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Against modern football

Müssen sich Fans gegen die Modernisierung des Fußballs wehren?

Schon seit einiger Zeit wird die Kommerzialisierung des Fußballs beklagt. Besonders lautstark ist dabei die zum Teil kritisch beäugte Fan-Bewegung ‚„Against Modern Football" in Erscheinung getreten.

„„Bist du zunehmend genervt über den modernen Fußball? Hast du es satt, dass aus dem, was früher mal ein Arbeitersport war, systematisch ein Business gemacht wird—ohne dass man dabei im Geringsten auf die Fans und die durch sie erst möglich gewordenen Traditionen Rücksicht nimmt?

STAND ist ein neues Magazin für britische Fans, die vom modernen Fußball die Nase voll haben und die etwas dagegen unternehmen wollen."

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Aktionen gegen den modernen Fußball waren zwar an sich nichts Neues, doch keine kritische Stimme hatte es bis dahin geschafft, den Unmut vieler Fans so treffend einzufangen wie das STAND. Dennoch: Als die erste Ausgabe von STAND Against Modern Football im Sommer 2012 an britischen Zeitungsständen erschien, war die Bewegung dahinter ein relativ ungeordneter Haufen an Anhängern vom Fußball der alten Schule. Gemein hatten sie nur, dass sie—nach fast einem Jahrzehnt Chaos und Kakophonie—endlich eine gemeinsame Stimme gefunden hatten.

Für lange Zeit hatte Against Modern Football mehr was von einem schwer in den Griff zu kriegenden Unruheherd als einer richtigen Fanbewegung. Immer wieder wurde AMF von Hooligans instrumentalisiert, um sich gegen Regeln zur Wehr zu setzen, die gewaltbereite Fangruppen in ihrem Handeln beschneiden wollen. Doch bis auf eine wissenschaftliche Arbeit wusste man nicht viel über die Bewegung. Das ging sogar so weit, dass schon Gerüchte um ein geheimes Regelbuch die Runde machten.

„„Es geht bei uns mehr um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit als um eine geschlossene Gruppe. Ich glaube, der Begriff wird vor allem als eine Art Ehrenabzeichen von verschiedenen Protest- und Fangruppen verwendet. Und von manchen wird er definitiv auch als Modewort benutzt. Man kann sich zwar mit uns identifizieren, aber AMF nicht offiziell beitreten", so Bill Biss, Herausgeber vom STAND-Magazin.

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STAND ist laut Aussage von Biss ein „Fanzine, das sich zum Ziel gemacht hat, verschiedene Texte, die mit Hass oder zumindest großer Unzufriedenheit auf die Entwicklungen im modernen Fußball reagieren, zu sammeln und herauszubringen. Von der ersten Ausgabe wurden 1.000 Exemplare gedruckt, die fast sofort vergriffen waren.

Die Bewegung könnte auf einige auch wie ein bizarres Auf- und Ablehnen gegen jegliche Form von Modernität, wie eine Gegenreaktion auf den gelungenen Ausbau der Sportart zu einem annehmlicheren Produkt wirken—und AMF damit auf eine Stufe mit der Flat Earth Society oder Leugnern des Klimawandels stellen. Das sieht anscheinend auch STAND so, denn ein Hinweis auf ihrer Website geht genau auf diese Befürchtung ein: „„Wir sind keine Amish. Wir lieben moderne Technologien."

Against Modern Football entstand in Kontinentaleuropa kurz nach der Jahrtausendwende. Ein YouTube-Video), natürlich begleitet von knackigen Techno-Beats (schließlich gehört es einfach zum guten Ton, YT-Fußballvideos mit Techno zu unterlegen…), zeigt eine Reihe von Fanbannern, auf denen Tifosi—die bekanntlich eine Schwäche für Ausschreitungen und reichlich Misstrauen gegenüber Autoritäten haben—dem modernen Fußball eine Absage erteilen: „„No al calcio moderno".

Vereinfacht gesagt ist es das Ziel der Bewegung, den Fußball wieder aus den Fängen der Wirtschaft zu befreien, die ihn—da besteht wohl kein Zweifel dran—fest im Griff hat. Um das richtig verstehen zu können, muss man um die Ursprünge der Sportart wissen. Einige europäische Fußballvereine gibt es schon seit über hundert Jahren. Gegründet wurden sie von Freunden, im Rahmen von Geselligkeitsvereinen oder in Fabriken. Dann schlossen sich die Vereine in Amateurligen zusammen und die Klubs, die Erfolg hatten, arbeiteten nach und nach immer professioneller. Wir reden also nicht von gewinnorientierten Franchises, die sich in hoch regulierte, kommerzielle Ligen eingekauft haben—etwa so wie in der US-Sportszene.

