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Wie Ajax Amsterdam seine Spieler mit Oculus zu Höchstleistungen bringen will

Seit dieser Saison hat der niederländische Rekordmeister einen Virtual-Reality-Fußball-Simulator in sein Trainingsprogramm mit aufgenommen. Wir haben mit den Entwicklern von Beyond Sports darüber gesprochen, wie Oculus Rift den Fußball von Morgen...
Alle Bilder: Beyond Sports. Mit freundlicher Genehmigung.

„Seht ihr, ich war frei. Ihr hättet mich anspielen können", beschwert sich Davy Klaassen in Richtung seiner Teamkollegen, während er sich das Headset vom Gesicht zieht. Auch nach zwei Tagen ärgert sich der Stürmer von Ajax Amsterdam noch immer über die vergebenen Chancen. Und dass ihm nun die Fehler per Oculus Rift vorgeführt werden, scheint ihn nicht gerade mit der Mannschaftsleistung zu versöhnen. Für das Team von Ajax Amsterdam ist die Datenbrille in dieser Saison zu einem wichtigen Trainingswerkzeug geworden, das die Spielanalyse mit Fernsehbildern, um ein Nacherleben der vergangenen Leistungen in der virtuellen Realität ergänzt.

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Die niederländische Firma Triple-IT hat mit Beyond Sports eine Applikation entwickelt mit der Fußballer ihre Spiele aus jeder Perspektive durchspielen, nacherleben und manipulieren können—und mit der in der Kabinendiskussion individuelle Stellungsfehler mit neuer digitaler Präzision geklärt werden können. Seit diesem Sommer arbeitet Triple-IT mit dem niederländischen Fußballverband (KNVB), Championsleague-Teilnehmer Ajax Amsterdam und dem AZ Football Club Alkmaar zusammen. Zumindest bei Ajax war der Einsatz des Tools schon nach wenigen Monaten dem Erfolg nicht abträglich, denn der niederländische Rekordmeister legt aktuell in der Liga einmal mehr eine unglaubliche Siegesserie hin.

Der Trainer könnte in das Spiel fliegen, sich in unterschiedliche Spieler hineinversetzen.

Die Teams wollen dabei sein, wenn die virtuelle Realität die Rollen im Fußballspiel neu definiert. Denn dass ‚Beyond Sports' lediglich im Training und zur nachträglichen Analyse zum Einsatz kommt, soll noch nicht alles sein. In Zukunft schwebt den Machern auch die Anwendung parallel zum Spiel vor: durch Trainer auf der Bank, Spieler in den Kabinen und Zuschauer auf der heimischen Couch. Damit würde die virtuelle Realität nicht nur Teil von Spiel und Training, sondern Triple-IT könnte ganz nebenbei auch die Marktmacht von Games wie PES oder FIFA von EA Sports bedrohen.

Alle Bilder: Beyond Sports. Mit freundlicher Genehmigung.

Schon in der heutigen Version können die Nutzer realistisch in das Spiel eintauchen; sehen wie etwas auf den Torwart wirkte, erleben wie der Verteidiger dieselbe Situation wahrgenommen hat, aber auch in den Körper des gegnerischen Angreifers schlüpfen. „Wir können dir nicht nur leibhaftig zeigen, wo du auf dem Spielfeld warst, sondern du wirst auch gleich sehen, wie gut oder schlecht dein Stellungsspiel war", erklärt Jordi Bruin, Leiter der Technologieentwicklung bei Triple-IT. „Was wäre anders gelaufen, wenn der Spieler einen Meter weiter rechts gestanden hätte?"

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Bruin geht es nun darum, mit Hilfe von Algorithmen realistischere Simulationen von Fußballspielen zu entwickeln. So sollen Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Verhaltensmuster von Spielern bestimmt werden, um Prognosen über Spielverläufe zu treffen: „Schon vor einem Spielerwechsel kann der Trainer realistisch abschätzen, welchen Einfluss das haben wird."

Und falls die Trainer es erlauben, dann könnte die Oculus Rift auch für die Unterhaltung im Mannschaftshotel ein angenehmes Update darstellen. Längst gehört die Playstation zur Standardausrüstung in jedem Trainingslager. Ob allerdings die realistischere Simulation von Triple-IT gleichermaßen zur teaminternen Harmonie beiträgt, ist eine andere Frage.

Beyond Sports from Beyond Sports on Vimeo.

