Verniedlichtes Essen: Die Kawaii-Kultur in Japan

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Verniedlichtes Essen: Die Kawaii-Kultur in Japan

Die japanische Kawaii-Kultur kann man wohl am besten entdecken, indem man sie förmlich in sich aufnimmt.

Immer wieder kreischt irgendjemand in dem kleinen Bistro in einem Einkaufszentrum im Tokioer Stadtbezirk Shibuya „kawaii!". Der Laden ist voll mit Frauen zwischen 15 und 35, jede hält eine Kamera in der Hand und starrt wie besessen auf ihren Teller. Es ist bereits 16 Uhr, aber draußen am Automaten werden immer noch Nummern ausgegeben, mit denen die Kunden dann in zwei Stunden zurückkommen können, um sich dann in der ellenlangen Schlange vor dem Pop-up-Café, das vor über sechs Wochen eröffnet hat, anzustellen.

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Miffy Cafe Latte

Ein Miffy-Milchkaffee

Nein, hier gibt es keinen Michelin-Stern oder hier wurde auch kein Boyband-Mitglied kürzlich gesichtet. Diese Frauen (und vereinzelt auch Männer) warten stundenlang in einer Schlange, um in diesem unscheinbaren Restaurant essen zu können, weil sich hier alles um Miffy dreht, ihr wisst schon, dieses weiße Kaninchen aus den niederländischen Kinderbüchern. Das gesamte Essen—Burger, Kuchen und sogar Curry—sieht aus wie das kleine Häschen.

Miffy Cafe Curry

Curry mit Miffy-Reis

Das schafft nur die kawaii-Kultur in Japan.

Das Wort „kawaii", ausgesprochen kawa-i, wird im Japanischen häufig benutzt. In den Shoppingvierteln von Tokio wie Shibuya oder Harajuku sehe ich so oft junge Frauen, die mit quietschender Stimme „kawaii" schreien, wenn sie irgendwelchen niedlichen Nippes sehen. Sie scheinen es für wirklich alles zu benutzen. Aber eigentlich bedeutet „kawaii" so viel wie „süß" oder auch „cool", teilweise schwingt auch ein bisschen so etwas wie „hilflos" oder „herzergreifend" mit. Deswegen passt es auch wunderbar für kindhaften Figuren mit riesigen Köpfen wie zum Beispiel Hello Kitty.

PomPomPurin Latte

Pompompurin-Milchkaffee

Ab den 1970ern hat sich kawaii durch verschiedene Merchandiseprodukte, die Medien und die Mode zu einer eigenen Subkultur für junge Frauen in Japan entwickelt. Firmen wie Sanrio, die die Rechte an Hello Kitty und ihren Freunden halten, haben diesen Prozess unterstützt. Einer davon ist Pompompurin, der aussieht wie eine Mischung aus einem Hund und Vanillepudding. Im Pompompurin Cafe in Tokio habe ich Reis gegessen, der geformt war wie Pompompurins Gesicht, und mir einen Milchkaffee bestellt, in dem Pompompurin-Marshmallows schwammen.

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Sailor Moon Cafe Burger

Ein Burger im Sailor Moon Cafe

In der westlichen Welt ist kawaii als Modetrend vor allem dank japan- und modeaffinnen Pop-Sängerinnen angekommen: Gwen Stefani, Lady Gaga und Katy Perry. In Japan ist kawaii ein fester Bestandteil der modernen Kultur: Sogar Banken haben süße Tiermaskottchen und selbst in normalen Cafés findet man das ein oder andere formschöne Dessert, zum Beispiel die Eclairs in Hunde- bzw. Affenform, die ich in einem Café in Shibuya entdeckt habe. Das wird sich so schnell auch nicht ändern, denn die japansiche Generation Y, auch yutori sedai oder „Generation ohne Druck" genannt, lebt bis zur Hochzeit bei den Eltern—und das heißt mittlerweile bis Ende Zwanzig oder Dreißig. Sie haben also genügend Geld, das sie für Kleidung, Stofftiere, Buttons, Schlussanhänger, Sammelfiguren oder andere süße Merchandiseprodukte verpassen können: alles exklusive Produkte von Figuren wie Pokémon, Sailor Moon und natürlich Hello Kitty.

Patisserie Swallowtail Cakes

Kleine Kuchen aus der Patisserie Swallowtail

Dieser fast schon krankhafte Konsum wird von zwei Dingen angetrieben: zum einen der Wunsch, sich durch Produkte, die man mit der Kindheit assoziiert, ein besseres Gefühl zu verschaffen, zum anderen geht es darum, Erwachsener zu spielen, denn die an Babys erinnernden Proportionen der Figuren wecken eine Art Mutterinstinkt, gerade auch unter Anbetracht der sinkenden Geburtenrate in Japan. Unternehmen wie eben Sanrio setzen auf solche Gefühle und stellen eine ganze Reihe an Merchandiseprodukten her, die auf bekannten Kinderfiguren wie Hello Kitty basieren. „Hello Kitty und andere kawaii-Figuren lösen sofort Mitgefühl und den Wunsch, sich aufopferungsvoll darum zu kümmern, aus", schreibt Christine R. Yano in Pink Globalization: Hello Kitty's Trek Across the Pacific. „In Japan kommt allerdings noch eines hinzu: Einige Nutzer wollen das niedliche Produkt nicht nur adoptieren, sondern genauso werden."

Kawaii Monster Cafe Strawberry Decor

Im Kawaii Monster Cafe

Früher hat man sich, um kawaii zu werden, in zuckersüße Outfits geschmissen, den Lolita-Look. Dafür schreibt man sogar in extra geschnörkelter Handschrift und spricht mit niedlicher, hoher Stimme.Jetzt können Konsumenten aber voll eintauchen dank Themenrestaurants, wie zum Beispiel dem Kawaii Monster Cafe. An den Wänden hängen riesige Macarons oder gigantische Erdbeeren, im Eingang steht ein funktionierendes (und irgendwie gruseliges) riesiges Karussell. Allerdings reicht es oft nicht, wenn nur die Ausstattung niedlich aussieht, auch das Essen muss Niedlichkeitsfaktor 1000 haben. Deswegen erfinden japanische Köche immer wieder neue Gerichte, die nicht nur lecker aussehen, sondern teilweise auch ziemlich meta sind, wie zum Beispiel das Keks-Eissandwich mit einem Krümelmonster (und einem Elmo) als Füllung, das ich im Elmo Cafe in Harajuku gegessen habe.

Elmo Cafe Ice Cream Sandwich

Krümelmonster zwischen Keksen im Elmo Cafe

Wie auch damals die Mode, so kommt auch das kawaii-Essen langsam im Westen an: Gerade macht ein Hello-Kitty-Food-Truck an der amerikanischen Westküste Station und verkauft Donuts mit Schleifchen und Macarons mit aufgedrucktem Hello-Kitty-Gesicht. In London soll jetzt auch das erste Hello-Kitty-Café eröffnen. Da wird definitiv noch mehr kommne, denn die kawaii-Kultur kann man wohl am besten entdecken, indem man sie förmlich in sich aufnimmt.