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Noch lebt im Fußball der Amateurgeist fort. Die Frage ist—auch angesichts aktueller Zahlen—nur, wie lange noch. Denn allein im letzten Jahr haben die zehn reichsten Fußballvereine in Europa zusammen einen Umsatz in Höhe von 5 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Zum Vergleich: Vor 16 Jahren waren es gerade einmal 855 Mio. Dollar. Das macht deutlich, wie weit die Monetarisierung einer ursprünglichen Amateursportart schon vorangeschritten ist—zu Lasten von Stadionbesuchern und Fernsehzuschauern, denen es mehr und mehr an den Geldbeutel geht. Heutzutage müssen Fußballvereine mit dem Damoklesschwert fremdfinanzierter oder feindlicher Übernahmen leben. Außerdem verkommen sie zunehmend zu prestigeträchtigen Spielzeugen von Superreichen. Andere hingegen werden öffentlich an der Börse gehandelt. Und fast alle müssen gegenüber Anteilseignern Rechenschaft ablegen.

Im Zuge der Kommerzialisierung des Produktes Fußball ging es gleichzeitig auch dem Zuschauererlebnis an den Kragen, mit dem Ziel, Stadionbesuche für den (etwas besser betuchten) Mainstream attraktiver zu machen. So wurden in den meisten Ländern Stehplätze abgeschafft und beinharte—und teilweise eben auch gewaltbereite—Fans aus den Stadien verbannt. Darüber hinaus haben sich die Stadionpreise in den letzten zehn bis zwanzig Jahren vielerorts verzehnfacht (sogar inflationsbereinigt) und somit große Teile der Fanbasis, die der Arbeiter- und Mittelschicht angehören, aus den Stadien vertrieben. Viele finden, dass sich infolgedessen auch die Atmosphäre verschlechtert habe.

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„„Ich bin kein großer Fan vom modernen Fußball", sagt Radoslaw Rzeznikiewicz, ein polnischer PMA-Sympathisant und Fan von Legia Warschau, der von sich selbst behauptet, kein Ultra zu sein, aber dafür das internationale Treiben der Ultras über seinen Twitter-Account haargenau dokumentiert. „„Ich mag die neuen Stadien nicht. Ich reise viel durch Europa, um mir Fußballspiele anzuschauen, und bevorzuge definitiv die alten, traditionsreichen Spielstätten. Die neuen Stadien sehen doch alle gleich aus und wirken oft wie Einkaufszentren auf mich."

Er spricht von den „Symptomen modernen Fußballs und beklagt die systematische Hexenjagd auf Ultras. In Polen, erzählt er, würden Politiker gegen Fußballfans hetzen, um von all den politischen Skandalen und schlechten Wirtschaftsdaten abzulenken.

„„Dann haben sie angefangen, Fußballfans für die geringsten Vergehen aus den Stadien zu verbannen", so Rzeznikiewicz weiter. „„Ultras wurden plötzlich wie Schwerkriminelle behandelt."

Ein solches Vorgehen würde sich negativ auf die Stimmung am gesamten Spieltag auswirken, behauptet er. „„Ein Fußballspiel ist doch kein Theaterbesuch", sagt er. „„Eine gesunde Dosis Hass im Fußball sorgt einfach für die besten Emotionen."

Nein, es soll kein Theaterbesuch sein. Aber die Tatsache, dass man sich des unnötigen Hasses, der Skinheads, der Leuchtgeschosse und der allgemein bedrohlichen Stimmung in vielen Stadien Europas entledigen konnte, hat dem Sport unter dem Strich gut getan. Noch in den 80ern wäre es undenkbar gewesen, mit der ganzen Familie zu einem englischen Fußballspiel zu gehen. Heute kann man das hingegen problemlos tun und—wenn man etwas tiefer in die Tasche greift—sogar neben freundlichen Geschäftsmännern Platz nehmen. Andererseits: Wer sich heute ein Spiel des FC Barcelona im Nou Camp anschaut, trifft dort vor allem auf Heerscharen von Touristen. Die Logik dahinter ist einfach: Familien, Geschäftsmänner und Touristen lassen für gewöhnlich einfach mehr Geld. Wo wir auch schon beim zentralen Konflikt wären, der eine Bewegung wie Against Modern Football überhaupt erst möglich gemacht hat. Denn wenn Gewinne nur dafür eingesetzt werden, die Kommerzialisierung des Vereins voranzutreiben und die Sicherheitsvorkehrungen zu verstärken, geht aus der Sicht eingefleischter Fans viel vom ursprünglichen Arbeitercharme des Sports verloren. Darum sind in der Vergangenheit auch massenweise Websites wie SupportersNotCustomers.com aufgetaucht.

