Die europäische Schande
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Die europäische Schande

In Aserbaidschan finden derzeit die ersten Europaspiele statt—in einem Land, dass viele Öl-Millionen hat und die Menschenrechte mit Füßen tritt. Wie konnte sich Europa darauf einlassen?

Letzten Freitag sind die European Games mit einer feierlichen 85 Millionen-Euro-Zeremonie im neueröffneten 70.000-Plätze Stadium in Baku eröffnet worden. Lady Gaga sang John Lennons „Imagine" nebst einem riesigen Piano, während die britische Boxerin Nicola Adams die olympische Flagge hisste und so diese Spiele feierlich eröffnete.

Zum ersten Mal finden die European Games statt, und Aserbaidschan war das einzige Land, das sich für die Ausrichtung beworben hat. 38 von 48 europäischen Olympischen Verbänden stimmten dafür, die Spiele in einem Land zu veranstalten, dem von der Human Rights Watch eine "schreckliche politische Situation" bescheinigt wurde. Nicht nur das, 2014 wurde es von Transparency International korrupter als Mali oder Weißrussland eingestuft.

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Die Kosten des Turniers wurden offiziell mit einer Milliarde Euro angegeben, doch es wird geschätzt, dass die tatsächlichen Kosten viel höher sind. Als drittgrößte Öl-Nation in Eurasien—hinter Russland und Kasachstan—hat Aserbaidschan versucht, sich als modernen und progressiven Staat zu verkaufen, dabei kann es nur eine Erfolgsbilanz an Unterdrückung und Tyrannei vorweisen.

Foto: Jahangir Yusif / Sports for Rights Coalition

Letzte Woche wurde Amnesty International die Einreise in das Land verwehrt bis die Spiele vorbei sein würden. Sport-Chefkorrespondent des britischen Guardians, Owen Gibson, wurde einen Tag vor der Eröffnung mitgeteilt, dass er Aserbaidschan nicht betreten dürfe um über die Spiele zu berichten.

Es ist absolut keine Überraschung, dass das Regime die Spiele als eine politische Übung ansehen, die Aufmerksamkeit weg von der Menschenrechtssituation zu lenken. Der Formel 1-Grand Prix in Baku, Spiele bei der Europa-Meisterschaft 2020 und jetzt die European Games—Aserbaidschan scheint davon besessen, sein Image als Big Player im Konzert der Sportnationen zu festigen.

Im vergangenen Jahr wurden 13 prominente Journalisten und Aktivisten auf Grundlage von erfundenen Anklagen, die von Veruntreuung und Verrat bis zur Anstachelung zum Selbstmord reichen, ins Gefängnis gesteckt.

In der Nacht der Eröffnungszeremonie wurde einer der bekanntesten Menschenrechtler des Landes, Emin Huseynov, Leiter des Instituts für Reporter-Freiheit, vom Schweizer Außenminister Didier Burkhalter aus dem Land geflogen, nachdem er in der Schweizer Botschaft in Baku für zehn Monate in der Falle saß.

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Huseynov versteckte sich dort im letzten August, nachdem eine Welle der Verhaftungen seine Menschenrechts-Mitstreiter ins Gefängnis steckte.

Foto: Aziz Karimov / Sports for Rights Coalition

Rebecca Vincent, Koordinatorin der Sport for Rights-Kampagne, sagte: „Die aserbaidschanischen Machthaber sind immer rücksichtsloser in der Bekämpfung von Menschenrechten, was sich im Vorfeld der European Games noch mal verschlimmert hat."

Huseynov war zurecht verängstigt. Das letzte Mal, als er verhaftet wurde, war während einer Veranstaltung zu Ehren von Che Guevaras Geburtstag. Er landete auf der Intensivstation mit einem Schädel-Hirn-Trauma, nachdem er von Polizisten brutal zusammengeschlagen wurde.

Vor seiner Abreise aus der Botschaft sagte Gulnara Akhundova von der International Media Support: „Emin Huseynov, der sich nun seit zehn Monaten in der Botschaft aufhält und dringends medizinische Versorgung braucht, wird definitiv von ausländischen Journalisten vermisst werden. Früher haben ausländische Medien das Büro seiner Organisation als Knotenpunkt genutzt. Emin war derjenige, der die Rechte der Journalisten verteidigt hat, die über die Spiele berichteten. Jetzt ist es Zeit, dass diese Journalisten ihre Solidarität mit Emin und den anderen tapferen Menschenrechtlern in Aserbaidschan zeigen."

Huseynov ist nicht alleine im Kampf für die Freiheit. Khadija Ismayilova ist eine der bekanntesten Journalistinnen ihres Landes und ist eine der wenigen, die die Schwierigkeiten der Meinungsfreiheit offen ausspricht. Sie muss sich derzeit mit einigen Anklagen auseinandersetzen—von Machtmissbrauch bis zur Anstiftung zum Selbstmord.

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Khadija wurde jüngst mit mit dem PEN/Barbara Goldsmith Freedom to Write Award für ihre unermüdlichen Bemühungen, die vorherrschende Korruption in ihrem Land offenzulegen, ausgezeichnet. Vor der Eröffnung der Spiele wurde entschieden, dass ihr Hausarrest verlängert würde; es endet erst, wenn die Spiele vorbei sind.

Als wir sie über die Haftbedingungen ihr Tochter befragten, war Khadijas Mutter Elmira verständlicherweise sehr vorsichtig: „Sie wird im Gefängnis nicht schlecht behandelt. Khadija beschwert sich nicht. Sie sagt, dass alles in Ordnung sei. Sie sieht gut aus, wenn wir sie besuchen, deswegen denke ich, dass es stimmt: Sie wird gut behandelt."

