Kann dich Schlafentzug high machen?
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Kann dich Schlafentzug high machen?

"Ein Mensch, der 24 Stunden wach ist, ist gleichzuziehen mit einer Person die einen Blutalkoholwert von 1,0 Promille hat."

Gibt es eigentlich einen größeren Spielverderber als die Müdigkeit? Wie oft kommt es vor, dass du dir ganz motiviert am Vormittag etwas mit Freunden ausmachst und diese Entscheidung ein paar Stunden später schon bereust, weil du dich nach deiner gemütlichen Couch und Fernsehschlafen sehnst. Kaum sagst du mit hoffentlich schlechtem Gewissen deine Termine ab, malst du dir auch schon deinen gemütlichen und mit früh Schlafen gehen resultierenden Abend aus. Nur um Stunden später mit folgender Realität zurück zu bleiben: Du bleibst schon wieder zu lange wach. Ganz gleich, ob Koffein im Spiel war oder nicht, wenn der Mensch funktionieren muss (oder lieber will, wegen Dingen wie: Serien, Internet oder Büchern), funktioniert er – auch übermüdet. Wenn man also trotz gefühlter Müdigkeit zuhause bleibt, um dann doch wieder ewig munter bleiben zu können, muss ich mich fragen, ob das Müdigkeitsgefühl nicht einfach nur relativ ist.

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Letztens auf einer Afterhour hörte ich einen Typen sagen: "Schlafentzug ist auch so eine arge Droge, du bist so freaky wirr im Kopf!", das erinnerte mich an ein Erlebnis, das ich im Alter von 15 Jahren hatte. Ich hab zu dieser Zeit die Modeschule besucht und wieder einmal durchgemacht (Ich war schon immer eine Nachteule). Wir hatten einen Werkstätten-Tag, was bedeutete, zehn Stunden vor der Nähmaschine zu sitzen. Es passierte ungefähr in der zweiten Hälfte des Tages und ich war gerade dabei, eine Naht aufzutrennen – ich bin händisch leider sehr schlampig – da hatte ich irgendwie diesen Sekundenschlaf, der von einem Trip ähnlichen Traum begleitet wurde.

Auf einmal fand ich mich vor einem Japanischen Tempel wieder und so ein kleiner sympathischer Buddha kam auf mich zu, um mir zu sagen, dass die wahren Ziele nicht immer die erkennbaren Ziele sind. Danach war ich wieder bei klarem Verstand oder bin zumindest wieder aufgewacht. Mal eine Nacht nicht pennen zu gehen, kann mitunter schon mal ganz lustig sein.

"Ein Mensch, der 24 Stunden wach ist, ist gleichzuziehen mit einer Person die einen Blutalkoholwert von 1,0 Promille hat", sagt mir Dr. Alfred Hubert Wiater, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Wenn ich an meine durchzechten Nächte denke und an die Leute, die ich beim Fortgehen studiert habe, stelle auch ich mir folgende Frage: Kann nicht schlafen die Wirkung der Drogen beeinflussen? Oder tatsächlich high machen?

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Auf einer Afterhour im Belami habe ich Verena kennengelernt. Verena nahm und nimmt keine Drogen und feiert trotzdem tagelang durch. Zwei bis drei Nächte ohne Schlaf sind bei ihr seit letzten Juni die Regel: "Ich stell mir manchmal die Frage, ob gewisse Drogen überhaupt für Symptome wie wenig Hunger, keine Müdigkeit und Abnehmen verantwortlich sind oder ob es nicht einfach nur der Schlafentzug ist, da ich oft ähnliche Symptome wie kein Hungergefühl, keine Müdigkeit, intensivere Gefühle von Freude, Liebe und so weiter habe", sagt Verena. "Ich hab eigentlich auch selten das Gefühl, dass ich müde bin. Ich glaube, die Musik und die Menschen, die nicht schlafen gehen, lassen mich wach bleiben."

Damit sie dieses Programm durchziehen kann, erlaubt sie sich zwischendurch immer 30 Minuten lange Powernaps. 4 Tage (fast durchgehend) wach zu bleiben, ist momentan auf diesem Wege ihr Höchstrekord. Nach so einem Wochenende geht sie sonntags meistens dann schon um 19:00 Uhr schlafen und am Montag nach der Arbeit gleich wieder. "Am Mittwoch bin ich dann meistens erst wieder richtig gut ausgeschlafen", sagt sie.

