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Regierung rät zu Hamsterkäufen—Panikmache oder sinnvolle Vorbereitung?

Erstmals seit Ende des Kalten Kriegs sollen sich die Deutschen jetzt wieder selbständig auf Katastrophen vorbereiten. Was hat es auf sich mit dem neuen Zivilschutzkonzept?

Deutschlands Bevölkerung soll sich besser selbständig auf Katastrophen und Ausnahmesituationen vorbereiten—zumindest wenn es nach der aktuellen Bundesregierung geht, die am Mittwoch im Kabinett ein entsprechendes Zivilschutzkonzept verabschieden will.

„Die Bevölkerung wird angehalten, einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln von zehn Tagen vorzuhalten", zitiert die FAS aus dem 69-seitigen Dokument, welches der Zeitung exklusiv vorliegt. Jeder Haushalt solle zum Beispiel zwei Liter an Mineralwasser pro Person und Tag für einen Zeitraum von fünf Tagen vorrätig haben.

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Die Ankündigung neuer Zivilschutzmaßnahmen, die dafür sorgen sollen, dass im Fall einer Naturkatastrophe oder eines Terroranschlags die Versorgung mit Trinkwasser, Lebensmitteln, Energie und Bargeld gewährleistet ist, kommt zu einer Zeit, in der auch in Deutschland in einigen Teilen der Öffentlichkeit zunehmend Verunsicherung zu spüren ist. Mancherorts macht sich im öffentlichen Klima eine diffuse Angst breit, geprägt von so unterschiedlichen und nicht direkt zusammenhängenden Themen wie der Angst vor Terroranschlägen wie in Frankreich und Belgien, dem Amoklauf in München, den Vorfällen in Würzburg und Ansbach und den Debatten zur Flüchtlingskrise.

Tatsächlich wird mit der neuen zivilen Verteidigungsstrategie nun erstmals seit 1989 wieder auf Bundesebene ein Konzept aus der Zeit des Kalten Krieges aufgegriffen, mit dem sowohl in der DDR als auch der BRD die Bevölkerung im Falle eines militärischen Angriffs zum ausreichenden Selbstschutz vorbereitet sein sollte.

Zwar schätzen die Autoren des Dokuments einen solchen „Angriff auf das Territorium Deutschlands, der eine konventionelle Landesverteidigung erfordert" als „unwahrscheinlich" ein, sehen aber eine große Gefahr in zukünftigen „hybriden Konflikten", bei denen gleichsam militärische wie zivile Ziele angegriffen werden und die vor allem im virtuellen Bereich mit Hilfe von Computerviren oder Hacking-Angriffen ausgetragen werden.

Warum das Papier ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt veröffentlicht wird, hat dann wohl auch nicht unmittelbar mit konkreten neuen gesellschaftlichen Bedrohungen zu tun, sondern ist viel mehr auf behördliche Abläufe zurückzuführen. 2002 hatte der damalige deutsche Innenminister Otto Schilly als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 und das Elbehochwasser 2002, bei dem der Katastrophenschutz der Länder mit den Rettungsmaßnahmen überfordert war, die Katastrophenhilfe wieder zur Sache des Bundes gemacht. 2004 wurde deshalb auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gegründet. Das neue Zivilkonzept, was nun am Mittwoch der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll, war bereits 2012 vom Haushaltsausschuss des Bundestags in Auftrag gegeben worden.

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Das Problem der Viren

Parallel zum Zivilschutzkonzept entstand laut FAS auch das aktuelle Weißbuch der Bundeswehr. Auch hier gibt es einen Schwerpunkt zu den Herausforderungen der Digitalisierung: „Die Auswirkungen von Cyberangriffen können denen bewaffneter Auseinandersetzungen entsprechen und in die nichtvirtuelle Welt eskalieren. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte bereits im vergangenen Jahr angekündigt, bis 2021 insgesamt 13.500 neue „Cyber-Streitkräfte zu mobilisieren", um die Bundeswehr auf hybride Angriffe vorzubereiten. Diese neue Dimension der Kriegsführung sowohl auf zwischenstaatlicher als auch terroristischer Ebene zählte auch zu den Hauptthemen beim jüngsten NATO-Gipfel in Warschau.

Als einer der wundesten Punkte im Hinblick auf die hybride Kriegsführung muss dabei die Energieversorgung gelten. Je vernetzter die Systeme zur Stromproduktion aufgrund der Digitalisierung sind, desto anfälliger werden sie für Schad-Software und Hackerangriffe. Dass diese Gefahr auch besteht, wenn eine einzelne Anlage nicht vernetzt ist, aber digital gesteuert wird, zeigte erst im Mai ein Virus im bayerischen Kernkraftwerk Grundremmingen. Belgische Atomkraftwerke waren im März 2016 als potenzielle Anschlagsziele von Terroristen in die Schlagzeilen geraten. Tatsächlich ist die Bedrohung von Kraftwerken durch Computerviren absolut nicht neu, sondern schon seit vielen Jahren ein Thema—schon im Zuge des verheerenden Blackouts, bei dem in den USA im Jahr 2003 ganze 21 Kraftwerke vom Netz gingen, wurde das Problem ausführlich diskutiert.

