Andreas Thommen ist Geschäftsführer von Ecopop und war einer der lautesten Köpfe hinter der Ecopop-Initiative, die uns letzten Herbst in Panik versetzt hat. Ausserdem ist Andreas Thommen ehemaliger Co-Präsident der Grünen Aargau und auch weiterhin Mitglied der Grünen. Die schmeissen ihn aber raus, wenn er jetzt für die Ecopop antritt. Und genau das steht zur Diskussion: Der Verein hat nämlich letzten Samstag angekündigt, dass Ecopop mit einer eigenen Liste für den Nationalrat kandidiert.
Wir treffen Ecopop-Geschäftsführer Andreas Thommen beim Treffpunkt am HB Zürich. Einerseits als kleine Dichtestress-Pointe, andererseits einfach aus Bequemlichkeit. Direkt ins Gespräch einsteigen können wir allerdings nicht, denn Andreas Thommen ist am Handy. Offenbar hat er zwei befreundeten Roma den Auftrag gegeben, sein Haus zu streichen und muss das jetzt koordinieren.
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Als das geklärt ist, ist Andreas Thommen bereit für unser Gespräch und eine heisse Schoggi in der Bahnhofshalle:
VICE: Die grösste Pendlerwelle ist jetzt durch …
Andreas Thommen: Es schwappt aber immer noch recht da draussen.
Sind Sie daran gewöhnt?
Ich bin früher auch mal gependelt. Von Effingen nach Wädenswil. Ab Baden war der Zug immer voll und in Zürich war fünf Minuten Ruhe, aber dann sind Pensionierte mit Langlaufskiern eingestiegen, die einem schier die Skier um die Ohren geschlagen haben.
Ecopop hat am Samstag entschieden mit einer eigenen Liste zu den Wahlen anzutreten. Jetzt fragen wir uns, ob Sie selbst antreten.
Das überlegen wir uns noch. Ich bin halt noch bei der Grünen Partei und sonst müsste ich dann aus der Partei austreten.
Aus welchen politischen Lagern erhoffen Sie sich Stimmen?
Wir zielen vor allem auf Parteilose. Leute, die sich alle vier Jahre neu entscheiden müssen. Ich hatte dieses Problem nie. Ich wusste immer: Ich muss die Grünen-Liste einwerfen. Und jetzt im Aargau bröckeln wahrscheinlich die Grünen, die Geri Müller ersetzen müssen. BDP, CVP und FDP sind unter Druck, die SVP wird wohl auch alle nicht weiter wachsen. Vielleicht kommen so schweizweit zwei, drei Sitze für Ecopop zusammen.
Sie haben die Grünen zuerst genannt. Tut es Ihnen denn weh, gegen die eigene Partei anzutreten?
Ich bin natürlich von den Grünen enttäuscht. Sie könnten mich ja aufstellen. Das wäre für die Grünen Aargau noch schlau gewesen. Sie bringen jetzt eine Linke und da hätte ich, der nicht als links gilt, das gut ergänzt. Ich komme ja eher aus dem liberalen Lager. In vielen Dingen bin ich mit den Grünen einverstanden. Das Problem der Grünen ist das sie zu fundamentalistisch argumentieren und utopische Initiativen bringen. Grüne Kreislaufwirtschaft—ein schönes Ziel, aber absolut utopisch.
In Ihrem Parteiprogramm nehmen Sie vor allem Stellung zur Entwicklungshilfe. Was will eine Ecopop-Liste sonst noch angehen?
Raumplanung ist sicher ein Thema für uns. Wir würden uns gerne dem Komitee „Stopp Zersiedlung” anschliessen. „Stopp Zersiedlung statt Ecopop” heisst es.
Ihnen wäre es egal, wenn das Komitee seinen Namen behalten würde?
„Stopp Zersiedlung”?
„… Statt Ecopop”.
Das steht jetzt einfach auf der Homepage, das können sie dann ja runternehmen, wenn wir dabei sind. Ein guter Vorschlag: Das Kulturland schützt man gleich wie den Wald. Aber ja, das ist natürlich eine Illusion. Es wird halt weiter gebaut. Wir haben das ja mal ausgerechnet: Wenn die Schweiz um zwei Millionen Einwohner wachsen würde und drei Viertel davon in die bestehenden Städte ziehen würden, dann heisst das, dass sich die Bevölkerung von Zürich verdoppeln muss. Das ist nur die Stadt Zürich das ist nicht Agglomeration.
Kennen Sie den Bevölkerungsdichte-Rechner der TagesWoche? Demnach hätte die Bevölkerung der ganzen Schweiz im Tessin Platz, wenn überall so dicht gebaut würde, wie in der Stadt Zürich.
Man kann auch die ganze Weltbevölkerung in Einfamilienhäuser nach Texas packen. Das habe ich auch mal wo gelesen. Aber das ist absolut absurd.
„Wenn die ganze Schweiz so dicht besiedelt wäre wie Effingen, dann könnten in der Schweiz 1.5 Millionen Menschen leben.”
Ich würde es jedem gönnen, wenn er so viel Platz hätte wie ich. Ich habe keinen Stress mit Gemenge und Dichte und so. Ich besuche jedes Jahr auch noch an das eine oder andere Openair-Festival. Aber eigentlich geht es um den Ressourcenverbrauch der Leute. Ressourcenverbrauch … Wenn 78 Millionen in der Schweiz leben, sorry, was soll das? Wo kommt dann das Essen her?
Also, interessiert sich eigentlich niemand für den Dichtestress?
