Gut Brot will Weile haben

Ein gutes Steak sollte „medium rare” sein. Geht es nach Zachary Groper, ist „gut durch” die bessere Wahl.

Beim Brot versteht sich.

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Zachary Golper leitet in Brookly das Bien Cuit [frz. „durchgegart”], ein Schlaraffenland für Freunde des langsam gegärten Brotes. Das Besondere: Das Brot wird bei ungewöhnlich niedrigen Temperaturen ziemlich lange gebacken. Und das Ergebnis: Eine dunkle, mahagonifarbene Kruste mit einem unglaublich intensivem Geschmack. Das stellt jedes normale Baguette in den Schatten.

Zachary Golper by Thomas Schauer

Zachary Golper. Foto von Thomas Schauer

Im letzten Herbst haben Zachary Golper und Peter Kaminsky Bien Cuit: The Art of Bread veröffentlicht. In dem Buch erzählt Zachary, wie er die „dunkle Seite des Brots” für sich entdeckt hat, und zeigt uns Rezepte, die auch jeder Normalsterbliche ohne Großofen in der Wohnung hinbekommt.

Um mehr darüber zu erfahren, habe ich mich mit Zachary über die wissenschaftliche Seite des Backens, MilleniumPanikschieberund das Leben als Bäcker in Las Vegas unterhalten.

MUNCHIES: Hi Zachary! Du hast mal erzählt, dass, bevor du Bäcker wurdest, deine meisten Freunde total besessen waren von einem möglichen Weltuntergang und dem Millenium-Bug. Zachary Golper: Ja, bei solchen Themen wollte ich mich einfach nur klammheimlich verdrücken. Vielleicht hing ich wegen meines niedrigen Einkommens mit so komischen Typen rum. Die waren alle überzeugt, dass die Welt untergehen würde. Manche haben ihre komplette Einstellung geändert, das war teilweise schon erschreckend. Sie haben Menschen auf einmal ganz anders behandelt.

Das war alles überhaupt nicht mein Ding. Diese Einstellung konnte ich nicht gebrauchen. Nur weil die Welt sich irgendwie verändern könnte und Geld möglicherweise keine Rolle mehr spielt, sind einige richtig ekelerregend geworden. Damals hab ich mir selbst gesagt: „Das ist nicht meins. Die Welt wird sich höchstwahrscheinlich nicht verändern und ich muss auf jeden Fall von diesen Verrückten weg.”

Und so bist du auf einer Farm in Oregon gelandet? Ja, weil mich das Thema Ernährungssicherheit extrem interessiert hat. Außerdem waren die Leute dort echt gechillt und wollten niemandem etwas Böses tun. Ich hatte eine echt tolle Zeit, ich habe nichts gemacht, nur gekocht, bin Fahrrad gefahren und habe Musik gehört. Ich konnte mich einfach ausprobieren und irgendwie herausfinden, was ich mit meiner Zeit auf diesem Planeten anfangen will. So konnte ich mich endlich auf mich selbst konzentrieren und die Natur besser verstehen, die Jahreszeiten, Pflanzen und Bäume. Und vor allem lernen, wie der Bio-Anbau funktioniert.

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Pane Pugliese von Bien Cuit. Foto von Thomas Schauer.

Damals hast du auch deinen ersten „Brot-Mentor” getroffen? Ja, jeden Morgen um 2 Uhr zog dieser unglaubliche Geruch in mein Zimmer. Warst du schon mal in einer Bäckerei, wo gerade Brot gemacht wird? Der Geruch hier war noch tausend Mal besser. Der Ofen stand draußen, also hat sich alles mit dem Duft nach Wald vermischt, sodass ein einzigartiges Aroma entstand.

Ich hatte keine Chance. Ich bin davon aufgewacht und war mir schnell sicher, dass ich unbedingt wissen musste, wie man das Zeug macht. Als ich ihn fragte, ob ich beim Backen zugucken darf, war er nicht sonderlich erfreut. Er hat mich einfach nur angesehen und gemeint: „Nein.” Mehr nicht.

Er war ein absoluter Technikfeind, so ein Mensch, der kein Geld hat und keine Schlüssel oder so. Als Bäcker war er begnadet und er konnte auch tischlern und machte Stühle und Schränke und so weiter.

