Über Gangster und Boxer in East London

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Boxen

Über Gangster und Boxer in East London

Der Boxverein Repton gilt als die größte Talentschmiede Großbritanniens und liegt in einem der schlimmsten Problembezirke Londons. Fluch und Segen zugleich, wie ein spannender Blick hinter die Kulissen zeigt.

Was ist noch mal ein Fotograf?", brüllt der alte Mann. „Ist das nicht eine Hunderasse? Will er vielleicht mal meinen deutschen Schäferhund kennenlernen? Die beiden würden bestimmt süße Welpen bekommen…"

Ich wurde vorgewarnt, dass Tony Burns—der siebzigjährige Cheftrainer des legendären Boxvereins Repton in East London—ein bisschen komisch sein soll. „Egal, was er sagt", riet mir ein ehemaliger Schüler von ihm, „lach einfach herzhaft und du wirst keine Probleme haben. So ist nun mal seine Art…"

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Recht viele Boxer werden im Alter ein bisschen malle im Kopf. Vielleicht hat das damit zu tun, dass sie zu oft in ihrem Leben eins auf die Mütze gekriegt haben. Doch irgendwo im leicht lädierten Hirn von Tony Burns liegt eben auch das wohlgehütete Geheimnis hinter unfassbar großem sportlichen Erfolg. Von all den zahllosen Amateur-Boxvereinen in Großbritannien, die sich selber Home of Champions nennen, hat wohl keiner so sehr Recht damit wie das Repton. Denn im Laufe der Jahre wurden hier Hunderte junge Boxer zu echten Champions geformt—und Tony Burns hat von diesen mehr als 200 gecoacht.

„Ich war schon bei zehn Olympischen Spielen dabei", erinnert er sich. „„Verdammt…Seit den Spielen in Mexiko 1968 habe ich Boxer bei Olympia betreut. Und du musst wissen: Olympia ist ein ganz harter Kampf."

„Fast jeden Tag haben wir 100 Kids, die hier boxen und trainieren", sagt Burns und versucht, den Erfolg des Vereins zu erklären. „„Ich schaue sie mir an und denke: Der ist nicht schlecht, der ist nicht schlecht, der ist nicht schlecht … Das sind allesamt talentierte Kids—die meisten von ihnen Irish Traveller. Die haben das irgendwie im Blut."

Von außen macht das Repton nicht viel her: ein recht trauriger Backsteinhaufen, den man auch leicht für eine öffentliche Toilette halten könnte. Was in gewisser Hinsicht sogar stimmt—denn früher war hier ein viktorianisches Badehaus untergebracht.

Der erhöhte Ring in der Mitte des Raums muss für junge Boxer ein inspirierender, wenn auch leicht einschüchternder Ort zum Trainieren sein. Von allen vier Wänden grinsen aktuelle wie vergangene Helden des Vereins auf die Hoffnungsträger von morgen herab. Da wäre zum einen John H. Stracy, ein früherer Weltmeister im Weltergewicht, der es auf insgesamt 37 Siege durch K.O. gebracht hat. Oder aber der Olympiasieger im Schwergewicht von 2000, Audley Harrison. Dazu noch zwei frühere Mittelgewichtsweltmeister (Maurice Hope und Darren Barker); Andy Lee, der aktuelle Mittelgewichtsweltmeister und erste Irish Traveller, der jemals einen Weltmeistergürtel sein Eigen nennen durfte; und Ray Winstone, ein bekannter britischer Schauspieler, der zu seiner Repton-Zeit von 88 Kämpfen 80 für sich entscheiden konnte. Und natürlich dürfen hier auch nicht die Kray-Zwillinge fehlen.

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Ronnie und Reggie Kray gehören zu den berüchtigsten Söhnen des Stadtteils East End. Die meisten in der Gegend erinnern sich an sie als kaltblütige Verbrecher, die wegen Brandstiftung, Räuberei, Erpressung und Mord verurteilt wurden. Berichten zufolge sollen sie auf eines ihrer Opfer so lange und brutal eingestochen haben, dass dabei seine Leber rausfiel. Die haben sie dann einfach in eine Toilette geworfen und runtergespült. Andere hingegen erinnern sich an sie als Helden, die—wenn sie nicht gerade andere Menschen massakrierten—zumindest die Gegend sauber und sicher gemacht haben.

Aber egal, ob nun gut oder böse, angefangen haben beide als Boxer im Repton. Tony hat sie als „nette Burschen" in Erinnerung.

„Beide waren sehr gut", sagt er. „Beziehungsweise nicht sehr gut, aber gut. Gegen sie hast du nicht so gern deine anderen Schüler in den Ring geschickt—vor allem nicht die aufstrebenden … Reggie war ein bisschen talentierter als Ronnie. Ronnie war echt durchgedreht. Nein, schreib das bitte nicht! Obwohl, lass stehen, der ist ja eh schon tot! Hahaha!"