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Der holländische AMF-Ableger schreibt in seinem Blog In De Hekken (was übersetzt so viel wie „„in den Zäunen" bedeutet), dass seine Forderungen eigentlich recht simpel sein, denn man wolle: „„ein Bier trinken dürfen [was in vielen Stadien nicht erlaubt ist]; mit dem Zug anreisen dürfen, auch wenn wir kein Ticket haben [Fans dürfen mancherorts nur unter strenger polizeilicher Bewachung zu Auswärtsspielen anreisen]; in den Zäunen hängen; und einfach nur ein bisschen durchdrehen und unsere Vereine mit echter Leidenschaft unterstützen. Denn das ist es, was das Fan-Dasein im Grunde ausmacht."

Wenn man sich verschiedene Fan-Manifestos durchliest, kann man als kleinsten gemeinsamen Nenner festhalten, dass die Bewegung erreichen möchte, dass die Tickets wieder günstiger werden; das Alkoholverbot aufgehoben wird; wieder Stehplätze eingeführt werden; die Vereine im Besitz ihrer Fans sind (oder zumindest Letzteren ein stärkeres Mitspracherecht eingeräumt wird); die Traditionen der Vereine gewahrt werden; und die Ultras in Ruhe gelassen werden.

„„Wir müssen eine Menge Kritik dafür einstecken, dass wir angeblich zurück zu den dunklen Zeiten wollen, die geprägt waren von Gewaltausschreitungen und Rassismus, obwohl wir von Anfang an betont haben, dass das nicht unser Ziel ist", sagt Biss. Und ergänzt, dass man sich entschieden habe, ab der sechsten Ausgabe auf den Zusatz „„Against Modern Football" im Titel zu verzichten, weil die Reaktionen gegen das Motto in vielen Fällen sehr negativ ausgefallen seien. „„Man wirft uns auch vor, dass wir utopische Ziele verfolgen, aber wenn man mit den Fans spricht, merkt man, dass die allermeisten unsere Meinung teilen und sich auch Veränderungen wünschen."

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Betrachtet man bestimmte neuere Entwicklungen im Fußball, können manche der AMF-Zielsetzungen durchaus Sympathien wecken, vor allem im Hinblick auf ausufernde wirtschaftliche Interessen. Cardiff City, zum Beispiel, hat den Spitznamen „„Bluebirds", weil man über hundert Jahre in Blau gespielt hat. Bis der neue malaysische Besitzer und Milliardär, Vincent Tan, auf die Idee kam, dem Verein ein neues Image geben zu wollen. Infolgedessen spielte man ab 2012 zum Entsetzen der Fans plötzlich in roten Trikots. Doch im Januar dieses Jahres, nach anhaltenden Fanprotesten sowie einem Beratungsgespräch mit seiner Mutter, machte Tan dann doch eine Rolle rückwärts.

Vorletzte Saison zog Coventry City in ein anderes Stadion in einer anderen Stadt, die eine Autostunde entfernt von der heimischen Ricoh Arena liegt, nachdem es Streitigkeiten über die Stadionmiete gab (erst nach einem Jahr ging es dann wieder zurück nach Coventry). Doch das ist noch nichts im Vergleich mit dem, was dem 1889 gegründeten FC Wimbledon passiert ist. Die Dons hatten seit ihrer Gründung im Stadtteil Wimbledon gespielt. Bis die Eigentümer 2003 einer dringend notwendigen Stadionrenovierung einen Riegel vorschoben, weil sie auf den Bau eines neuen Stadions pochten. Doch weil man in der Gegend kein geeignetes Bauland fand, zog der Verein kurzerhand nach Milton Keynes, eine graue Retortenstadt rund 90 km entfernt. Im Zuge dessen wurde aus dem FC Wimbledon auch die Milton Keynes Dons. Im Gegensatz zu den USA ist die Umsiedlung von großen Sportvereinen in Europa eigentlich gänzlich unbekannt. Darum haben sich viele Fans diese Entscheidung über ihre Köpfe hinweg auch nicht bieten lassen und stattdessen den AFC Wimbledon gegründet. Nachdem sie ihren geliebten Verein komplett neu aufbauen mussten, steht Wimbledon heute schon wieder in der 4. englischen Spielklasse und spielt damit nur eine Liga unter den Dons.