Jetzt soll das Programm in enger Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Teams und einzelnen Spielern weiterentwickelt werden—anhand ihres Feedbacks sollen Features hinzukommen oder verbessert werden. Auf Wunsch der Torhüter wurde so beispielsweise das Training neuer Spielsituationen aufgenommen, die sonst kaum trainiert werden können.

Triple IT untersucht auch, wie sich VR auf die Moral der Spieler auswirkt. „Was ändert sich für einen Torschützen, der nicht trifft, wenn der Fehlschuss aus einem Meter, drei oder fünf Meter erfolgt?", fragt sich Robert Overweg, Direktor von Triple-IT. So soll aus dem Programm ein essenzieller Trainingsbaustein für Strategie, Technik und Motivation werden.

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Bislang geht die Verarbeitung der Daten zum Spielertracking recht schnell—innerhalb von einem bis zwei Tagen kann eine Partie neu durchgespielt werden—das reicht bis zum ersten Training nach dem Match meist aus. Diese Rechendauer soll nun verkürzt werden, bis die Headsets eines Tages live zum Match getragen werden. „Der Trainer könnte in das Spiel fliegen, sich in unterschiedliche Spieler hinein versetzen", freut sich Overweg. „Wenn er noch dazu einen Weg findet, das gut mit seinen Spielern zu kommunizieren, wäre das ein enormer Wettbewerbsvorteil."

Erweitert werden soll das Erlebnis auch durch Feedback—gemeinsam mit Forschern der Universität Utrecht arbeitet das Team daran, dass die virtuelle Realität über ein visuelles Erlebnis hinausgeht. „Du sollst den Ball wirklich spüren und auch merken, wenn dich ein Gegenspieler anrempelt", erzählt Bruin. „Stell dir vor, ein Stürmer von Ajax läuft auf das Tor zu, du zu Hause setzt die Oculus auf und nicht er, sondern du machst das Tor."

Bruin weiß, dass sich damit ein riesiger Markt öffnet und das Zuschauererlebnis einem gewaltigen Update unterzogen wird. Es wäre ein Traum für all jene, die nur zu gerne vergessen, lediglich bloße Konsumenten einer Unterhaltungsshow zu sein. Fernsehübertragungen würden nicht mehr nur ein Stadionerlebnis reproduzieren, sondern den Zuschauer auf das Feld versetzen und ihn dank Oculus Rift selbst zum Stürmer bei Torschüssen machen, oder zum Verzweiflungstäter bei Blutgrätschen des Verteidigers.

Wenn es nach den Entwicklern geht, dann ist die virtuelle Fußball-Realität nur der Anfang. Momentan arbeiten sie bereits mit American Football, Radsport, Eishockey und Feldhockey Teams zusammen, um Beyond Sports auch hier ins Spiel zu bringen. Aber den Entwicklern schweben auch noch andere Anwendungen vor und sie wollen vermehrt in den Gesundheitsbereich vordringen: „Autistische Kinder, die Angst haben, in die Stadt zu gehen, konnten dank VR erste Simulationen einer Busfahrt erleben. Nach und nach können dann zusätzliche Reize hinzugefügt werden", erzählt Bruin von einer vielversprechenden britischen Studie, die auch für die Niederländer Motivation ist, mit ihrer Entwicklung über den Sport hinaus zu gehen.

So beeindruckend die Simulation von Beyond Sports auch ist, so wirft sie doch einige neue Fragen auf: Was passiert mit Zuschauern, die sich fühlen als wären sie der Verteidiger? Wird das Besserwissertum der Couch-Bundestrainer neue unerträgliche Ausmaße annehmen? Was bedeutet es für einen Stürmer, dem sein Versagen nun viel präziser und eindringlicher vorgeführt werden kann? Was, wenn die Grenze zwischen Simuliertem und Erlebtem für manchen zu undurchsichtig wird?

„Wir wollen dich nicht als Menschen manipulieren", sagt Bruin. Er erinnert sich an eine Studie, die zeigte, wie schnell unsere Vorstellung von Realität mit Simulation überlagert wird, wenn es nur echt genug wirkt. „Wenn wir ein Foto von dir und deinem Vater hernehmen und es in einen Heißluftballon versetzen, würde die Hälfte der Probanden sagen, sie erinnern sich daran, auch wenn es nie passiert ist. Wir wollen herausfinden, was das in unserem Fall heißt. Wie prägt es unser Denken?"