Die Geschichte der Kray-Zwillinge steht exemplarisch für eine relativ beunruhigende Wirklichkeit hinter dem großen Erfolg vom Repton. „Hier in der Gegend", sagte Tony mal vor ein paar Jahren, „können Kinder aus Arbeiterfamilien zwei Sachen machen: stehlen oder boxen." Ganz so düster sieht die Realität dann wohl doch nicht aus. Aber es stimmt schon, dass für viele der Kinder, die ins Repton kommen, die Zukunftsaussichten alles andere als rosig sind. Tower Hamlets—der Bezirk, in dem der Boxverein liegt—hat die höchste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Großbritannien. Und aufgrund der massiven Kürzung öffentlicher Mittel haben in den letzten Jahren im Schnitt jährlich Hundert Jugendclubs dichtmachen müssen. Das Repton zählt deswegen umso mehr zu den wenigen verbliebenen Hoffnungsträgern.

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Unsere Jüngsten sind überwiegend Irish Traveller", sagt Coach Gary McCarthy, der in Belfast geboren wurde. „„Sobald sie stehen können, tragen sie schon Boxhandschuhe. Boxen gibt ihrem Leben einen Sinn. Viele haben kaum was zu tun. Zur Schule gehen die meisten ja eh nicht, weswegen unser Verein so eine Art Schule für sie darstellt. Hier stecken sie all ihre Energie rein. Und auch ihre Eltern stecken all ihre Energie in die Boxfortschritte ihrer Kinder. Darum dürfen die auch nicht wirklich unseren Verein verlassen."

Die Kinder von der Straße zu kriegen, ist laut Tony eine der wichtigsten Aufgaben. „Unsere Ältesten sind drei, manchmal sogar vier Mal in der Woche hier. Zu uns können sie immer kommen, auch weil sie wissen, dass sie hier nicht in Schwierigkeiten geraten können. Hier können sie richtig an sich arbeiten. Sie lernen, was Disziplin und Selbstbeherrschung bedeuten. Und natürlich lernen sie auch zu boxen."

Dem Boxsport wird oft nachgesagt, dass Hautfarben bei ihm keine Rolle spielen würden. Die einzigen Farben, auf die es wirklich ankomme, seien demnach grün (Geld) und rot (Blut). Doch—und da ist auch das Repton keine Ausnahme—das war nicht immer so.

Als der spätere Weltmeister Maurice Hope 1961 mit seiner Familie aus Antigua nach Großbritannien auswanderte, wurde er das erste nichtweiße Mitglied des Vereins. „Ich erinnere mich noch ganz genau daran, wie mir hier ein anderer ins Gesicht spuckte", so Hope. „„Ich war gerade in der Dusche und dann haben sie mich plötzlich rausgeschmissen und mir dabei rassistische Ausdrücke an den Kopf geworfen. Ich war total schockiert, denn bevor ich Antigua verließ, hatte ich so etwas wie Vorurteile gegenüber Hautfarben nicht gekannt…"

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Die Stimmung im Repton rutscht schlagartig in den Keller, als ich das Thema aufbringe. „Er hat das gesagt, oder?", raunzt mich Burns an. Die Stille im Raum wird glücklicherweise von dem Klingeln eines Telefons unterbrochen. Am anderen Ende der Leitung ist passenderweise Maurice Hope, der nett in die Runde grüßt. Burns sieht wieder zufrieden aus. „Zu der Zeit gab es überall im Sport Rassismus", sagt Gary McCarthy. „Nicht nur im Boxen, sondern auch im Fußball und den anderen Sportarten. Das war einfach ganz normal."

Wohl auch dank der Entschlossenheit von Jugendlichen wie Maurice, die sich ihr Recht, im Ring zu stehen, erkämpft haben, hat sich die Einstellung der Leute nach und nach geändert.

Auch Ray Winstone—der rund eine Generation später als Hope im Repton die Boxhandschuhe anzog—hat sich in der Vergangenheit zu dem Thema geäußert und erklärt, warum er dem Repton so viel zu verdanken habe.

„Hier im Repton", sagte er, „und wohl auch allgemein beim Boxen spielte die Hautfarbe absolut keine Rolle. Alle waren gleich, nicht zuletzt deswegen, weil wir alle Mannschaftskameraden waren. Und dank dieses Sports hast du auch Leute kennengelernt, denen du auf der Straße wohl eher ausgewichen wärest. Du konntest also eine Menge über Moral, Respekt und Disziplin lernen, was für dein weiteres Leben sehr nützlich war. Die grundlegenden Wahrheiten über das Leben habe ich in diesem Gebäude gelernt. Darum wird mir dieser Verein bis zum Lebensende in Erinnerung bleiben."

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Fightland.