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Fußball

Der Erfolg von Schwatzgelb: Warum die besten Kritiker die eigenen Fans sind

Das größte BVB-Fanzine Schwatzgelb.de hat sich als kritisches Sprachrohr des BVB etabliert. Verantwortliche beim BVB benutzen ihr Forum als Stimmungsbarometer. Wir sprachen mit einer Redakteurin der Seite.
Foto: schwatzgelb.de

Viele sprechen beim BVB nach den Klopp-Jahren noch immer von Katerstimmung, dabei würde der Ausdruck Wachstumsschmerzen viel besser passen. Auch wenn sich der Verein immer noch in der Underdog-Rolle sieht, so ist der BVB längst im Fußball-Establishment angekommen. Einige BVB-Fans hadern schon länger mit Themen wie der Stimmung im Stadion oder der Internationalisierung. Auf der Mitgliederversammlung vor einer Woche zog Geschäftsführer Aki Watzke sicherheitshalber seine Ansage „Spagat zwischen Borsigplatz und Shanghai" zurück—doch dieser Weg scheint unumgänglich, will man Titel gewinnen.

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Das größte BVB-Fanzine Schwatzgelb.de begleitet die Borussia schon seit 16 Jahren und hat sich bei Fans und Verein als größtes und kritisches Sprachrohr etabliert. Mal diskutieren sie mit Watzke über Reisen in totalitäre Staaten, mal fordern sie einen würdigen Abschied für Robert Lewandowski, und erreichen dabei hunderttausende Leser. Kevin Großkreutz hatte seine eigene Kolumne auf der Seite. Ramona Steding ist seit 2004 bei Schwatzgelb und kennt fernab der Königsklasse noch die Spielzeiten mit André Bergdølmo, Christian Wörns und Co. VICE Sports wollte von ihr wissen, was sich über die letzten Jahre beim BVB verändert hat und ob die Fans das alles so toll finden.

VICE Sports: Ist nach der Klopp-Ära nun die Realität des modernen Fußballs beim BVB angekommen?
Ramona Steding: Klopp hat es sehr gut geschafft, die emotionale Seite der Fans anzusprechen. Das hat geklappt, weil der BVB seit jeher ein emotionaler Verein ist. Er hat Verein, Fans und Stadt vereint. Das hat die Jahre sehr besonders gemacht. Thomas Tuchel hält wesentlich mehr Abstand zu den Fans und konzentriert sich auf den Fußball, statt auf das Drumherum. Ich glaube aber, dass das gewollt ist, damit er nicht so stark mit Klopp verglichen wird. Ich würde mir trotzdem wünschen, dass er mehr auf die Menschen zugeht. Das würde ihm helfen, hier mehr verstanden zu werden.

Noch scheint Klopp den erfolgreicheren Fußball gespielt zu haben.
Ich merke bei mir, dass ich Klopp und seiner Art Fußball zu spielen immer noch nachtrauere. Er hat uns emotional sehr mitgenommen—das erlebe ich unter Tuchel anders. Aber trotzdem fördert Tuchel junge Talente und hat mit seiner anderen Art des Fußballs Erfolg. Obwohl es die zweite Saison unter ihm ist, ist es wegen der Abgänge und der Verletzten wohl trotzdem noch eine Übergangssaison.

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Viele Leistungsträger verließen den BVB im Sommer für viel Geld. Müsst ihr euch mit dem Status eines gehobeneren Ausbildungsvereins abfinden?
Ich weiß gar nicht, ob es immer heißen muss: „Mehr von dem einen ist weniger von dem anderen". Wir haben in der Zeit von Klopp auch gezeigt, dass man mit geringeren Mitteln trotzdem mit den richtigen Menschen Gutes bewirken kann—ohne andere Dinge auszureizen. Da wären wir mit einem Ausbildungskader auch fast Champions-League-Sieger geworden.

Der Weg geht aber scheinbar kaum am Spagat „Zwischen Borsigplatz und Shanghai" vorbei, oder?
Vielen Fans auf der Tribüne ist klar, dass der Verein diesen Spagat für den Erfolg im heutigen Fußballgeschäft ein Stück weit machen muss. Wir sehen uns bei schwatzgelb.de als Mahner, damit die andere Seite nicht vergessen wird. Eine Grenze sehen wir zum Beispiel bei den Ticketpreisen—nicht umsonst ist die Initiative Kein Zwanni in Dortmund entstanden. Es gibt viele Menschen in der Stadt, die nicht so viel Geld haben, aber die auch in schlechten Zeiten das Stadion gefüllt haben. Diese Menschen dürfen nicht verloren gehen.

Eure Redaktion scheint ein großes Werteverständnis zu haben. Warum gibt es etwa die Angst vor Trainingslagern in Dubai?
Da kann ich nur für mich sprechen, da es innerhalb der Redaktion von schwatzgelb immer verschiedene Ansätze gibt. Es ist uns aber wichtig, auf die Situation der Menschenrechte aufmerksam zu machen. Wenn der Verein schon nach Dubai reist, dann sollte er das nicht völlig kritiklos tun. Uns als Fans ist es wichtig, dass der Verein auch ethisch handelt.

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Die 38-jährige Ramona Steding ist seit 2004 Redaktionsmitglied bei Schwatzgelb.de. (Foto: Privat)

Hat sich dein Verhältnis zum Verein über die Erfolgsjahre verändert?
Mein persönliches Bild von Borussia hat sich nicht sehr gewandelt. Der Verein vor Ort ist für mich wichtig und es ändert sich wenig dadurch, dass der Klub in der Welt nun anerkannter ist. Sicherlich gibt es aber unter den Fans im Stadion oder bei den Ultras auch die Meinung, dass sich der Verein von ihnen und seinen Werten entfernt hat.

