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Drogen

Wie du Freunden mit Drogenproblemen wirklich helfen kannst

Wann besteht tatsächlich ein Problem? Wie eröffnest du das Gespräch? Wozu musst du selbst bereit sein?
Das erste Gespräche sollte gut durchdacht sein. Foto: jerik0ne (CC BY 2.0)

Ihr seid jung, ihr genießt das Leben. Nach dem Abitur ging es für euch in die Großstadt. In deinem Freundeskreis werden die ersten Erfahrungen mit Drogen gemacht. Bei der Mehrheit bleibt es beim gelegentlichen Konsum, während einer oder eine sich zum besten Freund von Emma und ihren diversen Kumpels entwickelt. (Vielleicht bist du auch selbst diese Person.) Dann steckst du als Nahestehender irgendwann in einer Zwickmühle. Dir fallen Verhaltensweisen deines Freundes unangenehm auf, in der Uni siehst du ihn oder sie nur noch sporadisch. Immer hängt er mit diesen komischen Leuten in den schwarzen Klamotten rum. Hin und wieder geht es deinem Freund oder deiner Freundin auch schlecht, tagelang. Du grübelst dann.

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Ist dein Freund etwa drogenabhängig geworden?

Klar, du bist voll liberal. Vielleicht sogar links-liberal oder gar linksradikal, der Hedonismus ist dir ein Anliegen, Drogen gegenüber bist du daher aufgeschlossen. Dennoch kommst aus dem Grübeln nicht mehr raus. Noch schwieriger ist es vielleicht, wenn du dir um deine Partnerin Sorgen machst.

Mit Genosse Lenin fragst du dich: Was tun? Solltest du mal was sagen? Wenn ja, wie?


Aus dem VICE-Netzwerk: Die Wahrheit über Ecstasy: High Society


Da es uns auch schon so ging, wie dir, haben wir eine Expertin hinzugezogen. Astrid Leicht ist Diplom-Pädagogin und Projektleiterin der Drogenberatungsstelle Fixpunkt e.V. Im Gespräch erklärt sie uns, wie du erkennen kannst, dass deine Freunde ein Drogenproblem haben, wie du es ansprechen solltest und wie du selbst helfen kannst, ohne dich aufzuopfern.

Wie merkt man, dass ein Freund oder eine Freundin ein tatsächliches Problem mit Drogen hat? Welche Indikatoren gibt es?
Man kann immer gucken, ob der Mensch sich wohl fühlt und funktioniert.

Das heißt?
Erfüllt er alle Anforderungen, die er an sich selbst stellt und die von der Umwelt an ihn gestellt werden? Früh aufstehen oder eine Leistung erbringen, zum Beispiel. Das ist aber nur ein Aspekt beim Konsum. Pauschal gesagt, nehmen Menschen ja auch Drogen, um bestimmte Anforderungen besser zu erfüllen. Das ist dann natürlich etwas tricky als nahestehende Person. Drogen erfüllen immer eine Funktion. Jeder, der sie nimmt, beabsichtigt damit etwas. Allerdings möchte niemand süchtig werden oder sich dabei schlecht fühlen. Die Intention ist, den eigenen Zustand zu verbessern—und das ist erst mal ein positives Anliegen.

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Aber es gibt dabei natürlich auch eine negative Seite, oder?
Natürlich. Man sollte immer abwägen, wie hoch die Risiken beim Konsum sind. Verhalte ich mich so, dass es auch negative Konsequenzen geben könnte? Oft verlieren Menschen diese Fragen aus dem Blick oder reden sich alles schön.

