Wer hat Angst vor dem netten Provinzclub mit den reichen Freunden?

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tod der tradition?

Wer hat Angst vor dem netten Provinzclub mit den reichen Freunden?

Gehört ein Verein in die 1. Liga, der gerade mal elf Jahre alt ist? Die Liga wird sich nächste Saison auf den FC Ingolstadt einschießen, doch ein Vergleich mit RB Leipzig wird ihm nicht gerecht.

„So macht das doch keinen Spaß mehr", entgegnet mir Phil. Es ist heiß auf der Piazza vor dem Audi Sportpark. Noch ist wenig los. Die ersten Fans sind mit dem Rad oder Auto in den Ingolstädter Süden an den Rand einer Industriezone gefahren. Die Eingangstore des kleinen schmucken Stadions sind noch nicht geöffnet. Phil sitzt auf einer Bierbank neben dem Fanzelt, zieht an seiner Zigarette und trinkt Cola. „In Zukunft müssen wir schon Karten im Vorverkauf besorgen und können sie nicht mehr eine Stunde vor Spielbeginn kaufen." Eine ungewohnte Diskussion 90 Minuten vor Anpfiff und einem wahrscheinlichen Aufstieg in die erste Bundesliga. Doch vieles ist momentan ungewohnt rund um den FC Ingolstadt. Der junge Verein spielt guten Fußball, ist Tabellenführer der zweiten Liga und ganz Deutschland weiß nicht so genau, was es von dem Aufstieg der Schanzer in die erste Bundesliga halten soll.

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Der FC Ingolstadt 04 ist gerade mal elf Jahre alt. Fußballtradition ist in Ingolstadt dennoch zu finden und das versuchen Fans und Verantwortliche dem neutralen Beobachter immer wieder vor Augen zu führen. Der Verein ging 2004 aus den Fußballabteilungen des MTV und des ESV Ingolstadt hervor. Beide Rivalen spielten vor Jahrzehnten jeweils zwei Jahre in der zweiten Bundesliga, doch für mehr reichte es nie. Der neue Fusionsclub legte ein schnelleres Tempo vor und spielte sich in kurzer Zeit ebenfalls bis ins deutsche Unterhaus. Aus der Bayernliga stieg der Verein 2006 in die damals drittklassige Regionalliga Süd auf, 2008 folgte der Aufstieg in die zweite Bundesliga. Auf den direkten Wiederabstieg folgte der direkte Wiederaufstieg. In den letzten Jahren fristete der FC Ingolstadt das Dasein eines grauen Mäuschens—stets mit Kontakt zu den Abstiegsrängen. Bestes Ergebnis der jungen Clubgeschichte war der 10. Rang in der letzten Saison. Viele Ingolstädter waren bis dahin noch wenig angetan vom eigenen Profifußballclub in ihrer beschaulichen Stadt an der Donau mit 130.000 Einwohnern.

Beim FC Ingolstadt konnten Fans die Tickets immer bis kurz vor Spielbeginn kaufen. Bei Regen kamen dann auch mal ein paar Hundert Zuschauer weniger ins Stadion. „Für nicht mal 15 Euro hast du bis zur letzten Saison bei McDonalds ein Menü und eine Sitzplatzkarte mit freier Platzwahl bekommen", erzählt mir Phil. Er war schon beim Aufstieg in die zweite Liga am 17.05.2010 im alten ESV-Stadion dabei. Damals beschwerten sich irgendwann die Anwohner über zu viel Party-Lärm. Heute, auf den Tag genau fünf Jahre später, wird der Verein in die erste Bundesliga aufsteigen—ohne genervte Anwohner, vor ausverkauftem Haus im Audi Sportpark.