Irgendwann fragte ich ihn dann, ob ich ihm helfen darf und er zeigte mir, wie man auf die alte Art Brot bäckt. Ich versuchte einfach, genau das zu machen, was er machte—ich hatte ja keine Ahnung, wann ein Brot durch ist oder so, denn ich fing ja gerade erst an, backen zu lernen. Er machte das Brot noch nach traditioneller Methode, wie man noch vor tausend Jahren Brot gebacken hat, so überhaupt nicht fortschrittlich. Wir haben nur auf Stein gemahlenes Mehl verwendet, das Getreide dafür bauten wir selbst an.Sein Brot war auf Sauerteigbasis, damit es auch schön aufging. Dann hat er nur noch Salz und Wasser hinzugefügt. Weil es so kalt war, mussten wir das Brot sehr langsam gehen lassen, so wie das oft auch in Nord- und Westeuropa gemacht wird. Dadurch konnte ich perfekt lernen, wie man Brot langsam gärt. Damals wusste ich noch nicht, wie wertvoll dieses Wissen sein würde.

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Verschiedene Brotmehlsorten. Foto von Thomas Schauer.

Das war also der Grundstein für deine Brotkunst. Und was kam danach? Ich habe mich ganz auf Brot und Kuchen konzentriert und nichts anderes gemacht. Manchmal habe ich 19 Stunden am Stück gearbeitet, nur um meine Fähigkeiten weiter zu verbessern und um bei den Besten des Handwerks lernen zu können. Später bekam ich ein Angebot für die Bäckerei eines Casinos in Las Vegas zu arbeiten—zusammen mit Jean-Claude Canestrier, ein Meilleur Ouvrier de France undein Konditor-Weltmeister.

Bei ihm konnte ich unglaublich viel über das Backen lernen. Aber mehr noch: Das Hotel stellte viel Geld für die Bäckerei zur Verfügung, sodass ich unendlich viel Mehl und Zutaten kaufen konnte. In den Lebensmittelkammern konnte man die Temperatur und die Luftfeuchte regulieren. Ich hatte eine Umkehrosmoseanlage, um das Wasser zu filtern und zu neutralisieren, und ich konnte das Wasser entsäuern, also den pH-Wert beliebig verändern. Wenn ich ein typisch äthiopisches Brot, injera, backen wollte, nahm ich einfach etwas Teffmehl und passte den pH-Wert des Wassers entsprechend an. So lernte ich die unterschiedlichen Aromen verschiedener Brotsorten kennen.

REZEPT: Pane Pugliese

Wenn man mit regionalen Zutaten, also Hefen und Bakterien, arbeitet, muss man immer daran denken, dass die Umgebung perfekt auf sie abgestimmt ist, deshalb sind sie ja regional. Wir haben herausgefunden, dass wir mit Mehl aus der Region—also damals aus Kalifornien—und Wasser mit einem pH-Wert von 7,2 das beste Brot backen können. Und das Leitungswasser in Las Vegas hatte genau einen pH-Wert von 7,2.

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Bien Cuit’s Francese. Photo by Thomas Schauer.

Wann hast du angefangen, dein Brot bien cuit zu backen, also „gut durch”? Die dunklere Kruste habe ich für mich entdeckt, als ich mit Zucker experimentiert habe. Langsam habe ich verstanden, was beim Karamellisieren passiert und dass es bei der Millard-Reaktion eigentlich darum geht, dass Eiweiße in gewissem Sinne karamellisiert werden. Und Brot enthält viele Proteine. Wenn ich die Maillard-Reaktion also verstärken könnte, würde die Kruste meines Brotes viel intensiver schmecken.

Dann erinnerte ich mich auch an meine Zeit in Frankreich. Ich hatte damals kein Geld und lebte größtenteils von Brot und billigem Ziegenkäse. In der Bäckerei habe ich immer nach Brot gefragt, das plus obscur ist, also etwas dunkler. Dann habe ich gehört, wie andere Kunden genau dasselbe wollten, aber sie nannten das bien cuit, durchgebacken. Geschmack und Textur des Brotes waren einfach perfekt.

