Ist eine Hanfpflanze das Gleiche wie eine Tomatenpflanze? Natürlich nicht. Aber was würde passieren, wenn man Cannabis legalisiert? Darf man es dann genauso auf dem Balkon anbauen wie Thymian und Tomaten? Diese Frage beschäftigt gerade sehr viele Menschen in Deutschland – auch im Bundestag.
Die Ampelkoalition hat sich darauf geeinigt, dass Cannabis legal werden soll. Aber viele Details lässt der Koalitionsvertrag offen. Wo genau soll Cannabis verkauft werden, wie hoch darf sein maximaler THC-Gehalt sein und wird man es zu Hause anbauen dürfen? Die Antwort auf die letzte Frage ist gerade etwas näher gerückt.
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Die Grünen haben sich schon 2015 in ihrem Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes dafür eingesetzt, volljährigen Privatpersonen den Eigenanbau von bis zu drei Pflanzen zu erlauben. Auch Kirsten Kappert-Gonther, Sprecherin für Drogenpolitik bei den Grünen, unterstützt das. Die FDP dagegen zögerte, sich bei diesem Thema klar zu positionieren. Bis jetzt.
Ende April hat Kristine Lütke, Sucht- und drogenpolitische Sprecherin der FDP, gefordert, mit der Cannabis-Legalisierung auch den Eigenanbau zu ermöglichen. Sie persönlich spreche sich dafür aus, sagte sie in einem Interview mit dem Hanfverband, die Details müsse man aber noch ausarbeiten. Sie sage das zwar als drogenpolitische Sprecherin, erklärte sie, ob sie für die gesamte FDP-Fraktion im Bundestag spricht, ließ sie aber offen. Und was sagt die SPD?
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Laut Dirk Heidenblut, SPD-Mitglied im Gesundheitsausschuss und dort auch für Cannabis zuständig, ist der Eigenanbau “eine Option” und sogar “unverzichtbar”. In einem Interview mit dem SPD-Parteimedium Vorwärts im Januar bekräftige er das. Dennoch dürfte er damit vorerst nur seine persönliche Haltung ausdrücken.
Zurückhaltender äußerte sich Carmen Wegge, ebenfalls drogenpolitische Expertin der SPD. Sie sagte, eine Legalisierung sei auch ohne Eigenanbau vorstellbar, man müsse aber in jedem Fall eine Regelung finden. Außerdem müsse man klären, wie man Eigenanbau sicher gestalten kann. Sie sehe Widerstände von wirtschaftspolitischer Seite. Diese Bedenken, dass Eigenanbau den neu entstehenden legalen Cannabis-Markt schwächen würde, müsse man entkräften. Sympathien zeigten sowohl Wegge als auch Heidenblut für das Modell von Cannabis Social Clubs, wie man sie unter anderem aus Spanien kennt. Dort können Mitglieder ihr Recht auf Eigenanbau an einen Verein abtreten, der sich dann für alle um einen sicheren und professionellen Anbau kümmert.
Und was sagt der Drogenbeauftragte Burkhard Blienert zum Eigenanbau? Recht wenig. “Auch über diesen Punkt werden wir reden. Es gibt mehrere Vorschläge, etwa auch das Cannabiskontrollgesetz der Grünen”, sagte er im Interview mit VICE. SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der mit über die Cannabis-Legalisierung entscheidet, sagte dazu im Oktober verganenen Jahres: “Ich persönlich hätte damit kein Problem, nein.” Eine fraktionsübergreifende Position der SPD fehlt aber noch.
Cannabis selbst anbauen: Was dafür und was dagegen spricht
Es spricht vieles dafür, Erwachsenen den Anbau einiger Pflanzen für den Eigenbedarf zu erlauben. Man könnte dadurch die Gesundheit von Konsumentinnen und Konsumenten besser schützen. Wer sein eigenes Cannabis anbaut und konsumiert, wird es wohl kaum mit Sand, Haarspray oder Zucker versetzen. Auf dem Schwarzmarkt kommt das immer wieder vor, um die Optik minderwertige Ware zu pimpen. Außerdem wird niemand seine eigene Züchtung mit hochgefährlichen synthetischen Cannabinoiden besprühen. Auch solche Ware – chemisch gestrecktes Cannabis mit schwachem THC-Gehalt – taucht auf dem Schwarzmarkt seit einigen Jahren gelegentlich auf.
Beim Eigenanbau könnte man außerdem einfacher nachvollziehen, woher das Saatgut kommt. Und man könnte besser kontrollieren, wie hoch der THC-Gehalt ist. Auf dem Schwarzmarkt steigt dieser seit Jahren. Dieses Problem könnten natürlich auch lizenzierte Fachgeschäfte lösen, indem sie auch mildere Sorten anbieten.
Für Menschen mit niedrigem Einkommen wäre der Eigenanbau außerdem ein Weg, sich von den Preisen am legalen Markt unabhängig zu machen. Das könnte auch Cannabis-Patientinnen und -Patienten helfen, die zwar ein Rezept haben, aber noch auf die Kostenübernahme durch ihre Krankenkasse warten. Gerade für Menschen, die etwa wegen chronischer Schmerzerkrankungen arbeitsunfähig sind, ist es oft schwierig, selbst für medizinisches Cannabis zu bezahlen. Diese inoffizielle Selbsttherapie birgt dann aber das Problem, dass sie nicht ärztlich begleitet wird.
Was spricht also möglicherweise noch gegen den Eigenanbau? Man könnte einwenden, dass auch kleine selbst angebaute Mengen den Weg auf den Schwarzmarkt finden können. Für die organisierte Kriminalität, die Cannabis Kiloweise umsetzt, dürfte es jedoch ein wenig attraktives Geschäftsmodell sein, Ware aus Plantagen zu beziehen, die aus drei Pflanzen bestehen. Bleibt noch das Jugendschutz-Argument: Private Cannabis-Bauern könnten ihre Ernte an Minderjährige abgeben. Das stimmt, aber diese Gefahr der illegalen Weitergabe ließe sich auch dann nicht ganz ausschließen, wenn man Cannabis nicht selbst anbauen und nur in lizenzierten Geschäften kaufen dürfte. Wirklich hilft dagegen nur bessere Aufklärung über die Gefahren von Cannabis-Konsum für Minderjährige.
Offenbar liegt es also an der SPD, dass die Koalition noch keine gemeinsame Haltung zum Eigenanbau von Cannabis gefunden hat. Dies wäre aber ein wichtiger Schritt dahin, um viel grundsätzlichere Fragen zu beantworten. Zum Beispiel, wann Cannabis überhaupt legal werden soll. Bis dahin müssen Hobbygärtner ihre Hochbeete weiterhin mit Kopfsalat und Zucchini bepflanzen – und dabei eine Ecke frei halten.
Update, 4. Mai, 13:50 Uhr: In einer früheren Version dieses Artikels stand, Karl Lauterbach habe sich noch nicht zum Eigenanbau von Cannabis geäußert. Das ist falsch. Wir haben die entsprechende Stelle aktualisiert.
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