Dieser Artikel stammt aus unserer Redaktion in Zürich.
“It’s vegan, baby!” Mit diesem Claim startete vor vier Jahren eine kulinarische Erfolgsgeschichte in Zürich. Das Elle’n’Belle, ein veganes Restaurant mit Rock’n’Roll-Flair am Limmatplatz, zog schon seit der Eröffnung alle in seinen Bann. Vom Banker bis zum Punker, vom Veganer bis hin zum eingeschworenen Fleischfresser – jeder fühlte sich in der Location wohl und streichelte sich im Anschluss den satten Bauch. Ende Mai ist damit Schluss, das Restaurant muss schliessen. Die Gründe dafür könnten frustrierender nicht sein. Aber alles der Reihe nach.
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Die Schwestern Elif und Sibel Erisik gründeten Elle’n’Belle 2013. Zuerst noch ohne konkreten Plan. “Fest stand, Sibel kann wahnsinnig gut kochen und ich habe die richtigen Connections, um ein Start-up zu vermarkten”, erinnert sich Elif im Gespräch mit MUNCHIES. Schon als Kinder halfen die Schwestern im Restaurant ihrer Eltern mit. Ihr Vater Süreyya war einer der ersten, der den Kebab in die Schweiz holte. Mit dem Restaurant Türk in Solothurn machte sich Familie Erisik einen Namen. Aus der ganzen Schweiz und dem Ausland seien die Gäste gekommen, um den Döner zu probieren, sagt Elif. Dass auch die Töchter im kulinarischen Bereich gelandet sind, bestätigt das Sprichwort mit dem Apfel und dem Stamm.
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Der “Daddy Cool”, wie der vegane Kebab im Elle’n’Belle heisst, ist eine Hommage an den verstorbenen Vater. Kurz vor der Eröffnung des Restaurants erlitt Süreyya Erisik einen Herzinfarkt. “Das war eine schwere Zeit für uns”, sagt Elif. “Aber wir wissen, dass er heute sehr stolz auf uns wäre. Unseren Daddy Cool hat er geliebt”, ergänzt Sibel. Im Elle’n’Belle wird Papa Erisiks Leben gefeiert, ein Foto aus seiner Zeit als Boxer hängt an der Wand hinter der Döner-Station. “Die Ecke hat ein wenig was von einem Schrein. So ist unser Vater auch Teil von unserem Restaurant-Abenteuer”, sagt Elif. Und auch die Gäste der Schwestern erleben Süreyyas Vermächtnis, wenn sie einen Daddy Cool bestellen: Seine originale Gewürzmischung macht den Seitan-Döner zum Favoriten der Gäste.
Dass das Angebot im Elle’n’Belle rein pflanzlich ausfällt, liegt nicht nur daran, dass Sibel und Elif dazu beitragen wollen, dass es allen Lebewesen auf dieser Welt besser geht. Es kam dazu auch durch einen unglücklichen Zufall: Sibel wurde fälschlicherweise mit Krebs diagnostiziert. Sie wachte eines Nachts mit Atemnot auf, kam ins Krankenhaus und wurde untersucht. “Die Ärzte meinten dann, dass ich im schlimmsten Fall Lungenkrebs und im besten Fall Lymphdrüsenkrebs hätte”, erinnert sich Sibel. “Als ich diese Diagnose hörte, war das für mich ein Schock. Statt aufzugeben, wollte ich aber nach vorne schauen und habe alles zum Thema gelesen.” Dabei ist sie auf Veganismus und dessen Vorteile für Krebspatienten gestossen. “Ich war sowieso schon die letzten 20 Jahre Vegetarierin”, sagt Sibel.
Der Schritt zur gänzlich pflanzenbasierten Ernährung sei für sie daher kein grosser mehr gewesen. Und auch wenn die vorschnelle Diagnose Krebs nach weiteren Untersuchungen haltlos war (Sibel litt damals an akuter Sarkoidose, einer Erkrankung, die typischerweise die Lungen angreift und entzündliche Bindegewebsknötchen bildet), blieb Sibel dem Veganismus treu. Elif folgte ihrem Beispiel kurze Zeit später. Daher ist alles im Elle’n’Belle vegan: von den Zutaten der saisonal gestalteten Gerichte über das Getränkesortiment bis hin zur Seife oder den Portemonnaies der Servicekräfte.