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Doch damit nicht genug: Der mittlerweile verstorbene Malcolm Glazer—dem nicht nur unzählige Malls, sondern auch die Tampa Bay Buccaneers gehörten (die mittlerweile im Besitz seiner Söhne sind)—hat sich ab 2003 Anteile an Manchester United gesichert. Zwei Jahre später übernahm er dann für rund 800 Mio. Pfund den Verein—und das mit durchaus fragwürdigen Methoden. Denn um den Deal stemmen zu können, nahm er laut Spiegel Kredite in Höhe von 575 Mio. Pfund auf und wälzte die Verbindlichkeiten zur Hälfte auf den Klub ab, was den finanziellen Spielraum des Teams—aufgrund der nötigen Schuldentilgung—nachhaltig beschnitten hat. Aus Protest gegen diese Übernahme und die allgemeine Kommerzialisierung des Vereins haben einige Fans der „„Red Devils" beschlossen, den FC United of Manchester zu gründen.

Eine häufige Fanreaktion auf aus ihrer Sicht zu eigenwillig auftretende Eigentümer sieht so aus, dass sie sich selber Anteile an ihrem Verein sichern. Dieses Prinzip hat sich beispielsweise in Spanien schon bewährt, wo sich sowohl der FC Barcelona als auch Real Madrid im Besitz ihrer Dauerkartenbesitzer befinden, die auch das Recht haben, den Vereinspräsidenten zu wählen. Und in Deutschland schreibt das Gesetz vor, dass den Vereinsmitgliedern 50 Prozent plus eine Stimme gehören müssen. Folglich sind auch die Tickets erschwinglich und das Verhältnis zwischen den Vereinen und ihren Fans im Allgemeinen gut.

Im Gegensatz dazu wurde bei den Glasgow Rangers so lange Misswirtschaft betrieben, bis der Verein bzw. seine Betreibergesellschaft pleite ging und man aus der Scottish Premiership—wo man sage und schreibe 54 Meistertitel gewinnen konnte—ausgeschlossen und in die 4. Liga strafversetzt wurde. Als Reaktion darauf gründeten Fans den „„Ranger Supporters Trust", mit dessen Hilfe sie sich so viele Vereinsanteile wie möglich sichern wollten. Mittlerweile haben sie ein Mitspracherecht bei den wichtigsten Entscheidungen und haben nach eigener Aussage erst kürzlich verhindert, dass das Ibrox-Stadion als Sicherheit für ein Darlehen eingesetzt wird. „„Supporters Trusts geben Fans eine wichtige Platform, wo sie ihre Bedenken zum Ausdruck bringen können", sagt Derek Johnston vom Rangers Supporters Trust. „„Vor jeder Hauptversammlung wollen wir von unseren Mitgliedern ihre Meinung wissen, damit diese bei den einzelnen Entscheidungen berücksichtigt werden kann."

Dass ein solches Konzept funktionieren kann, zeigt der Fall eines anderen britischen Fußballvereins: Nachdem der FC Portsmouth zweimal Konkurs anmelden musste, haben seine Fans den Portsmouth Supporters Trust ins Leben gerufen. Nach einer außergerichtlichen Einigung mit dem ehemaligen Besitzer Balram Chainrai, der gleichzeitig wichtigster Gläubiger des Vereins war, war es möglich, die Zwangsverwaltung aufzuheben. Damit konnte der Verein dann auch offiziell in die Hände der Fans übergehen und war im September 2014 wieder schuldenfrei.

Fans in ganz Europa wehren sich gegen die zunehmende Kommerzialisierung ihres Lieblingssports und haben dabei schon erstaunliche Erfolge einfahren können. Was wohl auch der Verdient von Against Modern Football ist, geht es ihnen doch um die Rückeroberung des Sports und seiner Vereine von und für die Fans. Und auch wenn die verschiedenen Supporters Funds formal nichts mit der Bewegung zu tun haben, stehen beide doch für dieselbe Denke.

Aktuell wird von STAND sowie einigen Fangruppen zudem ein sogenanntes Fan Action Network aufgebaut, das laut Biss in Zukunft auch „„größere Ziele" verfolgen werde. Hauptsächlich soll es darum gehen, dem Kippen der allgemeinen Fanstimmung entgegenzuwirken. Gleichzeitig bleibt man aber auch realistisch: „„Wir wehren uns dagegen, Unsummen für Tickets oder Trikots ausgeben zu müssen, aber wir wissen auch, dass wir manche Entwicklungen nicht mehr stoppen können. Mehr als die kleinen Gefechte auszutragen, ist uns wohl nicht mehr geblieben."