Schwatzgelb gibt es seit 2000, seitdem sind Vereine immer schweigsamer und deren Medienabteilungen immer professioneller geworden. Wie ist euer Verhältnis zum BVB?
Beim Verein hat sich in der Tat einiges professionalisiert. Aber der Kontakt ist über lange Jahre gewachsen und nach wie vor gut. Der BVB weiß, dass wir Dinge kritisch beäugen und kommentieren. Auch, dass wir bei einigen Dingen eine andere Meinung haben. Sie wissen aber auch: Wenn wir streiten, dann für den Verein.

Ihr seid mittlerweile ein einflussreiches Medium. Wie hat sich eure Berichterstattung in den letzten 16 Jahren verändert?
Zu Anfang waren wir froh, wenn mal hundert Leute auf unserer Seite sind und mittlerweile hat das heftige Dimensionen angenommen. Wir haben monatlich 400.000 Besucher und bei großen Themen auch mal über eine Millionen Seitenaufrufe. Unsere Formate haben sich verändert. Wo wir früher nur Texte geschrieben haben, produzieren wir mittlerweile regelmäßig mit „Auffe Ohren" einen Podcast und berichten per „Amateurfunk" live von den Spielen der zweiten Mannschaft aus der Roten Erde. Wir haben uns also auch stetig professionalisiert. Kaum einer ist bei uns Journalist, wir mussten da erst reinwachsen und machen das alles ehrenamtlich.

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Warum sind Fans mit kritischer Vereinsbrille so wichtig?
Wenn Medien über den Verein berichten, erleben wir es häufig, dass ihnen Widersprüche oder Zusammenhänge gar nicht auffallen, die uns auffallen. Sie sind manchmal nicht so dicht dran wie wir. Dadurch verschwimmen Inhalte und werden anders wahrgenommen. Wenn es um Themen wie Gewalt oder Pyrotechnik geht, hat man den Eindruck: Je weiter ein Medium von Borussia entfernt ist, desto irrwitziger werden Berichterstattung und Wahrnehmungen. Wir wollen hautnah berichten, wie wir Fans es vor Ort erleben. Uns ist wichtig, dass rund um die Borussia und deren Wahrnehmung auch die Fans eine Stimme haben.

Seht ihr euch als oppositionelle Stimme der Fans?
Wir wissen, dass wir für viele Leute außerhalb Dortmunds eine wichtige Informationsquelle sind. Wir versuchen die Meinung der Fans zu vertreten und andererseits den Leuten den Verein näher zu bringen. Wir wollen aber nicht nur die Mahner sein, sondern loben eigentlich viel lieber. Aber wir scheuen uns eben auch nicht davor, etwas zu kritisieren. Wir haben in unserem 50-köpfigen Redaktionsteam Fans jeder Couleur—von alten Sitzplätzen, über junge Allesfahrer bis hin zu Gelegenheitsbesuchern aus anderen Regionen. Die Sichtweise auf Themen wie die Internationalisierung des Klubs oder Pyrotechnik ist da sehr unterschiedlich. Da kann man nicht immer mit einer Stimme sprechen.

Kevin Großkreutz zeigt auf seine Kolumne auf schwatzgelb.de; (2010) Foto:Imago

Wenn du jetzt also über Pro-Pyro schreiben willst und dein Kollege dagegen, könnten also beide Texte auf der Seite landen?
Ja, es kann auch mal passieren, dass wir zwei gegensätzliche Texte zu einem Thema haben. Wir sind bei der Themenwahl völlig frei—auch wenn ich in dem Fall eher gegen Pyrotechnik argumentieren würde. Die einzige Redaktionslinie ist die Ablehnung von Gewalt und Rassismus.

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Ihr betreibt ein riesiges Forum mit tausenden angemeldeten BVB-Anhängern. Was bewegt die Fans derzeit besonders?
Das kann man nie so genau sagen. Aber unser Forum wird gerade auch im Verein als Stimmungsbarometer aufgenommen. Ähnlich wie auf der Süd sammeln sich dort seit Jahren die verschiedensten Menschen und diskutieren über alle Themen, die sie beschäftigen. Es wird viel über Werte, über die 50+1-Regel oder auch über Entwicklungen wie in Leipzig diskutiert. Ein Dauerbrenner ist seit Jahren die Stimmung im Stadion.

Hat sich die Stimmung im Stadion verschlechtert?
Ich denke, das ist immer noch Jammern auf hohem Niveau. Aber die Begeisterung war vor einigen Jahren anders. Man wollte der Mannschaft mehr zum Sieg verhelfen.

Viele BVB-Fans machen die neuen „Event-Fans" für die schlechtere Stimmung verantwortlich…
Auch wenn ich dieses Wort blöd finde, liegt es nicht nur an den „Event-Fans". Zudem kann nach einiger Zeit ja auch aus dem kurzfristigen Konsumenten ein langjähriger BVB-Fan werden. Die schlechtere Stimmung ist auch ein Problem der Routine. Viele Fans sind müde. Bei den vielen Spielen in den letzten Jahren ist auch bei den Dauerkartenbesitzern eine Übersättigung entstanden. Die Omnipräsenz des Fußballs ist da auch ein Problem. Es braucht den Impuls, dass es wieder etwas Besonderes wird. Und das kriegt man leider nicht immer so einfach für sich selbst reproduziert.

Werdet ihr also den Bayern-Fans immer ähnlicher?
Ich glaube, einige BVB-Fans verstehen mittlerweile, warum Bayern-Fans so sind, wie sie sind. Die vielen Erfolge machen es natürlich schwer, jedes Spiel als Highlight anzusehen. Wir müssen wieder dahin kommen, die Leistungen schätzen zu lernen.

Folgt Benedikt bei Twitter: @BeneNie