Obwohl alles im Restaurant vegan ist (was das Elle’n’Belle nach eigenen Angaben zum grössten veganen Restaurant Europas macht), trotz zufriedener Gäste, nicht enden wollender Reservierungsanfragen und Elan in der Geschäftsleitung macht das Elle’n’Belle jetzt Schluss. Bis 31. Mai öffnen die Schwestern noch die Türen, danach ist die Location am Limmatplatz Geschichte: Die Besitzer der Liegenschaft, die Stiftung Limmathaus, können ihnen keine langfristigen Zusicherungen machen. Das denkmalgeschützte Haus muss dringend saniert werden. “Durch die erschwerten Umstände waren uns die Hände gebunden, wir konnten nicht mehr wachsen, nachhaltig investieren oder kreativ agieren”, sagt Elif. “Deshalb nehmen wir uns nun die Freiheit, hier mal einen Stopp einzulegen.” Wann die Sanierungsarbeiten definitiv beginnen oder wie lange diese dauern werden, kann niemand mit Sicherheit sagen. “Angedacht ist die Sanierung für 2020, aber ein erster Teil davon startet schon diesen Sommer in der Gastro-Küche”, sagt Elif. Die Stiftung Limmathaus teilte auf Anfrage von MUNCHIES mit, dass die Totalsanierung vermutlich 2021 oder 2022 starten werde. “Wir sind zu alt, um uns von Jahr zu Jahr zu hangeln”, sagt Sibel. Beide sind Anfang 40, sehen höchstens aus wie 30 und haben den Elan und Ehrgeiz von 20-Jährigen. Und trotzdem ist die Frustration, die Elif und Sibel empfinden, verständlich.
Wer sich in letzter Zeit entlang der Langstrasse umgesehen hat, kann die Zeichen der fortschreitenden Gentrifizierung nicht ignorieren. Sei es das vegane Buffet-Restaurant Hiltl, die Europaallee oder eines der kulinarischen Ventures des Supermarktes Migros, die sich an der Feiermeile Zürichs breitmachen – die Quartieraufwertung des ehemaligen (und an manchen Ecken immer noch florierenden) Rotlichtviertels ist unübersehbar. Der Limmatplatz hingegen, am Ende der Langstrasse gelegen, wurde bisher von den Stadtplanern in Ruhe gelassen. Dass sich aber auch hier das Stadtbild irgendwann mal in Richtung Yuppie-Himmel verändern wird, ist nicht auszuschliessen. Legt die Schliessung des Elle’n’Belle den Grundstein für die Gentrifizierung des Limmatplatzes?
Elif und Sibel sind sich sicher: “Nein, das hat nichts mit Gentrifizierung zu tun”. Rausgeekelt habe sie niemand und auch die Verwaltung der Liegenschaft hätte die beiden Schwestern gern behalten. “Aus unserer Sicht ist die Schliessung zu bedauern”, sagt Martin Walder, ein Sprecher der Stiftung, über das Elle’n’Belle. Aber mit unklaren Zukunftsaussichten seien allen die Hände gebunden: “Ohne Investor im Hintergrund, überlegt man sich natürlich dreimal, welche Investitionen Sinn machen”, sagt Sibel. “Wir müssen einfach mal machen können, sonst killt das unsere Kreativität”, ergänzt Elif. Diese Kreativität nutzen die Erisik-Schwestern lieber für Plan B.
Denn während Gäste und Bekannte auf der Facebook-Seite des Restaurants und im Lokal gar nicht wissen, wohin mit ihrer Trauer über den Verlust eines der besten veganen Restaurants der Stadt, bedeutet das nicht das Ende von Elle’n’Belle. Im Gegenteil: “Wir wollen den Kultfaktor, den Elle’n’Belle in den letzten vier Jahren erreicht hat, zwischen zwei Buchdeckel packen”, sagt Sibel. Geplant ist ein Kochbuch mit den beliebtesten Rezepten: “Es gibt viele vegane Kochbücher, aber die meisten kommen auf der Gesundheitsschiene daher. Bei unserem Buch sind aber anständig Rock’n’Roll-Kreationen und Kalorien drin”, verspricht sie.
Mit der Veröffentlichung des Kochbuches (ein Datum dafür steht noch nicht fest) ist Plan B allerdings noch nicht mal richtig angelaufen. Mit dem Daddy-Cool-Seitan-Döner haben die beiden noch viel vor. Auch Kochkurse und Coachings wollen die Schwestern anbieten: “Mit all den Fehlern, Rückschlägen und Erfolgen der Vergangenheit im Rücken haben wir jetzt eine super Grundlage, um anderen Start-ups oder Vegan-Neulingen beratend zur Seite stehen zu können”, sagt Elif. Angesichts der steilen Erfolgskurve, die Elif und Sibel vor vier Jahren hingelegt haben – wohlgemerkt ohne Geld oder Erfahrung – steht einer rosigen Zukunft ohne Restaurant nichts im Weg. Passieren könne in Zukunft alles, sagt Elif zum Abschluss.
An Ideen fehlt es den Schwestern jedenfalls nie. “Wir passen uns einfach der jeweiligen Situation an. Wie ein Chamäleon. Vielleicht ist das unser Erfolgsrezept?”