Allerdings vermittelte Khadija (im Foto oben rechts) in einem offenen Brief an die New York Times letzte Woche ein anderes Bild vom Leben hinter Gittern: „Man hat mich dafür bestraft, dass ich aus dem Gefängnis Aussagen gemacht habe. Ich wurde in Isolationshaft gesteckt und davon abgehalten, meine Familie und Anwälte zu sehen."

Sie beschrieb die Situation in ihrem Land als düster. „Die Wahrheit ist, dass Aserbaidschan sich mitten in einer Menschenrechtskrise befindet. Die Zustände waren noch nie so schlimm wie jetzt."

Zusätzlich zu ihrem Vorgehen gegen Aktivistinnen und Aktivisten haben die Behörden versucht, mit großen Projekten in der Hauptstadt den positiven Einfluss der Spiele auf die Lebensqualität der Bevölkerung zu demonstrieren. Doch es wird wenig unternommen, um dieser zunehmend bröckelnden Fassade des Fortschritts und Wohlstands etwas Handfestes hinzuzufügen.

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Im Mai starben 16 Menschen, nachdem die entzündliche Kunststoffverkleidung eines Wohnhauses—angebracht in einem schlampigen Versuch, die heruntergekommenen Gebäude der Stadt zu verstecken—zu einem Brand führte. Der Vorfall hat möglicherweise den Rücktritt von Rasim Adjalov, dem Aufsichtsführer der ersten Europaspiele, ausgelöst, doch ähnliche Taktiken werden noch immer eingesetzt. Zu den weiteren Methoden, die den unzureichenden Lebensstandard der Stadt verschleiern sollen, gehört Berichten zufolge eine ungeschriebene Vorschrift, die es Bewohnern verbietet, die Altstadt zu fotografieren.

Photo: Jahangir Yusif / Sports for Rights Coalition

Vorsitzende des Organisationskomitees hinter den Europaspielen ist die First Lady von Aserbaidschan, Mehriban Aliyeva, deren Haushalt von US-Diplomaten als „eine Familie, mit der man rechnen muss" beschrieben wird. Geleakte Depeschen zeigen außerdem, dass Beobachter in Baku die Regierung mit „dem europäischen Feudalismus des Mittelalters" vergleichen: „Einige wenige Familien mit Beziehungen kontrollieren gewisse geografische Gebiete sowie gewisse Wirtschaftssektoren."

Doch es ist nicht nur die Präsidentenfamilie, die hinter dem Imagewechsel des Landes steckt. Großbritannien spielt ebenfalls eine Schlüsselrolle in der Besserung des globalen aserbaidschanischen Ansehens.

Der CEO von Baku 2015, Simon Clegg, ist aktuell gewähltes Vorstandsmitglied der British Olympic Association und war maßgeblich an Londons erfolgreicher Bewerbung um die Olympischen Spiele 2012 beteiligt. Am ersten Tag der Spiele gratulierte er der ehemals sowjetischen Gastgebernation öffentlich zu ihren sportlichen Erfolgen.

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Großbritannien hat außerdem kulturelle Symbole exportiert, um den Spielen zu mehr Erfolg zu verhelfen. Als Aserbaidschan 2012 Gastgeber des Eurovision Song Contest war, kaufte das Regime eine Flotte von 1.000 Londoner Taxis, um das Verkehrssystem des Landes auf einen höheren Standard zu bringen. Diesmal wurden weitere 500 Fahrzeuge gekauft, um VIP-Gäste zu den Veranstaltungsorten zu chauffieren. Der Ausführende Vizepräsident von The London Taxi Company, Peter Johansen, lobte den „zukunftsorientierten Staat" für die anhaltende Partnerschaft und dankte besonders Präsident Aliyev für seine ausschlaggebende Beteiligung an dem Geschäft.

Das britische Team ist auch das größte Aufgebot an Sportlern, das die Briten seit den Olympischen Spielen in Peking 2008 nach Übersee entsandt haben. Mehr als 6.000 Sportlerinnen und Sportler aus ganz Europa werden in 20 verschiedenen Disziplinen um Goldmedaillen kämpfen, wobei die Teilnehmernationen auch die Möglichkeit haben, in einigen neuen, nicht olympischen Spielen anzutreten, darunter Basketball Drei gegen Drei, Strandfußball und Sambo—eine Kampfsportart, die ihren Ursprung in der Sowjetunion hat und in der sich Russinnen und Russen meist besonders gut schlagen.

Zu den Partnern der Spiele gehören große internationale Marken wie BP, Coca-Cola und die Kinderrechtsorganisation UNICEF, auch wenn deren Rolle nicht ganz klar ist.

Rebecca Vincent von Sport for Rights sagte: „Die beste PR wäre es, den aktuellen Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen, die politischen Gefangenen freizulassen und das Land allen zu öffnen, die über die Spiele berichten wollen, wie es dem olympischen Geist entspricht."

Das angebliche Ideal der Olympiade—und damit auch der Europaspiele—ist es, Menschen durch Sport zu vereinen. Vor diesem Hintergrund ist ein Regime, das sich durchweg als autokratischer Unterdrücker von Bürgerrechten zeigt, nicht die Art Partner, mit dem sich das Internationale Olympische Komitee zusammenschließen sollte—und es obendrein unterstützen sollte das IOC erst recht nicht.