In Vegas habe ich das Brot besonders langsam gehen lassen und geguckt, wie weit ich damit gehen könnte. Wenn man das Brot bei niedrigen Temperaturen gären lässt und es dann bei geringer Temperatur als üblich länger bäckt, dann entstehen viel mehr Aromen, als bei den anderen Methoden, die ich bisher kannte. Irgendwann fügte sich dann alles zusammen, aber bis dahin habe ich extrem viel herumprobiert, gerade auch während meiner Zeit in Vegas. Ich finde die Stadt schrecklich, ich wüsste nicht, was man da Besseres machen könnte, als die ganze Zeit in einer Bäckerei zu verbringen, um herauszufinden, wie verschiedene Mehlsorten gären, bei welcher Temperatur der Geschmack am besten wird und ab wann der der Sauerteig wieder zusammenfällt. Und vor allem, wie der Vollsauerteig mit unterschiedlichen Getreidesorten schmeckt. Säuerlicher? Vielleicht ein bisschen nach Alkohol (was für einen anderen Teig ideal wäre)?

Wo hat dich Forscherdrang danach hingeführt? Ich bekam einen Job in Philadelphia im Le Bec-Fin, einem der besten Restaurants der USA. Aber als ich ankam, musste ich feststellen, dass das Wasser und die Arbeitsbedingungen dort schrecklich waren. Es gab kein regionales Mehl und mein Budget war mickrig. Trotzdem konnte ich auch hier mein Handwerk weiter perfektionieren, eben weil ich vor so vielen Herausforderungen stand. Ich musste einfach herausfinden, wie ich trotzdem gutes Brot backen konnte, immerhin habe ich damals für Georges Perrier gearbeitet, da musste es also perfekt werden. Ich erinnere mich zwar nicht so gern an diese Zeit zurück, aber ich habe damals viel gelernt, weil ich Brot unter widrigen Umständen backen musste.

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Und dann hast du dich entschieden, deine eigene Bäckerei zu eröffnen? Ich hatte schon so viel gemacht. Als ich dann das Bien Cuit eröffnet habe, wusste ich, was ich wollte, welchen Geschmack ich kreieren wollte, welches Mehl ich verwenden wollte. Obwohl es am Anfang echt schwer war, hatte ich das nötige Wissen in der Tasche, der Teil war also einfach. Ich wusste, wie ich backen muss und dass einige Methoden bei einer großen Stückzahl einfach nicht funktionieren würden. Wir wollten etwas Neues machen und uns auch als kleine Bäckerei mit umfassendem Angebot etablieren.

Wie haben die sonst eher pingeligen Leute aus Brooklyn auf euer durchgebackenes Brot reagiert? In den kleinen Bäckereien hier verkauft man ja immer noch eher helleres Brot, nicht mit einer so dunklen Kruste wie eures… Sie waren definitiv überrascht. Viele meinten: „Wow, das Brot ist echt dunkel.” Unsere Mitarbeiter erklären ihnen dann aber, was bien cuit heißt und beruhigen die Kunden ein bisschen, nach dem Motto: „Alles ist in Ordnung. Das Brot wird dir sicher gutschmecken.”

Der Erfolg ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Einige unserer Stammkunden haben ordentlich Mundpropaganda gemacht und so hat sich unsere Kundschaft bis Weihnachten ziemlich vergrößert.

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Zachary Golper und Peter Kaminsky.

Du meintest, du wusstest genau, was du machen wolltest—hast du also nach der Eröffnung mit dem Experimentieren aufgehört? Nein, überhaupt nicht. Je mehr man mit nachhaltigen Landwirten zu tun hat, desto mehr interessiere ich mich für die eher unbekannteren Getreidesorten. Viele Bäcker scheuen davor zurück, weil manche Sorten nicht so viel Eiweiß enthalten. Beim Backen geht es aber vor allem um die Mehlmischung. Mir hat es Spaß gemacht, verschiedene Kombinationen auszuprobieren und dann ging ich zum Bauern zurück und meinte: „Dein Getreide ist spitze. Wenn du das an Bäcker verkaufen möchtest, sind hier ein paar Rezepte, für die man es ideal verwenden kann.”

Danke dir für das Gespräch, Zachary.