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husarenritt

Der verrückte Fan, der für seine Mannschaft 800 Kilometer mit dem Motorroller fährt

Mit dabei: seine Frau auf dem Rücksitz. Warum? Weil es ihre Hochzeitsreise war. Und es war weder der erste noch der letzte Ausflug nach Saint-Etienne. Denn Jean-Louis Brandt hat noch große Pläne.

„In seinem Leben kann ein Mann seine Frau, die Partei und die Religion wechseln, aber nicht seinen Fußballklub." In nur einem einzigen Satz hat der uruguayische Journalist und Schriftsteller Eduardo Hughes Galeano beinahe perfekt das Verhältnis von Millionen von Fußballfans zu ihrem Lieblingsverein zum Ausdruck gebracht. Hätte Galeano jemals Jean-Louis Brandt getroffen, hätte er sein berühmtes Zitat um folgenden Zusatz erweitern können: und er wechselt auch nicht sein Beförderungsmittel zum Stadion.

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Vor rund drei Jahren im August kam Monsieur Brandt auf eine sehr spezielle Idee. Es stand das Europa-League-Spiel zwischen seinem Lieblingsverein AS Saint-Étienne und dem dänischen Vertreter Esjberg auf dem Programm. Das Problem: Monsieur Brandt befand sich in seiner Heimatstadt Denain, die rund 800 Kilometer vom Stade Geoffroy-Guichard in Saint-Etienne entfernt liegt. Scheiß drauf, ich fahre da trotzdem hin, dachte er sich. Aber nicht irgendwie, sondern mit dem Motorroller. Mit seiner Frau auf dem Rücksitz. Um das Ganze noch kurioser zu machen: Die Beiden hatten gerade frisch geheiratet und erklärten den Husarenritt kurzerhand zu ihrer Hochzeitsreise.

„Wir haben für die Fahrt mehr als 28 Stunden gebraucht", erzählt mir Jean-Louis Brandt, der schon seit Kindheitstagen Fan von den Grünen ist. Bevor er sich auf den Scooter schwang, hatte er aber auch die Zugpreise kontrolliert. Mehr als 200 Euro. Nie im Leben würde er so viel ausgeben. Darum holte er seine 50cc-Maschine aus der Garage und durchquerte mit seiner Gemahlin im Schlepptau halb Frankreich—für gerade mal 40 Euro Benzingeld, wie er betont. Und ein paar Krämpfe obendrauf. „Wir sind Mittwochmittag gegen elf Uhr los und waren bis 23 Uhr unterwegs. Wir mussten aber regelmäßig Pausen einlegen, weil Madame der Hintern so wehtat", so Jean-Louis weiter. In Châtillon-sur-Seine angekommen, stiegen die Beiden in einem kleinen Hotel ab und nahmen tags darauf die Fahrt wieder auf. „Wir kamen aber wieder erst gegen 23 Uhr an."

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Dass das Ehepaar Brandt erst gegen 23 Uhr in Saint-Etienne eintrudelte, war deswegen blöd, weil das Spiel da schon seit zwei Stunden lief. Denn die bittere Wahrheit lautet, dass Jean-Louis Brandt das Spiel—und die Niederlage—seiner Mannschaft verpasst hat. Der Fehler lag an der gewählten Reiseroute. Und ein bisschen auch an den Anwohnern Lyons. Die haben ihn in die falsche Richtung geschickt. Vielleicht auch kein Wunder, wenn da ein Typ mit den Farben des Erzfeindes und einem ASSE-Tattoo auf der Wade um Hilfe bittet.

Mittlerweile hatten die Lokalmedien aber Wind bekommen von der verrückten Fanaktion, sodass Jean-Louis Brandt und seine Frau Karten für das kommende Heimspiel gegen Bordeaux erhielten. Doch dabei sollte es nicht bleiben: Monsieur Brandt und seine Frau wurden sogar ins Trainingszentrum eingeladen, wo sie Spieler und Trainer vom AS Saint-Étienne trafen.

„Im Nachhinein war es ein Segen, das EL-Spiel verpasst zu haben. Ich habe sogar ein Foto mit Kurt Zouma (der jetzt beim FC Chelsea spielt, Anm. d. Red.) gemacht. Der war völlig baff und meinte zu mir: ‚Ihr habt auf einem Motorroller 800 Kilometer zurückgelegt? Mir sind schon 30 nach dem Training in meinem Auto fast zu viel.'"

Was wir noch nicht verraten haben: Es war nicht sein erster Husarenritt. Denn Jean-Louis Brandt hat schon viermal zuvor die 800 Kilometer auf zwei Rädern zurückgelegt. Aus Liebe zu seinem Verein, versteht sich. Zum ersten Mal machte er sich im Jahr 2000 auf den Weg. Und auch damals wurde der Verein auf seinen wohl verrücktesten Fan aufmerksam. Jean-Louis erinnert sich für uns: „Ich hatte ein Pokalspiel im Fernsehen gesehen. Und im Anschluss gab es eine Doku über eine ASSE-Fankneipe außerhalb von Saint-Etienne, ‚Green Angel'. Ich hatte mir vorgenommen, dort bei meiner nächsten Tour vorbeizuschauen."

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Gesagt, getan. „Als die Besitzerin dann mein Nummernschild sah, wollte sie wissen, ob ich echt aus Nordfrankreich angereist bin. Als ich das bejahte, rief sie sofort einen Fotografen vom Verein an."

Jean-Louis und seine Frau zusammen mit Romain Hamouma und Renaud Cohade.

Seine beiden weiteren Ausflüge, 2009 und 2011, blieben unbemerkt. Gestört hat ihn das aber nicht. Dafür liebt er seinen Verein schon viel zu lange, und zwar seit 1976. Das war gleichzeitig auch die goldene Epoche der Grünen. Egal ob damals gegen den HSV oder im Finale gegen die Bayern, der junge Jean-Louis hat kein Spiel verpasst. „Unvergessen die beiden Matches gegen Hamburg, wo wir sowohl das Hinspiel als auch das Rückspiel mit 5:0 gewannen."

Auch wenn sein Herz nur für Saint-Étienne schlägt, so musste er beruflich auch schon Kompromisse eingehen. Denn Jean-Louis hat in der Vergangenheit für den Racing Club de Lens gearbeitet. „Fast 15 Jahre lang habe ich Tickets kontrolliert und war Platzanweiser im Stadion." Mittlerweile arbeitet er aber als Gabelstapler.

Einen großen Plan hat Jean-Louis aber noch. Er will noch einmal nach Saint-Étienne fahren. Dieses Mal aber mit dem Fahrrad. Und dieses Mal würde der Trip auch nicht den Grünen gelten. Denn Jean-Louis Brandt hofft, mit seiner Mammut-Fahrradtour Gelder für eine karitative Einrichtung und ein behindertes Kind aus Westfrankreich zu sammeln. Hoffentlich steigt der Irre wieder auf seine zwei Räder.