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Basic Soul Unit über Gentrifizierung und Underground in Toronto

Produzent Basic Soul Unit vergleicht die Musikszene von Toronto mit Berlin und sagt: Underground ist eher eine Haltung denn Realität.

Das Schöne an thematischen Interviews ist ja, dass sie zunächst erst mal wie eine Lehrer-Schüler-Situation beginnen. Auch bei der Serie „Interviews Of The World" geht es uns seit dem ersten Gespräch um das Erfahren und Verstehen. Wie erleben DJs und Produzenten, Veranstalter oder Clubbetreiber ihre elektronische Musikszene—von Asien über Europa nach Australien und Afrika, und rüber nach Süd- und Nordamerika. Beim bereits achten Interview angekommen, zeichnen sich nicht für nun nicht nur Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den diversen Underground-Szenen ab. Es entstehen Quer-Verbindungen und sogar so etwas wie die Ahnung, wie sich ein Land und seine elektronische Musikkultur entwickeln könnte. Beim Gespräch mit Siamak Amidi aus den Vereinigten Arabischen Emiraten haben wir zum Beispiel erfahren, dass sich Dubai inmitten einer doppelseitigen Entwicklung befinde: Bevölkerungsboom auf der einen, heterogene Gesellschaftsstruktur auf der anderen Seite.

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Für unserer aktuelles Interview richten wir den Blick nun auf Kanada, und auch hier sind die Einheimischen in der Minderheit. Diese Vielfalt wird von Stuart Li alias Basic Soul Unit vortrefflich reflektiert. In Hongkong geboren, wuchs er in Kanada auf und lebt seit 1984 in Toronto. Er thematisiert diese kulturelle Diversität, wenn lokale und internationale Communitys sich gegenseitig beeinflussen, und meint damit Berlin. Es sind diese Analogien, die ein Bild ergeben, das nicht vollkommen aus dem Nichts vor unseren Augen entsteht. Einigen Porträts sind wir ja bereits begegnet, wenn sie auf einem anderen Kontinent auch einen anderen Farbton annehmen. Da ist natürlich ideal mit einem Produzenten zu sprechen, der nicht nur mehrere Schattierungen auf der ganzen Welt kennt, sondern seit Jahren ohne großes Aufsehen sein Ding durchzieht.

Thump: Ich habe mich immer gefragt, ob dein Projektname Basic Soul Unit eigentlich als Anspielung auf die klassischen Labels in Chicago gemeint ist? 
Basic Soul Unit: Der Chicago-Sound hat mich zu Beginn meiner Produktionskarriere schon auch sehr stark beeinflusst hat. Ich war schon immer an vielen verschiedenen Sounds interessiert, aber nachdem ich ein bisschen mit Musiksoftware herumgespielt habe, wurde es nach meinem Geschmack um House Music etwas ruhig. Dann bin ich der Musik von Leuten wie Hieroglyphic Being oder dem Zeug von Crème Organization begegnet, das brachte mich wieder zurück zum frühen Chicago-Sound. Ich mochte die synkopierten Rhythmen und die entkleideten Sounds – ich denke daher kommt mein Name.

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Du lebst bereits lange Zeit in Toronto und es heißt, die Stadt habe sich in den letzten 10 Jahren drastisch verändert – kannst du mir sagen inwiefern und was waren die größten Veränderungen? 
Der größte Wandel war die Revitalisierung und Verdichtung des Stadtkerns. Ich kann mich noch an Partys und Clubs in der Innenstadt erinnern, als die Straßen ziemlich ruhig waren, du hast auf den Hauptstraßen immer einen Parkplatz gefunden. Heute ist das eher mühevoll und an jeder Ecke sind neue Eigentumswohnungen. Grundsätzlich ist das positiv, weil die Stadt viel lebendiger und interessanter wurde, aber es gibt auch negative Effekte wie der Verkehr oder die gestiegenen Kosten. Als Nebeneffekt ist es für die Nachtclubs schwerer geworden ihr Geschäft zu machen, weil sie mit der Gentrifizierung auf Widerstand stoßen. Die neuen Anwohner beschweren sich über den Krach und rowdyhaftes Verhalten. Außerdem gibt es weniger Platz und der Lizensierungsprozess für Clubs wurde erschwert, weil sie eben nicht so richtig in eine „sichere und familienfreundliche Nachbarschaft" passen.

Dabei gelten doch gerade die zahlreichen Kulturen als Hauptgrund für diese äußerst vielfältige Szene mit Künstlern wie The Weeknd, Caribou, Art Department oder Jessy Lanza. Sieht mir beinahe so aus, als wäre Kanada einer der am meisten unterschätzten Hotspots.  
Schon in den achtziger Jahren war es hier relativ bunt, doch das hat in den letzten zehn Jahren noch mal zugenommen. Auch ich selbst wurde zum Beispiel von Torontos Vielfalt beeinflusst. Wäre ich nicht hierher gezogen, hätte ich mich nicht mit den verschiedenen Spielarten von Musik und mit den diversen Kulturen aus der ganzen Welt beschäftigt. Diese Offenheit und Akzeptanz der unterschiedlichen Kulturen manifestiert sich auch in der Dance Music selbst. Wir waren gleichsam von Chicago, Detroit, New York und Grußbritannien beeinflusst. Toronto hatte niemals einen bestimmten Sound, aber immer eine facettenreiche Szene. Die Diversität der von dir genannten Künstler reflektiert das auf jeden Fall.