Es geht um alles. Es geht um den Ressourcenverbrauch. Was heisst Dichtestress? Das Wort haben wir gar nie gebracht. Das ist erfunden worden, aber es stammt nicht von uns. Das ist doch der Natur egal, ob die Menschen Dichtestress haben. Das ist doch gut. Wenn die Leute im Tram stehen müssen, ist das gut für die Natur. Dann ist das Tram gut ausgelastet. Mir ist das egal, ich muss hier nicht auf’s Tram. Aber was ist der Vorteil von grossen Städten?
Verdichtetes Bauen ist zum Beispiel energieeffizient.
Nur bis zum fünften Stock! Aber das ist ein Detail für mich, mich interessiert, wo die Ressourcen herkommen. Selbst in der Schweiz! Wir haben zu wenig Wasser. Und da frage ich mich schon, weshalb man jetzt hier Leute ansiedelt. In der Schweiz gab es niemals vergleichbare Geburtenraten. Wir hatten nie Geburtenraten wie im Niger oder in Afghanistan mit fast zehn Kinder im Durchschnitt pro Frau. (Anmerkung der Redaktion: Im Niger beträgt die Geburtenrate aktuell 7.57 Kinder pro Frau; in Afghanistan 5.14) Aber die können auch nicht viel dafür, das hat sich jetzt halt historisch so entwickelt. Ist ja schön, dass die Kindersterblichkeit runtergegangen ist …
Wie wollen Sie denn mit Schweizer Politik die Weltbevölkerung verändern? Ich glaube, das war auch mein logisches Grundproblem mit der Ecopop-Initiative: Die Schweiz kann nicht die Weltbevölkerung regulieren.
Das ist aber schlecht, wenn Sie die Weltbevölkerung für unregulierbar halten. Wir wollen das Menschenrecht auf freiwillige Familienplanung durchsetzen. Nur schon Teenagerschwangerschaften gibt es jährlich 20 Millionen auf der Welt. Die braucht es doch wirklich nicht.
Die Schweizer Bevölkerung sinkt ja sogar.
Noch nicht, weil die Leute immer älter werden. Aber ja, die Geburtenrate ist zwischen 1,3 und 1,5. Aber in vielen Ländern ist das noch anders, die Bevölkerung sehr jung. Der grüne Nationalrat Glättli hat das auch behauptet „Die Bevölkerungsexplosion ist abgesagt.” Das ist das gleiche, was Sie jetzt erzählen. Aber das ist hoch spekulativ, Wunschdenken der UNO.
Ihr Antrieb ist auch spekulativ. Ihr Antrieb ist die Angst davor, dass die Geburtenraten oben bleiben.
Als ich vor 29 Jahren im Niger war, hatte der Niger 3.5 Millionen Einwohner. Heute hat er 17.5 Millionen Einwohner. Die UNO-Prognosen für 2100 sprechen von 137 Millionen Einwohner. Mag schon sein, dass Jean Ziegler recht hat und es genug Nahrung für diese Leute gibt. Aber was ist mit dem Wasser? Sie können natürlich auch alle hierhin kommen. Wir können ja auch alle in die Schweiz lassen. Dann gibt es genug Wasser, aber das Essen müsste dann halt aus Brasilien geliefert werden. Wir denken, die Schweiz ist überbevölkert. Wir leiden nicht Hunger, aber irgendwann müssen wir das Wasser und die Energie von irgendwo nehmen—wir können uns das leisten! Wir können uns auch 20 Millionen leisten.
Sie glauben die Schweiz würde 20 Millionen Einwohner vertragen?
Wir können aus der Schweiz schon Singapur machen, Singapur läuft gut. Aber dann brauchen wir viel mehr Ressourcen als wir selber zur Verfügung haben. Immer mehr Wirtschaftswachstum, wozu? Was bringt es, wenn hier immer mehr Menschen leben? Es gibt Politiker die sagen: Wir können nichts tun, Migration ist eine Naturgewalt. Sie sagen, es sei Glück in der Schweiz geboren zu sein, aber daraus lasse sich kein Vorrecht ableiten. Meine Meinung dazu: Wir haben hier eine Gemeinschaft gebildet und als solche entscheiden wir, wen wir noch aufnehmen und wen nicht.
Ich habe nie entschieden, dass ich mich in einer Gesellschaft organisiere.
Sie haben die Strukturen dieser Gesellschaft auch nicht gemacht.
Ich probier hier etwas im Rahmen unserer Demokratie. Ich will mich hier einbringen. Ich bin der Meinung, dass man als Schweizer sehr wohl sagen darf: Wir wollen nicht mehr wachsen. Und weil wir nicht mehr wachsen wollen, dürfen nicht mehr so viele Leute kommen.
Und was ist mit Flüchtlingen? Man kann ja keine Menschen im Mittelmeer ersaufen lassen.
Das ist ein anderes Problem. Das ist das Flüchtlingsproblem. Und ich behaupte jetzt einfach, da sind wir alle überfordert, mit dem Flüchtlingsproblem. Wir können nicht all denen helfen, die in die Schweiz kommen wollen. Wir müssen diesen Leuten vor Ort helfen. Wenn sie auf der Flucht sind, dann sollten sie am besten in ein Nachbarland flüchten, denn da geht es ihnen auch am besten.
Was ist die höchste Einwohnerzahl in der Schweiz, die nachhaltig wäre?
Ich würde sagen, etwa 6 Millionen.
Was ist Ihre Wunscheinwohnerzahl für die Schweiz?
6 Millionen.
Update: Auf Wunsch von Herr Thommen wurden die Direktzitate aus dem Einleitungstext gestrichen.
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