Was kann man als nahestehende Person dann tun?
Es ist wichtig, das Verhalten zu spiegeln und eine Rückmeldung geben, was einem aufgefallen ist bezüglich des Verhaltens. Eine Grundregel ist dabei, dass man bei sich bleibt. Das heißt, den anderen nicht mit Vorwürfen oder Erwartungen zu konfrontieren wie: „Du musst doch …", „Du sollst doch …", „Du machst da was falsch …" usw. Keine moralischen Vorwürfe, keine Herabwürdigungen. Am Besten ist es, zu sagen: „Ich habe das Empfinden, dass …" oder „Ich habe Angst …", „Ich nehme das so und so wahr …". Dann sieht der andere, dass der Freund oder die Freundin sich Sorgen macht oder die Situation als störend empfindet. Das ist ebenfalls wichtig: Man sollte sagen, dass einen die Situation stört, nicht der Mensch. Nicht: „Du bist scheisse!", sondern: „Dein Konsum macht mir Sorgen." Das sind Grundregeln der menschlichen Kommunikation, die über die Frage des Drogenkonsums von Freunden hinausgehen.

Man sollte also erst mal versuchen, die Person und ihre Lebenssituation zu verstehen, warum sie konsumieren. Es gibt ja Leute, die sagen, dass sie sich von Freunden abwenden würden, wenn die Drogen anfängen.
Das sind Ideologisierungen, die solche Menschen dann vollziehen. Ein Rausch ist ein menschliches Grundbedürfnis, der sich über verschiedene Wege herstellen lässt. Über Drogen, Sex, Musik, Liebe und Freundschaft. Jeder Mensch will Kontrolle über seinen Zustand und sein Leben haben, dazu kann man eben auch Drogen einsetzen. Essen und Trinken gehören auch dazu.
Generell sollten Freunde problematische Verhaltensweisen ansprechen, auch bei politischen Radikalisierungen. Denn: Jeder, der in extreme Verhaltensweisen abgleitet, braucht eine Rückmeldung. Auch damit die Verantwortung bei ihm bleibt. Viele geben ja der Gesellschaft oder der eigenen Mutter die Schuld für alles. Sicherlich sind das auch Faktoren, die eine Rolle spielen aber trotzdem hat der Einzelne die Verantwortung, im Rahmen seiner Möglichkeiten aktiv zu sein. Das gilt auch bei Drogenkonsumenten.

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Das ist eine Ambivalenz, die wahrscheinlich für viele schwierig zu bewältigen ist. Einerseits gibt es externe Anforderungen, die man nicht direkt ändern kann, andererseits kann man sich deshalb auch nicht von allem frei machen und sich der Verantwortung entziehen.
Ja genau. Jeder kann sich trotzdem in seinem Rahmen auch Ziele setzen und handlungsfähig bleiben. In der Pädagogik nennt man dieses Prinzip die Letztwirksamkeit. Niemand hat einen kompletten Kontrollverlust in jedem Lebensbereich. Man kann ja auch sagen: „Statt zehn Bier heute nur mal acht!", und sich dadurch realistische Ziele setzen. Das ist ebenfalls wichtig.

Welche Hilfe kann das Umfeld dabei leisten?
Freunde und Familie können die Absicht, sich zu ändern, positiv verstärken. Wenn ein Freund mit Alkohol-Problemen nüchtern bleiben will, kann man sich solidarisch zeigen und mitmachen. Denn für Suchtgefährdete ist es besonders schwierig, in solchen Situationen nicht zu konsumieren, wenn alle es machen. Dann muss derjenige nüchtern bleiben, der am liebsten konsumiert. Freunde können außerdem alternative Angebote für Unternehmungen machen. Man sollte für sich überlegen, was man ausprobieren kann und bereit ist, zu geben.

Wie ist das bei Partnerschaften?
Da kommen natürlich noch mal besondere Abhängigkeitsverhältnisse hinzu, weil man ein sehr enges Verhältnis hat, eventuell zusammen lebt usw. Trotzdem sollte man auch als Partner, der sich um seine Freundin oder seinen Freund sorgt, bei sich bleiben und sagen: „Mir ist das grad zu viel, ich kann und will dich nicht ändern, mir geht es aber schlecht mit der Situation, ich ziehe mich zurück." Oder: „Ich gebe dir nicht wieder 20 Euro, weil du das dann für Drogen ausgibst, und ich mich dann schlecht fühle oder weil ich das Geld selbst brauche." Falsch wäre es, zu sagen: „Ich geb dir kein Geld, weil du dich falsch verhältst."