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In Australien soll es ja zur Tradition, dass junge, lokale Talente vernachlässigt werden. Aber selbst deine Kollegen Jonas Kopp (Argentinien), DJ Nobu (Japan) und Eduardo de la Calle (Spanien) haben sich allesamt Sorgen über die Zukunft der jungen Generation gemacht. Wie steht es um die Newcomer in Kanada?
Toronto war schon immer eine große Indie-Stadt, aber es gibt nicht viele Plattformen und institutionalisierten Support für den elektronischen Underground. Künstler und Promoter mussten immer schon die Dinge selbst in die Hand nehmen. Die Hauptquelle waren die College-Radios. In den Neunzigern gab es dann eine riesige Rave-Szene und auch eine Reihe von Clubs, aber die Behörden sind dagegen vorgegangen, und die erwähnte Gentrifizierung hat die Szene langsam erodieren lassen. Viele Künstler bekommen viel Anerkennung außerhalb von Kanada, bevor die Leute hier von ihnen hören. Viele interessieren sich für elektronische Musik und es gibt es ein paar gute Promoter—die machen das aus Leidenschaft und Motivation. Heute kann man einfach globale Verbindungen aufbauen, sodass sich ein Künstler international einen Namen machen kann, ohne diesen zu Hause zu haben. Trotzdem hoffe ich, dass sich die lokale Szene weiterentwickelt und mehr Unterstützung erhält.

Als du zur Musik gekommen bist, gab es noch eine Vorstellung und eine andere Bedeutung es Begriffs Underground. Sie war nur in Clubs zu hören, oder bei den Radio-Stationen, und die Partys wurden durch Mundpropaganda verbreitet. Wie sieht die Lage heute aus? 
Heute leben wir im Zeitalter der unmittelbaren Informationen, die dir ohne Probleme zur Verfügung stehen, und in einer Ära mit Discogs und Youtube ist Underground für mich ein relativer Begriff. Es ist mehr eine Haltung als Realität. Die Musik ist zwar noch nicht Mainstream und die DJs sind nicht in höchstem Maße anerkannt, aber es ist schwer von einer Underground-Bewegung zu sprechen, wenn in jeder Bar ein DJ die obskuren Afro-Disco-Platten des jüngsten, handgestempelten Techno-White-Labels spielt. In- und außerhalb von Toronto sind es eher die persönlichen Kontakte und Gruppen-Interaktionen, die den Underground wirklich ausmachen—eine Gruppe von Leuten, die ein bestimmtes Musik-Spektrum lieben und Freunde werden; die darüber im Club, Restaurant, Park oder im Internet sprechen. Ich denke, die legalen Restriktionen, verbunden mit den oft wechselnden Trends im Internet-Zeitalter, machen es schwieriger eine eingeschworene Szene zu entwickeln.

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Wie sieht es mit Clubs und Plattenläden aus? 
Nach der rechtlichen Definition liegen Clubs in einer Grauzone. Es gibt diese archaische Regel, die besagt, dass ein Lokal nicht nur Alkohol, sondern auch Speisen zur Verfügung stellen muss—vermutlich weil der bloße Alkoholausschank das Lokal zu einer Bar, und somit zu einem Ort mit zweifelhafter Moral macht. Selbst wenn der Ort ganz offensichtlich ein Nachtclub ist, gibt es dort wahrscheinlich wenigstens Mikrowellenessen, wenn du danach fragen würdest. Außerdem schließen die Clubs um zwei Uhr nachts. In Toronto gibt es noch einen Plattenladen, der immer noch neuen House und Techno verkauft und den mein guter Freund Jason Palma betreibt: Play De Record. Obwohl sicherlich mehr Leute digital einkaufen, gibt es ein starkes Interesse, auch von der jüngeren Generation, Vinyl zu kaufen und zu sammeln.

Während deiner Karriere hast du zahlreiche Szenen auf der ganzen Welt kennengelernt. Welcher Ort oder welche Szene hältst du gerade für spannend? 
Ich hatte das Glück, eine Vielzahl zu sehen, aber mit Berlin bin ich sehr vertraut, weil es meine Basis ist, wenn ich in Europa bin. Die Stadt ist der Knotenpunkt für elektronische Musik in Europa, aber durch den Zulauf internationaler Residents hat sich die Szene verändert—die einen sagen zum positiven, andere das Gegenteil. Das musikalische Spektrum wurde vielfältig und die lokalen sowie internationalen Communitys haben sich eben gegenseitig kreativ gefüttert. Zuletzt war Frankreich eine Inspiration, wenn ich dort war: die Partys grandios, das junge Publikum anerkennend und sachkundig. Aber letztlich ist es immer inspirierend, andere Ort zu sehen, sich mit den lokalen Leuten über ihre Szene zu unterhalten und zu spüren, wie leidenschaftlich sie für ihre Sache eintreten.

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Wo das Musikjahr doch fast vorüber ist, sind dir 2014 vielleicht irgendwelche spannenden Trends aufgefallen? 
Ich bin mir nicht sicher, aber für mich befinden wir uns 2014 wieder mal im Wandel. Es fühlt sich so an, als hätte es keine dominante Bewegung in diesem Jahr gegeben. Die Leute entwickeln ihren Sound und kombinieren Elemente. Techno-Leute machen Broken Beats, Bass-Leute machen House und Techno—wird interessant sein zu sehen, was noch kommen wird.

Am Ende aller Interviews über die unterschiedlichsten Länder und Kulturen stelle ich allen DJs oder Produzenten diese Frage stellen. Teilst du mit uns bitte diesen einen Track, den du seit Jahren in deinem Plattenkoffer dabei hast und häufig spielst?

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