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Der Presseraum ist vor dem Spiel so gut gefüllt wie nie. Topspiel des Spieltags. Sky führt über Ingolstadt durch die anderen Stadien der Konferenz. Kaum zu glauben. Vor einem halben Jahr kamen nur eine Hand voll Lokaljournalisten und die Leute von den TV-Stationen, die da sein mussten. Heute beim Spiel gegen RB Leipzig halten die Fotografen und TV-Teams ihre Kameras teilweise nur auf die Tribünen um die Reaktionen der Fans einzufangen. Auch das war vor nicht allzu langer Zeit anders. Das Ingolstädter Stadion ist erst das dritte Mal in der Vereinsgeschichte mit 15.000 Fans ausverkauft. In der letzten Saison stand der FCI auf dem Relegationsplatz der Zuschauertabelle—gerade mal 6785 Zuschauer kamen im Schnitt. In diesem Jahr landet der Tabellenführer auf einem Nichtabstiegsplatz und ist 14. mit durchschnittlich 9891 Zuschauern. „Das hört sich nach wenig an, doch das ist eine Menge", entgegnet mir Phil. Ich weiß, dass er recht hat. Vor etwas mehr als einem Jahr war ich auch hier im Stadion. Unter der Woche um 17.30 Uhr spielte der FCI gegen den VfL Bochum vor 3700 Zuschauern. Klar, diese unsinnigen Uhrzeiten an einem Wochentag sind ein Zuschauerkiller für die ganze Liga. Aber das sind eben die Zahlen, die Traditionalisten und Fußballromantikern Angst und Bange machen.

Die Aufstiegseuphorie ist beim Spiel gegen RB Leipzig im ganzen Stadion zu spüren. Die Ruhe vor dem Sturm. Julia bewertet die Diskussion mit dem späten Zuschauerandrang in dieser Saison eher nüchtern: „Es ist wie überall—spielst du attraktiv und erfolgreich, dann ist das Stadion voll!" Sie kennt den Verein und seine Fanszene seit Jahren und hat seit 2008 eine Dauerkarte. Der Verein wirbt vor allem um die Gunst der jungen Zuschauer, denn jenseits der Volljährigkeit haben die Menschen der Region meist schon ihr Herz an einen anderen Verein verloren. Ingolstadt liegt mitten in Bayern. In weniger als einer Stunde ist man mit dem Auto bei Heimspielen vom FC Bayern oder 1860 München. Richtung Norden ist man fast genau so schnell beim FC Nürnberg und Greuther Fürth. Zudem kann sich der anspruchsvolle Fußballfan ab nächster Saison auch Europa League-Spiele der Augsburger anschauen. In Bayern gibt es viele Konkurrenzvereine, die schon lange da sind und mit denen die Menschen Emotionen verbinden. Als es für Abstiegskandidat 1860 München am Wochenende um alles oder nichts ging, mobilisierte der Verein mal eben knapp 58.000 Heimfans, aus Nürnberg kamen noch 10.000 Asuwärtsfans. Für die Schanzer Zahlen wie aus einer anderen Galaxie.

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Doch spätestens seit dieser Saison mischt auch der FC Ingolstadt mit. 1860, Nürnberg und Fürth haben die Oberbayern in der Tabelle schon hinter sich gelassen. Als Vorbild wird gerne der sympathische, aufstrebende FC Augsburg angeführt. Doch werden die Schanzer häufiger mit allgemein ungeliebten Plastikvereinen wie dem VfL Wolfsburg und auch RB Leipzig in einen Topf geworfen.

4. Spielminute. Tor für Leipzig. Querpass auf Kaiser, der den Ball über die Linie schiebt. Die Ingolstädter Fans reagieren souverän wie ein Tabellenführer und der Support geht einfach weiter. „FC" hallt es von der Südkurve. Die Gegengerade reagiert mit einem lauten „04". Viele in der Kurve strahlen. Ein Stück eingespielte Fankultur. „Es ist so unglaublich, was sich hier entwickelt hat", schwärmt Phil. Wir haben die Gegengerade sonst nicht mal richtig zum Aufstehen motivieren können." Er kennt die drei Jahre alten Videos auf Youtube mit tausenden Klicks, wo sich die Fanszenen der alteingesessenen Traditionsclubs über die wenigen Auswärtsfans der Schanzer lustig machen.

Ein Dutzend Allesfahrer völlig verloren im riesigen Auswärtsblock bei Fortuna Düsseldorf, eine kleine Choreo von ein paar Hundert Supportern in halbleeren Blocks in Kaiserslautern und Berlin. „Der Verein ist noch jung, das muss sich alles entwickeln", erklärt Phil. Mit dem Aufstieg in die erste Liga entwickelt sich der Verein sportlich scheinbar schneller als sein Umfeld.