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Das Konzept sorgt derweil auch für handfesten politischen Streit: Kritiker des neuen Konzepts, wie Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz oder Linksfraktionschef Dietmar Bartsch, warnen allerdings davor, zivile Vorsorgemaßnahmen und militärische Aufgaben in einen Topf zu werfen und gleichzeitig die Bevölkerung durch den ständigen Hinweis auf terroristische Bedrohungen zu verunsichern. Tatsächlich ist das Bemerkenswerte an dem neuen Zivilschutzkonzept, dass es militärische Schutzmaßnahmen mit Hinweisen für die Bevölkerung verbindet—seit dem Ende des Kalten Krieges beschränkte sich Zivilschutz bisher auf Ländersache und darauf, Notunterkünfte für Politiker zu organisieren oder die Bundeswehr entsprechend vorzubereiten. Welche neuen Bedrohungen es nun erforderlich machen, auch die Bevölkerung anzusprechen, ist anhand der bisher öffentlichen Informationen nicht deutlich.

Gegenüber der Welt erklärte von Notz: „Der Kontext, in dem der Minister [de Maizière] die Aktualisierung vornimmt, irritiert. Das Innenministerium sollte sich strengstens davor hüten, in diesem Kontext Terrorsorgen zu schüren und die unsäglichen Bemühungen derjenigen zu unterstützen, die geschichtsvergessen und verfassungswidrig einen Einsatz der Bundeswehr im Inland vorantreiben wollen."

Der Grünen-Politiker spielt damit auf die in Deutschland strikt gehaltene Trennung von Armee und Polizei an, eine innenpolitisch rote Linie, die nach den schmerzhaften Erfahrungen der Nazi-Zeit gezogen wurde. Schon bei der Vorstellung der neuen deutschen Anti-Terror-Einheit BFE+ wenige Wochen nach den November-Anschlägen von Paris war die militärische Ausrüstung von Bundespolizisten kritisiert worden.

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„Nicht nur, aber auch wegen der verschärften Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist es wichtig, die Abwehr- und Reaktionsfähigkeit unserer Zivilschutzorganisationen in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und den neuen Herausforderungen anzupassen", verteidigte dagegen Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das Konzept.

Tatsächlich wiesen Experten in den vergangenen Jahren regelmäßig auf „Schwachstellen hinsichtlich der Absicherung der Lebensmittelversorgung im Gefahrenfall" in Deutschland hin, so zum Beispiel das Bun­des­amt für Ka­ta­stro­phen­hil­fe und Be­völ­ke­rungs­schutz (BBK) in einer umfangreichen Studie 2012.

Das Problem für das Bundesamt liegt dabei vor allem darin, dass man mehr als zwei Jahrzehnte nach den letzten großen Zivilschutzmaßnahmen, bei denen Bürger aktiv angesprochen wurden, gar nicht mehr genau weiß, wie gut die Bevölkerung überhaupt auf den Ernstfall vorbereitet ist. „Die private Vorsorge und die daraus resultierende Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung sind wesentliche Faktoren der Krisenbewältigung. Derzeit können aber keine gesicherten Aussagen darüber getroffen werden, in welchem Umfang die privaten Haushalte in Deutschland materiell und mental auf Unterbrechungen der Lebensmittelversorgung vorbereitet sind", bilanzierten die Autoren der Studie damals.

Doch Zivilschutz ist nicht nur eine technische Angelegenheit, die in klar geplanten Prozessen geregelt wird. Das Thema hat auch ein psychologische Komponente, wie nicht zuletzt die aktuelle Kontroverse belegt. Tatsächlich können sicherheitspolitische Entscheidungen und Maßnahmen einer Regierung die Bevölkerung psychologisch beeinflussen, was die Durchführung selbstständiger Sicherheitsvorkehrungen im Katastrophenfall angeht, wie eine regelmäßig durchgeführte Studie das National Center for Disaster Preparedness der Columbia University zeigt: Im Jahr 2015 waren die Wissenschaftler zu dem Ergebnis gekommen, dass die Bereitschaft zu selbstständigen Sicherheitsvorkehrungen mit dem Maß an Vertrauen in die Regierung zusammenhängt. Wer seine Regierung für nicht in der Lage hält, auf einen Katastrophenfall adäquat zu reagieren, wird wahrscheinlicher einen Notfallplan für den eigenen Haushalt aufstellen.

Während das generelle Misstrauen in die Regierung, einen Terroranschlag verhindern zu können, zwischen 2002 und 2015 um 16,4 % zugenommen hat, stieg auch die Anzahl an US-amerikanischen Familien, die angeben, einen Notfallplan zu haben, um 15 Prozent an. Wie sich aber bei genauerer Nachfrage ebenfalls herausstellte, hatten nur 68% der Familien mit einem Notfallplan auch umfassende Vorkehrungen für die Wasser- und Lebensmittelversorgung sowie grundlegende Energieversorgung getroffen. Dieser Prozentsatz hatte sich über den gesamten Befragungszeitraum hinweg nur verschwindend gering zum Positiven verändert.

Zumindest für die neurechte und verschwörungstheoretische VK-Seite Anonymous.Kollektiv ist die Sache klar: Das Zivilschutz-Konzept zeige, dass wir auf einen „Krieg in Europa" zusteuern und dass die „bürgerkriegsähnlichen Zustände", die man seit Monaten mit den Flüchtlingen in Deutschland heraufziehen sieht, nun unmittelbar bevorstehen—praktischerweise bietet die Seite neben ihren Verschwörungstheorien auch noch Werbebanner für den Waffenshop „Migrantenschreck". Unpraktischerweise hat die Seite weder viel mit Anonymous noch mit der Realität zu tun.

Wie die FAS zitiert, sei es das Ziel der Autoren des neuen Zivilschutz-Konzepts „einen offenen gesellschaftlichen Diskurs" über bestehende Risiken durch Katastrophen wie Terroranschläge und Umweltkatastrophen hervorzurufen. Das ist auf jeden Fall gelungen.