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Also an die Empathie des Freundes oder der Freundin appellieren?
Genau. Wenn er die nicht hat, ist das dann halt so. Man muss als Angehöriger für sich selbst klar bleiben. Es ist gut, zu überlegen, was man bereit ist, zu tun, zugleich muss man dabei aber auch die Grenzen festlegen. Das ist in privaten Beziehungen sehr schwer, weil Emotionen dabei eine erhebliche Rolle spielen. Als Angehöriger muss man zu starke Abhängigkeiten vermeiden. Süchtige spielen hin und wieder auch mit moralischen Erpressungen: „Wenn du mir das Geld nicht gibst, muss ich anschaffen gehen", zum Beispiel. Wenn einem das als Freund oder Freundin zu viel wird, ist das völlig ok.

Wie kann man Freunde dazu kriegen, zu einer Beratungsstelle zu gehen oder sich zumindest zu informieren?
Man könnte erst mal fragen: „Hast du schon mal über dein Konsumverhalten nachgedacht?" Und dann kann man auch entsprechende Websites empfehlen, die über risikoarmes und risikoreiches Konsumverhalten aufklären. Man kann auch eine Beratungsstelle aufsuchen. Die meisten sind nicht mehr auf Opiate beschränkt, sondern werden mittlerweile auch von Leuten aufgesucht, die gelegentlich Cannabis konsumieren und unsicher sind, ob sie noch die Kontrolle darüber haben. Es geht auch nicht mehr darum, die Leute zur Abstinenz zu bringen.

Das ist aber scheinbar immer noch das vorherrschende Bild bei vielen Menschen: Zu Beratungsstellen gehen nur Junkies, um ihren Heroinersatz zu bekommen.
Ja, das sollte man noch mal klar machen. Das ist nicht mehr so. Da gehen nicht nur Süchtige hin, sondern auch Leute, die gelegentlich auf Partys Drogen nehmen. Die Berater sind ergebnisoffen, sie gehen nicht davon aus, dass jeder süchtig ist und abstinent werden soll.

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In den Bundesdrogenberichten wird immer wieder der Eindruck erweckt, dass nur Abstinenz ein Ausweg ist.
Ja, das ist in den meisten Programmen zur Suchtprävention eigentlich nicht mehr state of the art. Dort ist das Ziel eher, den Konsum hinauszuzögern, bis die Wachstumsphase von Jugendlichen abgeschlossen ist. Bei den Beratungsstellen geht es um Aufklärung über die Substanzen, um Konsumreflektion und darum, ein Maß zu finden, das einen das Leben zufriedenstellend meistern lässt. Hier ist es mir auch wichtig, darauf zu achten, dass man einen guten Drogenberater hat und bei Unzufriedenheit andere Hilfsstellen aufsucht.

Ab wann ist eine therapeutische Behandlung empfehlenswert?
Wir ziehen Therapeuten meistens in den schweren Fällen heran. Zum Beispiel bei psychischen Erkrankungen, die dann durch Drogen selbst behandelt werden. Oder bei stark ausgeprägter Sucht.

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Wenn du dich weiter informieren möchtest oder selbst Hilfe suchst, findest du hier weitere Informationen und Angebote:

www.quit-the-shit.net/qts

www.drugcom.de/selbsttests

www.drugcom.de/beratung-finden

Für Crystal-User noch eine Selbsthilfe-Internetplattform: breaking-meth.de/node/37

Für Berlin gibt es zudem verschiedene Programme zur Konsumreflektion oder -reduktion oder zur Abstinenz, siehe: www.netzwerk-fruehintervention.de/index.php?id=90

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