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Die US-Rüstungsbehörde entwickelt ihre eigene Suchmaschine für das Deepweb

Das Herzstück von Memex sind mächtige Tools, die schwer sichtbare Daten in Verbindung setzen, um die Bewegungen von Menschenhändlern im Deepweb zu verfolgen.
​Die DARPA-Suchmaschine für das Deepweb soll Menschenhändlern das Handwerk legen. Alle Bilder: CBS 60 Minutes

Das Internet ist unübersichtlich groß—und Google sieht nur einen winzigen Teil davon; Schätzungen zufolge sind das nicht mal zehn Prozent. Die Innovationsabteilung der US-Rüstungsbehörde ​DARPA hat daher ein neues Suchwerkzeug für das Deepweb entwickelt, das seine Tentakel weiter in die für kommerzielle Suchmaschinen unsichtbaren Tiefen der Hidden Services stecken kann.

Das Projekt heißt Memex und ist unter anderem ein Crawler für Chatrooms und temporäre Websites. Mit Memex will die DARPA nach eigenen Angaben Menschenhändler im Deepweb aufspüren. Dabei ist allerdings ein Einsatz gegen Schlepperringe nur ein mögliches Einsatzgebiet des Suchtools. Die Inhalte des Deepweb sichtbar und indexierbar zu machen, dürfte für viele Ermittlungsbehörden der Welt verlockend sein—schließlich sind zahllose illegale ​Darknet-Vorgänge immer noch außerhalb ihres Zugriffs.

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Memex soll nicht nur das Ausmaß des Deepwebs vermessen, sondern auch herausfinden, wie viel Traffic auf TOR genau in Beziehung zu ​Hidden Service-Seiten stehe, sagt ihr Erfinder Chris White gegenüber dem US-Nachrichtenmagazin 60 Minutes: „Wir gingen bislang von ungefähr tausend [Verbindungen] aus", erzählt White und offenbart damit auch den behördlichen Blindflug in Sachen Deepweb. „Mittlerweile glauben wir aber, dass es permanent zwischen 30,000 und 40,000 Hidden Service-Onion-Seiten online gibt, deren Content man indexieren könnte."

Memex visualisert Links, die von angeklickten Seiten im Surface Web ausgehen und setzt sie mit Suchstrings oder IP-Adressen in Verbindung. Alle Bilder: DARPA via CBS 60 Minutes

Ein Visualiserungstool von Memex geht aber noch weiter: Es zeigt nach der Oberflächensuche in einer Datenwolke alle Seiten an, die in Verbindung zu den Links stehen, die schon angeklickt wurden. Ein Beispiel: Du findest fünf Links zu einem Suchbegriff, Memex zeigt alle von ihnen ausgehenden Links an, setzt sie in Beziehung und sucht nach Übereinstimmungen, Verbindungen und Mustern. So lassen sich die Routen von Schleppern und Geschleppten visualisieren—beispielsweise durch die Verknüfung einer E-Mail-Adresse mit den Geodaten der Geräte, von denen Sex-Anzeigen geschaltet wurden, mit denen Menschenhändler ihre Sklaven online anpreisen.

Dan Kaufman, Chef der Innovationsentwicklung der DARPA sagte dem Magazin 60 Minutes bei einer Vorführung der Maschine: „Am einfachsten kann man sich Memex so vorstellen: Wie kann ich das ungesehene sichtbar machen?" Kaufman ist übrigens kein General, sondern ein Videospieler. Er hat Medal of Honor mitentwickelt und zeichnet bei der DARPA nun verantwortlich für futuristische Visualisierungen von Computertools, die er staunenden Reportern gern auf tischgroßen Touchscreens vorführt:

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Wie in einer Heatmap (jaja, wir warten natürlich auch schon auf die Minority Report-Vergleiche) zeigt eins der Memex-Tools zu jedem beliebigen Zeitpunkt die Anzahl der gerade aktuellen Sexanzeigen an. Damit lassen sich örtliche und zeitliche Ballungspunkte identifizieren, die auf eine mögliche Aktivität eines Schlepperrings schließen lassen.

Und da die US-Rüstungsbehörde sich gern mal im Outsourcing übt, werden die einzelnen Komponenten von 17 verschiedenen Subunternehmerteams entwickelt. Bei angenehm läppischen Kosten von zwischen 10 und 20 Millionen US-Dollar und nur einem Jahr Entwicklungszeit bietet Memex momentan acht verschiedene Visualisierung-Tools, die den Behörden bei der browserbasierten Ermittlung und Datenanalyse helfen sollen.

Eine Visualisierung von 16 Millionen gerade geschalteter Sexannoncen in den USA.

Memex ist eine der vielen (und sicher nicht die letzte) Verwurstungen eines kulturwissenschaftlichen Konzepts zu einem euphemistischen Titel für ein Geheimdienst- oder Regierungsprogramm: In diesem Fall traf es den Memory Extender, einen Analogrechner, den Vannevar Bush 1945 in seinem Artikel ​As We May Think vorstellte. Er sollte das assoziative Denken durch Querverweise zwischen indexierten Texten und Mikrofilmen stärken und nahm so die Idee der Verlinkung vorweg—der Memex gilt als früheste Hypertext-Technologie.

„Memex ist die Google-Suche auf Steroiden."

Im Gegensatz zum namensgebenden Memory Extender ist der heutige Memex kein hypothetisches Zukunftskonzept, sondern wird bereits in der US-Ermittlungsarbeit eingesetzt. Memex habe schon in den Ermittlungen von mindestens 20 Fällen von Menschenhandel eine zentrale Rolle gespielt, berichtet ​American Scientist. In New York ist sogar schon der erste Kriminelle aufgrund von Erkenntnissen, die durch die Suchmaschine gewonnen wurden, verurteilt worden. Cyrus R. Vance JR, Bezirks-Staatsanwalt in Manhattan hält die DARPA-Suchtools folglich auch für „wahnsinnig wertvoll. Das ist die Google-Suche auf Steroiden."

Stellt sich nur noch die Frage, warum ausgerechnet der Innovations-Arm des Militärs eine Deepweb-Suchmaschine an den Start bringt. Nun, zum Einen hat die DARPA als Erfinder des Internets schon ein wenig Erfahrung mit digitalen Netzwerken, zum anderen räsoniert Erfinder White: „Menschenhändler-Banden benutzen einerseits ihre Gewinne zur Finanzierung und Hochrüstung verfassungsfeindlicher Gruppierungen, andererseits sind Menschenhändler auch häufig am Waffen- oder Drogenschmuggel beteiligt."

Das Herzstück von Memex sind also mächtige Tools, die schwer sichtbare Daten in Verbindung setzen und mit einem einzelnen Bit an Information als wertvolle Beziehungsnetze visualisieren. An der Deanonymisierung anonymer Dienste sei das Programm laut DARPA-Website explizit nicht interessiert. „Für eine bessere Welt", säuselt Dan Kaufman noch im 60 Minutes-Interview. Das bleibt abzuwarten.