Verena, 32 Jahre

Wenn du unter Drogeneinfluss dem Gefühl der Müdigkeit entkommst, hat es wahrscheinlich erst recht den Anschein, dass sie relativ ist – vor allem wenn Amphetamine wie Speed im Spiel sind. CheckIt beschreibt die Wirkung von Speed so: "Objektiv gesehen, verbessert sich die Konzentrationsfähigkeit kaum und die erhöhte körperliche Leistungsfähigkeit – während die Warnsignale des Körpers kaum mehr bemerkt werden – mündet in großer Erschöpfung." Obwohl der Droge oft "gesteigerte Wachheit, Unbeschwertheit, ein Gefühl erhöhter Leistungsfähigkeit und Konzentration" zugeschrieben wird.

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Trotzdem hat "nicht schlafen" natürlich seine Auswirkungen. Man ist gereizter, die eigenen Emotionen können mitunter manipuliert werden, das Immunsystem wird geschwächt und die Konzentration lässt nach. Letzteres ist für Verena allerdings wieder angenehm: "Ich fühle mich eher freier, weil ich weniger nachdenke. Ich habe das Gefühl als würden sich Blockaden lösen. Ich denke, das ist, weil die Kraft fürs Denken fehlt. Gleichzeitig empfinde ich Musik und Gefühle intensiver und bin irgendwie generell sensibler."

Dr. Wiater informiert mich aber auch über die Risiken, die so ein Lebensstil mit sich bringt: "Bei länger anhaltendem Schlafmangel leidet unter anderem das Immunsystem, das Adipositasrisiko steigt, ebenso sind Herz-Kreislaufstörungen zu erwarten. Kopfschmerzen können auftreten, auch Muskelschmerzen. Schließlich entstehen Halluzinationen und weitere psychotische Symptome. Das hängt davon ab, ob er den Schlafmangel zum Beispiel durch längeres Schlafen an den folgenden Tagen zum Teil kompensieren kann. Andernfalls ergeben sich Einschränkungen der körperlichen und psycho-mentalen Leistungsfähigkeit."

Halluzinationen hat Verena meistens nicht. Einmal dachte sie, dass sich ein Glas an einer Theke von alleine bewegen würde oder dass sie Musik hört, obwohl keine gespielt wird. Gerade diese Körperzustände machen es für Verena aber so spannend. Sobald sie aber gesundheitlich darunter leidet, würde sie diesen Lebensstil einstellen.

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Wenn du schon länger freiwillig nicht schlafen gehst, solltest also zumindest vor und nach dem Munterbleib-Marathon genug schlafen: "Insbesondere nach dem Wachbleiben", so der Schlaf-Experte Dr. Wiater. Nicht schlafen zu gehen, schwächt deinen Körper und macht dich dadurch den Drogen gegenüber gefügiger, weshalb du sie dann stärker spüren kannst. "Die Wirkung der Drogen wird nach Schlafentzug nur unberechenbarer und das Risiko für Nebenwirkungen, sowohl im psychischen als auch im körperlichen Bereich steigt bedrohlich."

Ich hab mal einen sagen gehört, dass er LSD am liebsten nimmt, wenn er schon eine Nacht durchgemacht hat, weil sein Körper der Substanz dann so hilflos ausgeliefert ist. Dieses "freaky-wirre" Gefühl, das du durch Schlafentzug hast, ist lediglich dein Gehirn, das einfach etwas erschöpft ist. Du bist auch mitunter nicht mehr ganz zurechnungsfähig. Eine Studie in Amerika hat ergeben, dass Ärzte nach 24 Stunden ohne Schlaf, viel riskantere Entscheidungen treffen. Ein müdes Gehirn ist wohl zu müde um über Konsequenzen nachzudenken – was für viele eine Menge Spaß bedeuten kann.

Dass Drogen eine stärkere Wirkung haben, wenn du nicht mehr ganz Herr deiner Sinne bist, macht also Sinn. Dass du dir selber einen lustigen Zustand ganz ohne Drogen herbeirufen kannst, ist einfach aber leider auch nicht ganz ungefährlich.

Und während die anderen nicht zu Bett gehen, weil sie vielleicht wegen dem Konsum diverser Substanzen nicht können oder mithilfe von ihnen es einfach nicht wollen, bleibt Verena dennoch gerne freiwillig und ohne Drogen munter: "Da ich gerne auf Techno- und Goapartys unterwegs bin, ergibt sich das von alleine. Entweder die Musik ist so gut und ich will nicht heim und/oder meine Freunde gehen auf eine Afterhour oder Afterafterhour und ich werde motiviert ebenfalls mitzugehen. Da ich generell auf Dinge stehe, die nie Enden, bin ich dafür natürlich anfällig."

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In diesem Sinne:

*Unbedarfter Drogenkonsum kann schwere körperliche und psychische Schäden verursachen. Noisey will dich nicht zum Konsum animieren, wohl aber dazu, dass du dich, solltest du Drogen nehmen, möglichst gut darüber informierst. Hier findest du aktuelle und generelle Informationen von checkit!

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