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„Wir wollen keine Bullen-Schweine", tönt es aus der Südkurve, wo die Ingolstädter Fans stehen. Einige der Ultras tragen Shirts mit der Aufschrift „Gegen Red Bull". Wie eigentlich alle Fanszenen in der ersten und zweiten Bundesliga wird auch in Ingolstadt gegen das Konstrukt RB Leipzig protestiert. Für Ultras und Fußballfans aus ganz Deutschland ist aber auch der FC Ingolstadt Teil dieser Entwicklung im Profifußball. Die gängige Meinung: Der FC Audi spielt gegen Red Bull Leipzig. Kommerz gegen Kommerz. Auf der einen Seite der riesige Autobauer, der fast jedem vierten Ingolstädter einen Job gibt und den eigenen Standort mit einer schlagkräftigen Mannschaft attraktiver machen will. Auf der anderen Seite das Dosen-Imperium, das nach jungen Trendsportarten, Formel 1-Team und international erfolglosem Heimatclub aus Österreich endlich auch den Fußball mit einem aggressiven und risikoreichen Konzept am Standort Leipzig erobern will.

46. Spielminute. Elfmeter für Ingolstadt. Leckie verwandelt mit etwas Glück zum 1:1. Der Sportpark feiert euphorisiert den Ausgleich. „Ohne Audi wärt ihr gar nicht hier", stimmen die mitgereisten Fans von RB Leipzig an. Fast schon grotesk wirkt es, wenn Fanszenen den Gegenüber an ihren Geldgeber erinnern. „Dazu ist schon so viel gesagt worden. Wir sind auf keinen Fall wie RB", erzählt Julia ein wenig genervt. So wie ihr geht es fast jedem aktiven Fan der Ingolstädter, denn sie müssen sich immer wieder mit den gleichen Fragen und Vorurteilen herumschlagen. „Wir wissen um die Strukturen in und um den Verein und arbeiten an langfristigen Mitsprachemöglichkeiten", erklärt sie. „Wir stehen in einem sehr engen und partnerschaftlichen Austausch mit den Verantwortlichen." Die Worte klingen wie Phrasen aus einem PR-Handbuch, doch sie bringen es auf den Punkt. Während die Fans in Leipzig und auch bei anderen Fußball-AGs bewusst aus den Handlungen und Abläufen der Vereinspitze herausgehalten werden, versucht der FC Ingolstadt die Fans mit ins Boot zu holen. Der hauptamtliche Fanbetreuer ist der ehemalige Capo der „Supporters Ingolstadt" und in der Medienabteilung arbeitet der ehemalige Sprecher der Ultra-Gruppierung. Zudem haben die Fans eine weitere Möglichkeit sich im Verein zu positionieren. „Wir haben ein Mitglied der Fanszene als erweiterten Vorstand im eingetragenen Verein verankert", erklärt Julia. Angestrebtes Ziel ist unter anderem die Beibehaltung der „50+1"-Regel beim FC Ingolstadt und im deutschen Profifussball..

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Trotz aller Bekundungen ist den Fans die Macht vom Autobauer im Verein durchaus bewusst. Ohne Audi wäre der Verein nicht dort, wo er gerade steht. Der VW-Tochter gehört sowohl das Stadion, als auch das riesige Trainingsgelände, die moderne Geschäftsstelle und das nagelneue Sportinternat. Zudem besitzt die Audi-Tochter Quattro 19,94 Prozent an der Fußball-GmbH. 50 Prozent der Sponsoreneinnahmen des Vereins—ungefähr 8 Millionen Euro—kommen von Audi. Bei einem Besuch des Audi Sportparks kommt man um die vier Ringe kaum drumrum, denn sie schauen überall hervor. Der Verein mietet das ganze Areal für 3,5 Millionen Euro im Jahr. Die Arbeit von Audi ist jedoch kaum mit der von Red Bull in Leipzig zu vergleichen. Der Lizenzspieleretat der Ingolstädter liegt mit 8,5 Millionen Euro irgendwo im Mittelfeld der zweiten Bundesliga und soll in der nächsten Erstligasaison schon wegen der TV-Gelder auf 20 Millionen erhöht werden. Das Gesamtbudget soll auf 40 Millionen Euro verdoppelt werden. Das sind keine großen Sprünge, was auch untypisch für den vom Verein eingeschlagenen Weg wäre.

