und Mono Inc. waren schon da, Nightwish, The Offspring und die zugegeben grossartigen The Beauty of Gemina gaben sich schon zweimal, Billy Talent sogar schon dreimal die Ehre. Zählt man alles zusammen, besteht das bisherige Line-up—immerhin 31 Acts—zu zwei Dritteln aus Altbekanntem.
Natürlich zeugt diese Kombination—zugkräftiger Headliner plus safe bets—nicht gerade von Kreativität. Aber zur Verteidigung der Flugplatz-Rocker muss man sagen: Die meisten anderen grossen Festivals, ob in der Schweiz oder anderswo, ob Rock, Pop oder Urban machen es auch nicht anders. Die Toten Hosen, Placebo, Muse, The Prodigy, Fanta 4, Bushido, Ed Sheeran und Adele, deren Album nächste Woche die Charts anführen wird—allesamt werden sie von Festival-Plakaten prangen, wetten?
„So läuft das halt. Mecker doch nicht ständig rum, zwingt dich ja niemand, hinzugehen“, hör ich es schon rufen. Ja, so läuft das halt und ja, ich werde wohl nicht hingehen. Meckern tu ich trotzdem. Für alle tollen Bands, die keinen Slot kriegen zum Beispiel, weil die Promoter lieber auf Nummer sicher gehen (oder sich schlicht nicht die Mühe machen, nach Neuem Ausschau zu halten).
Natürlich muss ein Line-up Leute ziehen. Beispiele dafür, dass das auch mit etwas mehr Kreativität und Abwechslung funktioniert, gibt es aber genug. Altehrwürdige Musikfeste wie das Roskilde in Dänemark, das Glastonbury beherrschen den Mix aus alt und neu, aus Klassikern, Shooting Stars, Exklusivem und noch zu Entdeckendem. In der Schweiz kann man das höchstens noch vom Open Air St. Gallen sagen, welches wohl nicht zuletzt deshalb 2016 seinen 40. Geburtstag feiern darf.
Festivals müssen nicht nur bringen, was das Publikum will. Gerade weil viele Besucher nicht nur wegen dem Billing, sondern wegen dem Feiern hingehen, könnten sie neuen Bands eine Plattform bieten. Das wär dann übrigens nicht nur selbstlose Talentförderung, sondern auch langfristig wirtschaftlich gehandelt. In 20 Jahren nämlich werden Bands wie die Chili Peppers, Fanta 4 oder Rammstein langsam aber sicher in Rente gehen. Ob es dann noch Acts geben wird, für die sich ein zusätzlicher Festivaltag lohnt, das liegt nicht zuletzt an den Bookern von heute.
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