77. Spielminute. Stefan Lex schießt aufs Tor und dem Leipziger Schlussmann gleitet der Ball an den Händen vorbei. 2-1 für Ingolstadt. Alle Spieler und das Trainerteam um Ralph Hasenhüttl sprinten zur Jubeltraube an der Eckfahne. Der Sportpark bebt. Die ersten Fans sitzen auf den Zäunen, andere stehen schon im Innenraum. Als Hasenhüttl im Herbst 2013 die Mannschaft der Oberbayern übernahm, stand der Verein kurz vor dem Abstieg. Durch kluge Transfers mit jungen talentierten Spielern formte er mit Sportdirektor und Ex-Nationalspieler Thomas Linke die Aufstiegsmannschaft der Schanzer. Anders als in Leipzig versucht der Verein seit Jahren clever und nachhaltig auf dem Tarnsfermarkt zu agieren. Seit Gründung des Vereins wurden lediglich 4 Millionen Euro in Spieler investiert - eine fast schon unverschämt niedrige Summe. In diesem Sommer machte der Verein ein Transferplus von 200.000 Euro. Bei RB Leipzig stehen dem 22 Millionen Euro nur in dieser Saison gegenüber.

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Abpfiff. Aufstieg. Platzsturm. Bierdusche. Die Verantwortlichen um Clubchef Peter Jackwerth schreien die Freude nur so heraus. Jackwerth ist reich geworden durch Zeitarbeitsfirmen und unterstützte den Verein in den ersten Jahren, als Audi noch nicht da war. Er träumte immer von der Bundesliga und soll nun belohnt werden. Auf der Tribüne klatscht mit Fanschal auch der bayersiche Ministerpräsident und gebürtige Ingolstädter Horst Seehofer.

Die Spieler feiern im Minutentakt mit Bierduschen und wirken völlig losgelöst. Nur die Fans stehen etwas abwesend wie in Trance als stille Beobachter hinter den zahlreichen Ordnern und können diesen Aufstieg noch nicht ganz so fassen. „Ich weiß immer noch nicht, wie ich das alles Einordnen soll und habe gedacht, dass das Gefühl ein anderes ist", versucht Phil seine Gefühlslage zu erklären.

Eine Stunde nach Abpfiff haben sich die restlichen Fans auf der Piazza versammelt. Knapp zweitausend Fans sind eingehüllt in eine riesige Bierfahne und stehen bekleidet mit Aufstiegsshirts und Gratis-Autofahnen in der Hand vor dem Stadion und jubeln einem Fenster oben im VIP-Bereich zu. Der Australier Mathew Leckie besingt über die dröhnende Anlage im gebrochenen Bayerisch ein Ingolstädter Volksfest, der Rheinländer Danny da Costa tanzt ausgelassen zu Helene Fischer und Pascal Groß ist einfach nur richtig schön betrunken. Irgendwann darf auch der Capo der Ultras hoch in den VIP-Raum, schnappt sich bekleidet mit „Gegen Red Bull"-Shirt das Mikro und heizt Fans und Spieler mit einem gepflegten „Scheiss FC Augsburg" auf ein lang ersehntes Derby ein. So funktioniert das bei einem kleinen familiären Verein zum Anfassen.

Mit dem Aufstieg des FC Ingolstadts lässt sich zunehmend ein Trend in der Bundesliga erkennen. Der 54. Bundesligaverein der Geschichte ist ein weiterer Provinzverein ohne viel Tradition, Altlasten und Traditionalisten, die auf die Barrikaden gehen. Stattdessen hat der Verein ähnlich wie in Hoffenheim und Wolfsburg einen finanzstarken Partner im Rücken und profitiert von einem ruhigen Umfeld. Im nächsten Jahr kommen der FC Bayern, Borussia Dortmund und Schalke 04 in den Audi Sportpark. Die Heimspiele werden alle ausverkauft sein. „Die werden uns ordentlich ficken", versichert Phil voller Ehrfurcht vor dem großen Spektakel Bundesliga in der oberbayerischen Provinz. „Wir wollen der FC bleiben und auswärts werde ich auch immer dabei sein auf ein oder zwei Bier", versichert Julia. Wie viele Fans sich mit ihr auf den Weg in die Stadien der Bundesliga machen, steht noch in den Sternen. Ebenso, ob der Verein nicht doch noch mal eine größere Geldspritze von Audi bekommt und vielleicht auch noch den FC Augsburg abfängt—für den FC Bayern wird es nicht reichen, denn da hat Audi auch noch Anteile.